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BBU: Eine Wende für die Energiewende

Die Wurzel des Übels liege in der grundsätzlichen Philosophie des Energiesparens  statt des CO2-Sparens.

„Wir brauchen eine umfassende Neuausrichtung der Klima- und Energiepolitik“, fordert Maren Kern, Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) für die Wohnungswirtschaft der Hauptstadtregion. Die etablierten Regelwerke der Energiewende brächten enorme Belastungen für die Wohnungsunternehmen und ihre Mieter, ohne allerdings zu den postulierten Klimaschutzerfolgen zu führen. Dass es genügend Erfahrungen und Ansatzpunkte für eine Neuausrichtung gebe, zeige die Studie „Energiewende – Irrtümer aufbrechen, Wege aufzeigen“, die im Auftrag des BBU erstellt und im Juni veröffentlicht wurde. Sie basiert auf der wissenschaftlichen Auswertung der Erfahrungen bei der solaren Modernisierung eines mehrfach ausgezeichneten Modellquartiers der Berliner Wohnungsgenossenschaft „Märkische Scholle eG“ mit Bestandsgebäuden aus den 1930er und 1950er Jahren, aber auch bei Neubauten. Erarbeitet wurde die Studie vom Team der Berliner „eZeit-Ingenieure“ unter Federführung des Architekten Taco Holthuizen. In einem u.a. von Forschern der Beuth Hochschule begleiteten Prozess wurden Heizsystemoptimierungen und unterschiedliche Dämmmaterialien erprobt und ausgewertet. In Mittelpunkt steht die Frage nach den Hebeln, mit denen ein klimaneutraler Gebäudebestand wirtschaftlich und sozial verträglich erreicht werden kann. 

Die Regelwerke im Wärmebereich seien teuer, aber ineffizient. Sie haben allein in den letzten Jahren bei Modernisierungen und Neubauten zu Kostensteigerungen um ca. 16 Prozent geführt und zwar zusätzlich zu den nachfragebedingt ohnehin schon steigenden Baupreisen, so Kern über die Erfahrungen der Wohnungswirtschaft. „Da die Baukosten refinanziert werden müssen, schlagen sich steigende Baukosten natürlich auch in steigenden Mieten nieder“. Hinzu komme, im Wesentlichen ebenfalls als eine Folge der Energiewendepolitik der Bundesregierung, noch eine drastische Verteuerung der Strompreise. Seit 2010 stiegen sie in Berlin um rund 40 Prozent und damit viermal so schnell wie die Preise insgesamt. „Solche Steigerungen der Wohnkosten belasten besonders untere Einkommensschichten. Die Energiewende habe deshalb eine erhebliche soziale Unwucht, die jetzt dringend korrigiert werden muss.“ Dank dieser Politik habe Deutschland seine internationale Spitzenposition beim Klimaschutz eingebüßt. „Angesichts der großen Lasten, die die Energiewende gerade auch für die Wohnkosten bedeutet, sind diese unbefriedigenden Ergebnisse besonders bitter“, so BBU-Vorstand Kern. 

Die Wurzel des Übels liege in der grundsätzlichen Philosophie des Energiesparens  statt des CO2-Sparens. Für die Wohnungswirtschaft ergebe sich daraus als Dreh- und Angelpunkt das Dilemma, dass nicht die Reduzierung von CO2-Emissionen der Maßstab für die Bewertung der Effizienz vorgeschriebener Maßnahmen sei, sondern der – in der Praxis eher fiktive – Primärenergiebedarf einer Wohnung. „Diese Fixierung auf einen theoretischen Wert ist das Korsett, das die Energiewende einengt und ihr buchstäblich die Luft zum Atmen nimmt“, hob Kern hervor. Deshalb werde die Wohnungswirtschaft gezwungen, mit enormem Ressourcen- und Geldaufwand in vielfach wenig effektive Maßnahmen zu investieren. Als wichtigstes Beispiel nannte sie die Fokussierung auf Dämmung. Die Logik des „Viel hilft viel“ gehe bei der Dämmung nicht auf. Ab einer Dämmdicke von acht Zentimetern führe jeder weitere Zentimeter Materialaufwand nur noch zu einer exponentiell abnehmenden Einsparung beim Heizwärmebedarf, während der Kosten-, Ressourcen- und Primärenergieaufwand des Materials linear zunimmt. Die Folge sind explodierende Baukosten bei allenfalls noch minimalen Einsparergebnissen. Trotzdem ist die Dämmdicke nach wie vor die wesentliche Stellgröße innerhalb der deutschen Fördersystematik, z.B. bei der KfW. 

Dazu komme die Fokussierung auf das einzelne Gebäude. Da das Einzelgebäude das Maß aller Dinge sei, führt seine isolierte Betrachtung dazu, dass die enormen CO2-Einsparhebel, die beispielsweise auch bei der Energie- und Wärmeübertragung sowie in der Vernetzung von Gebäuden innerhalb eines Quartiers liegen, völlig unberücksichtigt bleiben. „Durch diese begrenzte Sichtweise muss die Energiewende sozusagen für jedes Gebäude jeweils neu gedacht und implementiert werden“, kritisierte Kern. Das sei nicht effizient. Hinzu komme die fehlende Berücksichtigung des Verbraucherverhaltens. Durch die Konzentration auf das einzelne Gebäude und seinen theoretischen Primärenergiebedarf werde das Verbraucherverhalten ausgeblendet – und damit auch, dass in einem auf maximale Energieeinsparung ausgelegtem Bau schon das Öffnen eines Fensters gravierend negative Folgen für die Energiebilanz haben könne. Kern: „Wo die Theorie so leicht durch die alltägliche Wohnpraxis eingeholt wird, kann selbst die ausgefeilteste und teuerste technische Energiesparlösung schnell ad absurdum geführt werden.“

Problematisch sei auch, dass die Energiewende im Gebäudebereich derzeit weder bei der Dämmung noch bei den technischen Lösungen Platz für das Denken in Lebenszyklen und Vollkostenberechnung lasse. „Was aber passiert mit Dämmmaterialien, wenn sie in Folge einer weiteren Modernisierung durch eine immer dickere Dämmung ersetzt werden müssen? Mit Ausbau und Entsorgung sind in der Regel hoher Aufwand und entsprechende Kosten verbunden“, verdeutlichte Kern. Eine weitere Schwachstelle der aktuellen Philosophie sei, dass sie der sogenannten „Grauen Energie“ im Zusammenhang von Neubau oder Modernisierungen keine Beachtung schenkt. Kern: „Sowohl bei der Produktion als auch beim Transport von immer mehr und immer aufwändigeren Baumaterialien entstehen Kosten, werden Energie und Ressourcen verbraucht und fallen CO2-Emissionen an, die sich natürlich in erheblichem Maße volkswirtschaftlich auswirken.“ Aufgrund der Verengung auf den Aspekt vermeintlicher Energieeinsparung auf der Basis einzelner Gebäude führt die derzeitige Fördersystematik paradoxerweise dazu, dass sie sogar CO2-Emissionen sowie Energie- und Ressourcenverschwendung fördert, anstatt zu reduzieren. Kern: „Hier hat der aufgezwungene Dämmwahn seine volle Wirkung zu Lasten von Umwelt und Mieterhaushalten geleistet.“

Für die Wohnungswirtschaft, zumindest für diejenigen kommunalen oder genossenschaftlichen Unternehmen, die im BBU organisiert sind, sei neben mehr Klimaschutz auch die Wohnkostenentwicklung sowie langfristige Ressourcen- und Energieversorgungssicherheit ausschlaggebend. „Rein technisch wäre es heute möglich, den Gebäudebestand nahezu emissionsfrei und seine Energieversorgung weitgehend kostenneutral zu machen, und dabei sogar noch Baukosten zu sparen“, unterstrich Kern. Für die notwendige Neuausrichtung schlug Kern drei Eckpunkte vor: Erstens: CO2-Einsparung als Effizienzmaßstab, was bedeuten würde, dass sich neue Regeln und Gesetze auf Ergebnisse (CO2-Minderung) statt auf Instrumente fokussieren. Statt Energiekennwerten sollten endlich CO2-Emissionen bzw. deren Senkung zu Zielwerten gemacht werden.

Dabei müssten auch Lebenszyklus- und Nachhaltigkeitsbetrachtungen eine zentrale Rolle spielen. Wichtig sei die Berücksichtigung der Gesamteffizienz, also auch Maßnahmen im Quartier statt nur an Einzelgebäuden. Zweitens eine Technologieoffenheit, bei der wiederrum gelten müsse: Zentraler Maßstab zur Bewertung von Nutzen und Förderfähigkeit ist das langfristig eingesparte CO2 und nicht eine undefinierte Energieeffizienz. Und Drittens muss der Fokus auf Erneuerbare Energien gelegt werden. Die direkt am Gebäude „gratis“ zur Verfügung stehende Umweltenergie müsse wesentlich stärker genutzt werden – auch durch Lösung der derzeit noch bestehenden Steuerungs- und Speicherprobleme. Darüber hinaus müsste auch das Energiewirtschaftsrecht an die Bedürfnisse der Wohnungswirtschaft angepasst werden, um die in der dezentralen Energieerzeugung und -verteilung schlummernden CO2-Einsparungspotenziale erschließen zu können. Denn sinnvolle Konzepte werden nach wie vor durch einen für den Gebäudesektor ungünstigen Gesetzesdschungel be- und verhindert.

Quelle

Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) 2018

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