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Das Mittelmeer, die Flüchtlinge und unsere Verantwortung

Zu einer Frage, bei der die Bürgergesellschaft wieder sehr viel zu sagen hat. Von Rupert Neudeck

Seit sicher fünf  Jahren ist bekannt, dass im afrikanischen Kontinent Staaten ganz oder fast zusammenbrechen (failed states). Und dass sich eine junge Bevölkerung auf den Weg nach Norden und Süden macht. Nach Süden in die Süd-Afrikanische Republik und nach Norden in die Europäischen Staaten. Es ist bekannt, dass diese elementare Bewegung von jungen Menschen ausgeht, die wahrscheinlich die Besten aus Afrika darstellen und die als Ziel haben, eine Berufsausbildung zu bekommen. Sie wollen demnächst damit einen Arbeitsplatz bekommen oder selbst ein Gewerbe anmelden. Informierte Stellen sprechen von 18 Mio junger Menschen, die auf dem Wege sind. Ich vergesse nie den Marsch auf einer glühend heißen Teerstrasse in Somalia, von Hargeisa nach Berbera an die Küste, wo wir vier junge Menschen aus Äthiopien trafen, die uns auf die Frage, wohin sie wollten, sagten: Berbera, dann das Rote Meer, den Sinai, Türkei und dann Europa. Das waren allein bis Berbera noch zwei Tagereisen zu Fuß.

Dann kommt noch hinzu, dass hunderttausende Menschen aus Syrien und dem Nordirak auf der Flucht sind, die auf Zeit eine sichere Bleibe suchen für sich und ihre Kinder. Die müssen aber, wenn sie der Hölle von Aleppo und Homs entronnen sind, sich online um einen Termin bei der deutschen Botschaft des Durchgangslandes bemühen, in dem sie gerade leben. Das kann nun scheitern oder dazu führen, dass sie in 4 oder 5 Wochen einen solchen Termin bekommen. Manche schaffen das nicht, an den Orten durchzuhalten und gehen an die Küste der Türkei oder Ägyptens, um eine Passage auf einem Seelenverkäufer-Schiff oder Boot zu erwerben. Sie sind sich bewusst, dass so eine Fahrt mit dem Tod enden kann.

Es muss auf dem Mittelmeer dreierlei jetzt geschehen, und wir sind immer noch unsicher, ob die Brüsseler Beschlüsse vom 23. April dafür ausreichend sind. Einmal muss das Mare Nostrum-Programm wieder aufgenommen werden, das dazu geführt hat, dass bis 100.000 Menschen aus Seenot gerettet wurden. Ein besseres und gewaltigeres Beispiel für das biblische Programm „Schwerter zu Pflugscharen“ zu machen, wird es sobald nicht geben. Militärische Marine-Schiffe, Fregatten und Korvetten waren sechs Monate dabei, sich bei der Rettung ungeheure Verdienste zu erwerben. Ich hoffe immer noch auf den Friedensnobelpreis für die Italienische Marine.

Jetzt müßte das in einer Art EU-Serie wieder aufgenommen werden, sechs Monate die deutsche Bundesmarine, sechs Monate die spanische usw. Gleichzeitig sollte der Deutsche Bundestag vorangehen, weil es auf EU-Ebene noch keine juristisch ausgewiesene Europaflagge gibt. Er sollte den Schaden den kommerziellen Schiffen deutscher Reeder dadurch erleichtern, dass sie sich an der Rettung beteiligen, die Unkosten ersetzen. Außerdem sollten Kapitäne solcher Schiffe, die nicht nur einen Sinn für den „ETA“, den „expected time of arrival“ im kommerziellen Sinne haben, sondern die Mitleid mit den Menschen im Wasser haben und sie retten, belohnt werden, öffentlich.

Drittens sollten sich auch private Agenturen an der Hilfe beteiligen. So wie es schon zwei Initiativen gibt: die des Kapitän Höppner aus Brandenburg mit seinem Schiff „Seawatch“. Und am 8. Mai soll eine weitere Initiative aus der Taufe gehoben werden von einem Berliner Ex-Kapitän Klaus Vogel, der dann im Verein mit französischen und italienischen Kollegen die SOS Mittelmeer gründen wird und gleichzeitig in diesen Tagen schon nach einem tauglichen Schiff sucht, mit dem er retten kann.

Gleichzeitig muss man an die Ursachen dieser Ströme heran. Bei den Bürgerkriegsflüchtlingen kennen wir die fast aussichtslose Situation, in diesen Monaten in Syrien und im Nordirak zu leben. Für die afrikanischen Bürgerkriegsflüchtlinge muss das Gebot der Stunde sein, ihnen auch alternative und legale Möglichkeiten zu bieten, in denen sie ihr Ziel erreichen können, ohne ihr Leben zu gefährden.

Die Migranten kennen wir aus Mauretanien und jetzt aus dem Senegal. In Nouadhibou im Norden von Mauretanien erlebten wir einen Zustrom von 60.000 jungen Afrikanern aus 17 (!!) afrikanischen Ländern. Die einzige Möglichkeit für diese jungen Menschen, die in vielen Sprachen redeten, zurückzugehen und auf die lebensgefährliche Fahrt mit der Pirogge zu den Schengen Inseln Gran Canaria, Teneriffa und Lanzarote zu verzichten, war: Eine Berufsausbildung. Wir bauten ein Sozialzentrum in der Erwartung, dass sie dann mit einer fertigen Berufsausbildung in ihre Heimatdörfer zurück gehen können, ohne das Gesicht zu verlieren oder angeschwärzt zu werden, weil sie mit dem Kredit, den sie bekommen haben, nichts gemacht haben.

So etwas müsste jetzt als Ausbildungsoffensive auch in einigen wenigen ausgewählten Ländern beginnen, finanziert von uns mit Lehrern aus den Ländern, aber mit Hilfestellung aus der deutschen Wirtschaft und pensionierten Berufsschullehrern.

Auf jeden Fall darf Europa nicht einfach sagen, wir bekämpfen die Schlepperbanden und kümmern uns nicht um die Seenotflüchtlinge. Die Syrer sollten wir sowieso beherzter aufnehmen. Für die Afrikaner wäre es gut, auch andere Möglichkeiten zu kennen, die sie bei sich im Kontinent Afrika oder in Europa nutzen können. So dass weder die Syrer als Bürgerkriegsflüchtlinge noch die Afrikaner mehr auf die Schlepper und Schleuserbanden angewiesen sind. Die Schlepper gibt es dann nicht mehr, weder in Ägypten (vier Schlepper-Anbieter) noch in der Türkei (drei Anbieter) noch in Tunesien noch in Libyen, wenn die Nachfrage nach solchen Plätzen gar nicht mehr besteht. Ausdrücklich muss man gegen Panik und Angstmache, die manchmal geschürt wird, betonen: die Mehrheit der Flüchtlinge/Migranten will wieder zurückgehen in ihr geliebtes Heimatland. Die Bosnier, die auf Zeit zu uns kamen, sind der beste Beweis.

Papst Franziskus hat zu Beginn seines Pontifikats  einen völlig unkonventionellen Besuch auf der Insel Lampedusa gemacht und in seiner Rede davon gesprochen, dass der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ widersprochen werden muss, in dem wir sie mit aller Macht bekämpfen. Mit Mitteln der europäischen Staaten, mit Mitteln kommerzieller Schiffe, auch mit Mitteln der Kirchen, die durchaus auch eine eigene Initiative beginnen könnten, mit den Mitteln unkonventioneller und unabhängiger Bürgerinitiativen.

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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