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IPCC-Sonderbericht: „Die 1,5 Grad zu halten ist praktisch ausgeschlossen“

Geo-Engineering ist der falsche Weg zum Klimaziel, sagt Mojib Latif. Der Kieler Klimaforscher fordert anlässlich des heute erschienenen IPCC-Reports einen Turbo bei der Energiewende und plädiert für ein Denken in Kreisläufen. Interview von Joachim Wille

Klimareporter°: Herr Professor Latif, wie realistisch ist es, die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen? Und wie wichtig?

Mojib Latif: Die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist praktisch ausgeschlossen. Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist trotz des Pariser Klimaabkommens nach drei Jahren Stillstand 2017 wieder gestiegen.

Ist denn wenigstens das Zwei-Grad-Limit noch drin?

Ja. Das würde aber bedeuten, dass wir die Wirtschaft etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts kohlenstoffneutral machen. Danach müsste es „negative Emissionen“ geben, das heißt: Wir entfernen mehr CO2 aus der Luft, als wir in sie emittieren.

Was müsste geschehen, um das zu erreichen?

Wir benötigen zum einen eine viel stärkere Dynamik bei der Einführung der erneuerbaren Energien. Zum anderen müssen wir technische Möglichkeiten entwickeln, um CO2 aus der Atmosphäre sinnvoll zu nutzen.

Wie könnte es zu einem solchen Schub kommen? Und welche Staaten könnten dabei vorangehen? Die Achse China-USA, die 2015 den Pariser Klimavertrag möglich machte, ist ja mit Präsident Trumps Wahl zerbrochen.

Hier sind Länder wie Deutschland gefragt. Wir besitzen das Know-how und die finanziellen Mittel. Couragierter Klimaschutz fördert Innovation und sichert unsere wirtschaftliche Zukunft. Eine Win-win-Situation.

Der frühere Klimavorreiter Europa hat sich für 2030 CO2-Ziele gesetzt, die für einen 1,5-bis-zwei-Grad-Pfad zu schwach sind. Wie sind die Chancen, dass die EU hier nachbessert?

Die Chancen stehen leider schlecht. Es gibt zu viele konkurrierende Interessen. Polen setzt weiterhin sehr stark auf die Kohle, Frankreich auf die Atomkraft. Es sieht nicht so aus, als wenn sich Europa in den kommenden Jahren auf den Weg in eine nachhaltige Energieversorgung macht.

Welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Deutschland schwächelt beim Klimaschutz und ist kein Vorreiter mehr. Die Treibhausgasemissionen stagnieren seit Jahren auf hohem Niveau. Deutschland wird sein selbstgestecktes Klimaschutzziel verfehlen, die Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken.

Die Energiewende kommt nicht richtig in Schwung. Sinnbild dafür ist das krampfhafte Festhalten an der Braunkohle. Im Bereich Mobilität passiert gar nichts, und auch im Agrarbereich tut sich zu wenig.

Viele Experten sagen: Die weltweite Bepreisung des Treibhausgases CO2 ist das richtige Mittel, um die Emissionen schnell zu senken. Geben Sie dem eine Chance?

Das wäre in der Tat ein probates Mittel. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der CO2-Preis im Rahmen des europäischen Emissionshandels in den letzten zwölf Monaten von zirka sieben auf über 20 Euro gestiegen ist.

Meine Hoffnung ist, dass der Preis weiter steigt. Dann würde er auch die gewünschte Lenkungswirkung entfalten.

Wenn es so schwierig ist, die Emissionen zu senken, wäre es dann nicht besser, zwei Grad anzupeilen und viel mehr Geld in die Anpassung an den Klimawandel zu stecken – also in höhere Deiche an den Meeren, trockenheitsresistente Landwirtschaft, bessere Krankenversorgung?

Wir in Deutschland können uns die Anpassungsmaßnahmen leisten, andere Länder jedoch nicht. Zudem würden die Auswirkungen einer Erwärmung von zwei Grad in vielen Ländern deutlich schlimmer ausfallen als bei uns. Eine derartige Strategie würde die Ungerechtigkeit auf der Welt dramatisch vergrößern.

Der Weltklimarat IPCC setzt darauf, dass es möglich sein wird, Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre zu holen, um die Erwärmung zu bremsen. Welche Methoden eignen sich dafür?

Wir werden wahrscheinlich nicht umhin können, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Wir sollten das Gas aber nicht lagern, weder auf Land noch in den Meeren. Man kann CO2 nutzen, um zum Beispiel erneuerbares Erdgas zu erzeugen. Auf jeden Fall müssen wir in Kreisläufen denken.

Doch die vorgeschlagenen Wege zur Erzeugung von „negativen Emissionen“ bringen auch neue Probleme – die von vielen befürwortete Aufforstung zum Beispiel schafft Konflikte mit der Nahrungsmittelerzeugung. Sind die lösbar?

Die Aufforstung wird meiner Meinung für den Klimaschutz überbewertet. Sie wird das Klimaproblem nicht lösen können. Denn es gibt bei der Aufforstung auch Effekte, die erwärmend wirken. Der Nettoeffekt könnte recht klein sein. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch positive Effekte der Aufforstung gäbe, etwa bezogen auf die Artenvielfalt.

Der IPCC sieht das sogenannte Geo-Engineering skeptisch, also den Versuch, die Sonneinstrahlung auf die Erde zu vermindern oder das CO2 zu binden – etwa durch Einbringen von Schwefelverbindungen in die Atmosphäre oder das Düngen von Algen in den Meeren mit Eisen. Kann es nicht sein, dass so etwas irgendwann doch notwendig wird?

In den letzten Jahren wurde intensiv zu diesem Thema geforscht. Eine jüngst veröffentlichte Studie einer Gruppe internationaler Wissenschaftler zeigt deutliche Defizite dieser Maßnahmen auf. Mit jeder dieser Methoden sind zahlreiche Unsicherheiten verbunden, was die Kosten, die Risiken für das Erdsystem und die Gesellschaft sowie das Kühlungspotenzial betrifft.

Keine der vorgeschlagenen Geoengineering-Techniken könnte innerhalb der nächsten Jahrzehnte in globalem Maßstab eingesetzt werden. Es führt kein Weg an der massiven Verringerung der CO2-Emissionen vorbei.

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Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2018 verfasst – der Artikel darf nicht ohne
Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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