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Journalists – for future?

Journalisten, die noch immer zu einem beherzten und hemdsärmeligen „Weiter-so“ beitragen, werden ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung nicht gerecht. Auch nicht diejenigen, die schweigen, während unser Konsum und unsere Wirtschaft weiter die Ressourcen auffressen, ein ständiges Wachstum, das eher an ein Krebsgeschwür erinnert als an gesunde Entwicklung. Ein Gastkommentar von Simone Regina Adams

Wer sich im Netz die Bundespressekonferenz vom März 2019 mit den Stellungnahmen der Scientists for future ansieht, sollte auf die Fragen der Journalisten am Ende der Veranstaltung achten: Die meisten davon sind kleinteilig, skeptisch und kühl-distanziert. Als hätte das Ganze nichts mit den Fragenden persönlich zu tun. Als ginge es hier um ein weiteres beliebiges Thema, über das man im Anschluss für das jeweilige Medienhaus berichten wird. Als ginge es nicht um eine globale Krise, die uns alle betreffen wird.

Man mag erwidern, dass das schließlich die Aufgabe der Journalisten sei: neutral und objektiv zu informieren. Dabei kann es bei diesem Thema gar keine neutrale Haltung geben. Wer sich noch immer so verhält, als hätte das alles nichts mit ihm oder ihr zu tun, gibt damit – man kann eben nicht nicht kommunizieren – ein deutliches Signal: Das Orchester spielt noch. So schlimm kann es um die Titanic nicht stehen.    

Einerseits haben wir ein immenses Wissen um die Klimakrise, das Artensterben und die Ausbeutung unserer Ressourcen. Wir wissen um die Dringlichkeit und haben längst die Technologie und das Expertenwissen, um die Klimakatastrophe zumindest (noch) zu begrenzen.

Eigentlich unbegreiflich ist, dass wir dieses Wissen nicht ausreichend anwenden: nicht individuell, nicht politisch, nicht kollektiv. Und auch der Journalismus hat seine Haltung angesichts der riesigen Aufgaben, die auf uns zukommen, offenbar noch nicht gefunden. 

Warum gibt es noch immer keine Journalists for future? Ist Franz Alt der einzige in Deutschland, der sich dieser Frage stellt? „Only bad news are good news“, zitiert er die alte Schreibregel, und bringt auch ein Beispiel dafür, was das in unserer gegenwärtigen Situation bedeutet: Am 15. März 2019 gingen im Namen des Klimaschutzes 1.6 Millionen Menschen auf die Straße. Weltweit. Ein historisches Ereignis. Aber zur selben Zeit verübte ein Terrorist in Neuseeland einen Anschlag auf eine Moschee. Seine Morde beherrschten die Schlagzeilen und die Aufmacher der Weltmedien.

„Warum sind die lächerlichen und unverantwortlichen Sprüche einiger AFD-Politiker wichtiger als die Ernsthaftigkeit und bisherige Friedfertigkeit der „Fridays for Future“-Bewegung für die Überlebensfrage der Menschheit?“ Kann jemand Herrn Alt darauf eine Antwort geben?

Und selbst wenn dann doch über die Klimaschützer berichtet wird: Es ist nicht die Zeit für Homestorys über Greta Thunberg. Es geht darum, dass wir die Zukunft ruinieren, wenn wir jetzt nicht handeln. Es geht auch nicht darum, ob Rezo mit seinem Video Geld verdient hat. Es geht um die Fakten, die dieser Youtuber für uns so klar aufbereitet hat, dass wir sie eigentlich nicht mehr ignorieren, verdrängen, verleugnen können. Können wir nicht?

Doch, anscheinend können wir das.

Wenn wir uns, nur ein Beispiel, in Kleinteiligem verlieren. Glossen in allen Online-Portalen, in denen diskutiert und kommentiert wird: welche to-go-Becher nun die besten sind. Und ob man im Juni nun die Äpfel aus Neuseeland oder die heimischen kaufen soll? Überraschung: Die aus Neuseeland haben eine bessere Ökobilanz. Avocados sollen übrigens auch gar nicht gut sein für die Umwelt … Nichts gegen solche Verbraucherinformationen, doch allzu leicht wird hier suggeriert: Da blickt doch keiner mehr durch. Nutzt eh alles nichts. 

Was hier völlig fehlt, ist die grundlegende Frage: Was, wenn es im Juni eben keine Äpfel gäbe? Warum glauben wir, dass wir an zwölf von zwölf Monaten alles, aber auch wirklich alles zur Verfügung haben müssen? Und: Wo fangen wir an? Was können wir ändern? Wo sind die Medien, die konstruktiv und konkret berichten und damit ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Krise leisten? Wie können wir aus der Krise eine Chance machen?

Besonders fatal, wenn derzeit lang und breit über die Akzeptanz von Verboten und Verzicht sinniert wird – als bedeute die Klimakrise nicht einen immensen Verzicht und Verlust für uns alle, wenn wir so weitermachen wie bisher. Verbote? Bloß nicht. Verbote bedeuten Einschränkung, Gängelung und Verzicht. Dafür gibt es gesellschaftlich keine Akzeptanz. Was in der Diskussion fehlt: All das, worauf wir längst schon verzichten müssen. Saubere Strände. Gesunde Wälder. Vogelarten. Tierarten. Pflanzenarten. Saubere Luft ohne Abgase. Sauberes Wasser. Unbelastete Lebensmittel.

Wir leben mit so viel Plastik im Körper, dass es einer EC-Karte entspricht, wir leben mit Asthma, mit Krebserkrankungen, wir beklagen Hitzetote und das Elend der Klimaflüchtlinge, wir müssen nach jeder Schreckensmeldung zur Erderhitzung unsere Zukunftsängste wieder verdrängen, verleugnen – um weitermachen zu können wie bisher. Aber bloß keine Verbote, keine Einschränkung, wir wollen keine Gängelung, kein Moralisieren, und niemanden, der uns den Spaß verdirbt. Was für ein Preis, den wir alle dafür zahlen, dass wir (noch) auf nichts verzichten müssen. 

Journalisten, die noch immer zu einem beherzten und hemdsärmeligen „Weiter-so“ beitragen, werden ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung nicht gerecht. Auch nicht diejenigen, die schweigen, während unser Konsum und unsere Wirtschaft weiter die Ressourcen auffressen, ein ständiges Wachstum, das eher an ein Krebsgeschwür erinnert als an gesunde Entwicklung. Raumforderung heisst so etwas in der Medizin.

Journalisten, die die entscheidenden Fragen nicht stellen, sind eben nicht neutral. Sie können es angesichts der globalen Krise auch gar nicht sein. Es macht einen Unterschied, ob die Medien statt Erderhitzung das harmlosere Wort „Erderwärmung“ verwenden, ob sie von „Klimawandel“ oder der tatsächlichen Klimakrise schreiben – oder ob die Promi-News wieder einmal wichtiger sind. Ob die Leugner der Klimakrise angesichts des heutigen Wissens genauso bezeichnet werden, oder ob man ihnen ein weiteres Mal eine Bühne bereitet und wertvolle Aufmerksamkeit verschenkt, die damit für Wesentliches verloren geht.

Der Guardian schreibt, die Klimafragen stärker zu thematisieren, sei keineswegs wertender, als kaum oder wenig zu berichten wie zum Beispiel die großen US-Fernsehsender: In diesem Frühjahr widmeten sie in einer einzigen Woche mehr Sendezeit den Babys im britischen Königshaus als dem Klima in einem ganzen Jahr.

Nun hat der Guardian eine Kampagne gestartet: Gemeinsam mit anderen Medienhäusern will man eine Woche lang gezielt zur Klimakrise berichten. Vom 16. September bis 23. September, dem Tag des internationalen Klimaschutzgipfels. Alle Zeitungen, Fernsehsender, Radiostationen, Online-Portale weltweit sind dazu eingeladen, sich dem anzuschließen. 

Der Klimawandel, so der Guardian, ist nicht nur eine weitere Geschichte, sondern die übergeordnete Geschichte unserer Zeit. Sie muss so erzählt werden, dass sie nicht länger unserem verständlichen, aber problematischen Wunsch nach Verdrängen, Verleugnen und Ablenkung entgegenkommt. So, dass sie nicht bloß Ängste schürt, sondern Hoffnung macht. So, dass sie nicht einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielt, sondern alle mitnimmt. Diese Geschichte sollte nicht von Verzicht und Verboten handeln, sondern von Chancen. Nicht von Aussichtslosigkeit, sondern von konkreten Zielen, die wir gemeinsam erreichen können.

Wir alle müssen – und können – dazu beitragen, dass aus dieser Geschichte nicht bad news, sondern good news werden.

Quelle

Simone Regina Adams 2019 | Autorin, psych.Psychotherapeutin

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