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Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist pervers

Pervers heißt verdreht. Kommt von lateinisch pervertere, umkehren. Wie: Sich selbst ins Knie schießen. Nichts anderes hat die EU mit ihren im Zuge der Auseinandersetzungen um die Ukraine und die Krim gegen Russland verhängten „Wirtschaftssanktionen“ fabriziert. Ein Kommentar von Wolfgang Hingst

Sie wurden am 31. Juli 2014 beschlossen und einen Tag später in Kraft gesetzt, verlängert im Dezember des Vorjahres bis Mitte 2017. „Sanktionen“ sind ein verniedlichender Ausdruck. In Wirklichkeit geht es um Krieg, nur eben noch nicht mit Waffen.

Was Wirtschaftskundige unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Sanktionen gegen Russland vorausgesagt hatten, ist nun tatsächlich eingetreten. Nach einer soeben vorgelegten Studie des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo) kostete der Wirtschaftskrieg gegen Russland, das die Sanktionen der EU mit Gegensanktionen beantwortete, bisher 400.000 Jobs und fast 18 Milliarden Euro. Bisher. Leidtragende sind vor allem auch die Bauern, die viele Produkte, die traditionell nach Russland gingen, nicht mehr absetzen können. Der Kreml hat schon im August 2014 den Import vieler landwirtschaftlicher Produkte und Lebensmittel wie Milch, Obst, Gemüse, Käse und Fleisch aus der Europäischen Union untersagt. Das hat vor allem Länder wie Italien, Spanien oder die Niederlande aber auch Österreich hart getroffen.

Schlimmer noch: Der gegenseitige Bojkott hat auch enorme Auswirkungen auf andere Sektoren, vom Fremdenverkehr bis zu Hightech-Produkten.

Jörg Eigendorf, Chefreporter der „Welt“, hat schon Mitte 2015 äußerst negative Auswirkungen des Wirtschaftskrieges gegen Russland vorausgesagt. („Werteverlust von bis zu 100 Milliarden Euro“, Die Welt, 19. 6. 2015) Ökonomen haben schon damals berechnet, wie teuer diese Aggression kommt. In dem Artikel heißt es: „Die EU-Sanktionen schaden nicht nur Russland. Auch die europäische Wirtschaft wird massiv geschädigt… Wladimir Putin hat stets gewarnt, dass die Sanktionen gegen Russland Europa selbst schaden.“ Ökonomen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung hätten errechnet, dass europaweit weit mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze und rund 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung in Gefahr seien. In Zukunft. Die Gegenwart war schlimm genug. Die Wissenschaftler gingen in ihrer Studie, die exklusiv für eine Allianz führender europäischer Tageszeitungen erstellt wurde, von einem „Worst-Case-Szenario“ aus. Nach einem Jahr, Mitte 2015, waren die Exportausfälle, die sie schlimmstenfalls angenommen hatten, Realität. Natürlich spielten bei den Progrnosen des Wifo auch der Ölpreis- und der Rubelverfall eine Rolle, aber die Wissenschaftler gingen fest von einem „erheblichen negativen Einfluss der Sanktionen und Gegenreaktionen Russlands“ aus.

Fest steht, dass die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und Russland schwer geschädigt wuden. Nicht wenige Ökonomen sind besorgt, dass Konkurrenten aus China oder anderen Ländern in die Bresche springen – und das dauerhaft. Das trifft auch das kleine Österreich, das sich als neutrales Land ohne Not an den Sanktionen beteiligte. Vergeblich, weil ohne Macht, warnte der österreichische Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitel vor einer Weiterführung der  Sanktionen gegen Russland. Folgerichtig riet Österreichs Außenminister Kurz dieser Tage zumindest zur einer Lockerung der Sanktionen und einer friedlichen Koexistenz, just während die US-geführte NATO schweres Kriegsgerät nach Osteuropa schaffen ließ. Sind hier die Drahtzieher des Wirtschaftskrieges zu suchen?

Die Ambitionen Brüssels, die Ukraine in die EU aufzunehmen, gehen Hand in Hand mit einer Eskalation des neuen Kalten Krieges. Im Juni 2015 billigte der US-Senat Waffenlieferungen im Wert von 300 Millionen Dollar an die Ukraine. Zusätzlich hat die NATO nach Osteuropa „schnelle Eingreiftruppen“ verlegt, neue Basen in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Bulgarien eingerichtet. Weitgehend unbeachtet beschloss das ukrainische Parlament “ im Juni 2015 die Stationierung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen. Diese Vorgänge sind eine verhängnisvolle Provokation an die Adresse Moskaus. Atomraketen vor der Haustür Russlands würden die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten sinken lassen.

Das Vorspiel zur totalen Konfrontation sind immer Handels- und Wirtschaftkriege, weshalb sie möglichst schnell zu beenden sind. Der Militärisch-industrielle Komplex ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden in unserer Zeit. Im Kriegsfall würden deutsche Tornado-Piloten im Rahmen der Nato-Strategie der so genannten „Nuklearen Teilhabe“ Angriffe mit US-Atombomben fliegen. Offenbar sind die Poltiker nicht in der Lage sich vorzustellen, dass Deutschland im Fall eines Nuklearkrieges in eine Atomwüste verwandelt würde.

 Der österreichische Jurist Georg Zanger hat auf ein bisher kaum diskutiertes Thema aufmerksam gemacht, das auch die internationale Korrumpiertheit im Rechtswesen beleuchtet. Schon im Semptember 2014 veröffentlichte er in der österreichischen Zeitschrift „Wirtschaftsblatt“ einen sensationellen Artikel, in dem es unter anderem heißt: „Die EU ist in beispielloser Unterwürfigkeit zu den USA auf den Zug der Sanktionen gegen Russland voll aufgesprungen. Sie droht nicht nur ihren Mitgliedern, sondern auch Drittstaaten wie Serbien mit Konsequenzen, wenn sie sich den Sanktionen nicht anschließen. Das erinnert an die Drohungen der USA, Maßnahmen gegen jene Staaten zu ergreifen, die das gegen Kuba erlassene Embargo durchbrechen. Dass Wirtschaftssanktionen ohne Beschluss der UNO oder der Welthandelsorganisation (WTO) völkerrechtswidrig sind, stört niemanden. Die Sanktionen belasten nicht nur Russland, sondern treffen vor allem auch die europäische Wirtschaft. Sie schwächen die EU gegenüber den USA.“ (Georg Zanger: EU-Sanktionen – Eine beispiellose Unterwürfigkeit. Wirtschaftsblatt, 2. September 2014)

Georg Zanger ist Spezialist für Völkerrecht und weiß daher, wovon er redet. Alle WTO-Mitglieder, zu denen sowohl die USA wie auch die EU und Russland gehören, seien dazu verpflichtet, den Handel untereinander in keiner Weise zu behindern. Die Sanktionen seien daher ein massiver Verstoß gegen Völkerrecht und WTO-Recht durch die USA und die EU. Russland klagt daher bei der WTO gegen die Sanktionen, ebenso wie einzelne durch die Sanktionen benachtteiligte Firmen beim Europäischen Gerichtshof. Sie könnten sich aber nach Zanger auch am WTO-Verfahren Russlands beteiligen. Auch Klagen auf nationaler Ebene seien möglich. Die Immunität schütze Regierungsmitglieder der die Sanktionen exekutierenden Länder nicht vor Schadenersatzklagen.

Der deutsche Volkswirt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, hat über die gravierenden wirtschaftspolitischen Folgen der Sanktionen einen scharfsinnigen Artikel geschrieben. (Folker Hellmeyer: Die USA werden gegen die Achse Moskau-Peking den kürzeren ziehen. Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 24. Juli 2015) Der Schaden durch die Sanktionen sei für die EU-Staaten enorm und viel umfassender, als es die Statistik sage. Europäische Länder mit starkem Russlandgeschäft – wie z.B. Österreich und Finnland – litten konjunkturell massiv. Das treffe, weil diese Länder weniger ordern, indirekt auch Deutschland.

Im Grunde könnten sich die USA ihren Militärapparat, welcher derzeit mehr als 610 Milliarden US-Dollar verschlingt, garnicht leisten. Die Ausgaben für diesen Moloch sind der Hauptgrund für die enorme Verschuldung der Vereinigten Staaten, die derzeit bei mindestens 17.000 Milliarden Dollar liegt. Der iranischstämmige Wissenschaftler Mohssen Massarrat, emeritierter Professor für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück, schreibt dazu: „Im Grunde finanzieren die USA die Kosten für den Militärisch-industriellen Komplex nicht mit Steuergeldern der eigenen Bevölkerung, sondern mit der kumulierten Kaufkraft aus der ganzen Welt.“ (Mohssen Massarrat: Der Militärisch-industrielle Komplex ist die größten Bedrohung für den Weltfrieden in unserer Zeit. NachDenkSeiten, 21. Oktober 2015) Massarrat hat das ein „unglaublich hinterhältiges Finanzierungsmodell“ genannt. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist ein Teil davon.  

 

Benevento Publishing
Quelle

Wolfgang Hingst 2017 | Webseite

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