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Das Ja-Wort zu Atomausstieg

Brexit, Schönau, Alpen-AKW, Wasserprivatisierung, Berlusconi-Extrawurst – wenn Bürgerinnen und Bürger entscheiden dürfen, passieren mitunter faszinierende Dinge. Ein Kommentar von Eva Stegen

1978 haben die Österreicher mit 50,47 % gegen die Inbetriebnahme des bereits fertig gestellten AKW Zwentendorf gestimmt. Aufgrund dieser haarscharfen Volksentscheidung wurde ein Atomsperrgesetz erlassen und schließlich wurde das Atom-Energie-Verbot sogar in der Verfassung festgeschrieben. Nur 20.000 Stimmen Unterschied – hätte es diese nicht gegeben, wäre die Österreichische Regierung vermutlich nicht auf die Idee gekommen, 2014 gerichtlich gegen Subventionen für neue AKW in der EU vorzugehen. Die Hinkley-Point-Klage der Alpenrepublik macht deutlich, was gelebte Anti-Atom-Politik ist – im Gegensatz zu den Sonntagsreden fürs Publikum hierzulande, die von gelebter Energiewende-Verschleppungs-Politik begleitet werden.

Berlusconi plante den italienischen Wiedereinstieg in die Atomenergie, setzte auf sommerliche Wochenendausflug-Stimmung und geringe Wahlbeteiligung, verquirlte die Abstimmung noch mit seiner Immunität und der Wasser-Privatisierung – und scheiterte grandios an Fukushima, an diesem sonnigen Tag im Juni 2011.

Und nun also die Schweiz. Am 27. November 2016 – so hoffen die Energiewende-Aktiven – kann das Ende der Atomkraft mit einem „Ja zu Atomausstieg“ besiegelt werden. „Bitte keine Atomkraft–Nein-Danke-Aufkleber!“ beschwor Heidi Portmann, die Grande Dame der Schweizer Antiatombewegung, ihre verblüfften Mitstreiter aus Deutschland. Warum das? Die Zwinkersonne hat doch Kult-Status, gibt es eine freundlichere Art „Nein“ zu sagen? Genau da liegt die Krux: eine beträchtliche Anzahl an abgegebenen Stimmen wirkt gegenteilig, einfach weil die Frage falsch verstanden wird. Also, wer seinen Schweizer Freunden helfen will, der sage „JA“ zum Atomausstieg. „JA“ in allen Varianten, auf Lebkuchenherzen – wie damals in Schönau, in mails, Bildern, Briefen, persönlichen Gesprächen.

Ja zum Atomausstieg, denn über alle Grenzen hinweg, möchten die Europäischen Nachbarn weder die radioaktiven Emissionen der AKW-Giftkamine noch die Bedrohung einer nuklearen Katastrophe – die mit zunehmender Materialermüdung immer wahrscheinlicher wird. Werkstoffexpertinnen des Ökoinstituts und der Uni Wien fällen unisono ein vernichtendes Urteil über den ältesten Reaktor der Welt, Beznau 1, 70 km südlich von Freiburg. Die immer neuen Berechnungsmethoden  – bei gleicher Ausgangsdatenlage – zur Verschiebung der Sprödbruch-Referenztemperatur aus dem verbotenen in den genehmigungsfähigen Bereich, wird scharf kritisiert.

Eine – auch für gestandene Atomkritiker – verblüffend neue, jedoch nachvollziehbare Erklärung für den Hochrisiko-Weiterbetrieb der Uraltmeiler, liefert ausgerechnet ein Finanzexperte, Kaspar Müller aus Basel. Erst Jahrzehnte nach Inbetriebnahme der 5 Schweizer Reaktoren hat man angefangen, Rückstellungen für das dicke Kosten-Ende aus den privatisierten Gewinnen abzuzweigen. Diese Rückstellungen – obwohl im internationalen Vergleich beinahe vorbildlich – reichen bei Weitem nicht aus, um die anfallenden Rückbau- und Endlager-Kosten zu decken. Ein jähes Ende des Betriebes würde den Blick auf den Schuldenberg freigeben, den jeder Atomeinstieg mit sich bringt. Also verlängert man die Laufzeitachse, um die Illusion aufrecht zu erhalten, dass der Entsorgungsfond sich über die Jahre noch ein wenig füllen möge. Bei steigenden Reparaturkosten und Börsenpreis-bedingter Erlös-Schmelze ein illusorisches Unterfangen. Doch wer unbelastet von technischem Sachverstand die Gefahren ausblenden kann, läuft dem Phantom des sich selbst abtragenden Schuldenbergs womöglich noch mit gutem Gewissen hinterher.

So ließen es sich die schweizer AKW-Betreiber Axpo und Alpiq auch etwas was kosten, ihre tiefroten Bilanzen zu verschleiern. Mit einem Trick sollten dem Steuerzahler die Schuldenberge  direkt zugeschustert werden. Blöd nur, wenn es bei der PR-Agentur, die aus der zweiten Reihe die Strippen ziehen soll, eine undichte Stelle gibt und der ganze Schwindel auffliegt. Zum ungebremsten bilanziellen Sinkflug gabs gleich noch den kommunikativen Super-Gau obendrauf.

Wer an solchen Strippenzieher-Krimis seine Freude hat, kommt sicherlich auch im Vorfeld des Referendums zum Atomausstieg im kommenden November auf seine Kosten. Burson-Marsteller, die Krisen-Kommunikations-Agentur, die sich bereits international den Ruf eines besonders skrupellosen Greenwashers erarbeitet hat und mit finsteren Episoden von Völkermord-Vertuschung und bis organisierte Demos für Monsanto bei Lobbypedia gelistet ist, hat bereits im Jahr 2007 für die Schweizer Atomlobby eine Kampagne gefahren. Die Schweiz ist – als assoziiertes EURATOM-Mitglied – über das Nuklearforum.ch auch im europäischen Atomlobby-Verband Foratom organisiert. 2006 meldete sich bei einem Anruf der WOZ-Journalistin Susan Boos unter der Berner Telefon-Nummer des Nuklearforums eine Stimme mit „Burson-Marsteller“. Nun sind auch Straße, Hausnummer und Postfach identisch. Burson-Marstellers Leiter des Bereichs Energie und Umwelt, Beat Bechtold, der gleichzeitig Geschäftsführer des Nuklearforums Schweiz ist, lässt via Foratom in einem absonderlichen youtube-clip wissen, dass die Auswirkungen von Tschernobyl gar nicht so schlimm seien, “wie erwartet”. Der studierte Wirtschaftspolitiker habe mit eigenen Augen eine ziemlich intakte Flora und Fauna gesehen. Seine unbeholfen-fachfremde Biotop-Analyse gipfelte in der Aussage “es gab ziemlich viele Tiere und keine Wüste.”

Quelle

Eva Stegen 2016

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