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Es fährt ein Zug …

… nach Aachen! Das ist die große Neuigkeit bei uns in Maastricht, im Zentrum der europäischen Union, in der Euregio Maas–Rhein, wo man seit mehr als 40 Jahren grenz­überschreitend zusammenarbeitet.

Um genauer zu sein: Es fährt wieder ein Zug die 35 Kilometer lange Strecke. Seit 1992 gab es nämlich keine direkte Verbindung mehr, und dieser zuglose und unhaltbare Zustand wurde erst Ende Januar 2019 beendet.

Kleiner Wermutstropfen: Eigentlich sollte das eine Dreiländerbahn werden und sie sollte von Aix-La-Chapelle (Aachen) über Maastricht nach Liège (Lüttich) durchrauschen. Aber für die belgische Strecke gab es keine Genehmigung wegen technischer Sicherheitsprobleme. Das ist bemerkenswert. Wie nämlich kann es sein, dass im Herzen Europas über die Grenzen hinweg keine beziehungsweise recht wenig Züge fahren und deren Realisierung schwieriger ist als vor 50 Jahren? Da könnte ich fuchsteufelswild werden.

Seit ein paar Jahren nämlich setze ich mich dafür ein, dass wir an der Grenze die Vorteile nützen können, die eine Region mit großen Städten (Maastricht, Aachen, Lüttich, Hasselt) bietet. Wenn wir die Grenze wegdenken, lebe ich in einer Metropolregion mit fast vier Millionen Einwohnern. Wir haben super Universitäten, Unternehmen, Krankenhäuser, Ikeas und Forschungseinrichtungen. Und da beginnt das Paradoxe. Während die Leute jeden Samstag mit dem Auto über gut ausgebaute Autobahnen zum grenzüberschreitenden Fleischbällchenessen zu Ikea fahren, ist die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und in der Forschung noch recht bescheiden und der öffentliche Verkehr grenzüberschreitend Banane.

Hier trifft man auf ein Phänomen, das ich das Paradox der Europäischen Integration nenne. Kaufen und Verkaufen ist kein Problem. Diese Dinge haben wir nämlich in Brüssel harmonisiert, also Geld, Zölle, Standards. Grenzüberschreitend Arbeiten dagegen und die Einrichtung von Eisenbahnverbindungen nicht. Das haben die Mitgliedstaaten bewusst nicht aus den Händen gegeben. Deshalb kämpfen Grenzpendler mit der Kombination von komplexen Sozial- und Gesundheitssysteme, und die grenzüberschreitenden Steuererklärungen sind höhere Mathematik. Und die Züge?

Das Besondere am neu­en Zug von Aachen nach Maastricht ist, dass er mit der unterschiedlichen Spannung und den verschiedenen Sicherheitssystemen in den Niederlanden, Deutschland und Belgien zurechtkommt. Unterschiedliche Spannung und Sicherheitsvorschriften? Ja, das gibt es 2019, und darum darf der Zug in Belgien noch nicht brezeln. Gott sei Dank ist die Spurweite dieselbe!

Die schnellste Verbindung zwischen Amsterdam und Berlin dauert übrigens 6 Stunden 22 Minuten. Das ist ein alter IC. Der größte Gag im 21. Jahrhundert: An der Grenze in Bad Bentheim muss die Lok gewechselt werden, weil die Bahnen mit unterschiedlichen Voltzahlen betrieben werden. Man stelle sich vor, man müsste mit dem Auto an der Grenze anhalten und die Reifen wechseln, weil der Asphalt ein anderer wäre – crazy! Nur so zum Vergleich: Mit dem Zug ist man inländisch in 3 Stunden 55 Minuten von Berlin in München. Hochgeschwindigkeit ist in diesem Fall eine nationale Angelegenheit.

Amsterdam–Berlin ist mit dem Flugzeug natürlich viel schneller und meistens nicht teurer, obwohl die Bahn aus Klimaschutzgründen das attraktive Verkehrsmittel sein sollte. Ist sie nicht, wegen der Grenze. Maastricht–Berlin ist mit dem Zug noch unattraktiver, da es keine direkte Verbindung zum ICE nach Duisburg oder Düsseldorf gibt. Dafür bin ich aber in 2 Stunden 20 Minuten von Lüttich in Paris. Da rauscht der grenzüberschreitende Thalys und zeigt, wie es geht. Kleiner Wermutstropfen: Zum Bahnhof in Lüttich fahren wir häufig mit dem Auto, weil die Bimmelbahn nach Lüttich alles andere als verlässlich ist. Es bleibt vorläufig grenzenlos schwierig.

Martin Unfried | Erstveröffentlichung Kolumne fairkehrt 1/2019 | Es fährt ein Zug … | 

Quelle

Martin Unfried | 2019

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