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Arno Gruen: “Wider den Gehorsam”

In zahlreichen Veröffentlichungen hat sich der Psychoanalytiker Arno Gruen mit den psychologischen Ursachen für Gewalt und Fremdenhass, mit den Voraussetzungen für Autoritätsgläubigkeit und Demokratie beschäftigt.

Nun wurde im vergangenen Herbst ein neues Buch des inzwischen 91-Jährigen publiziert. „Wider den Gehorsam“ stellt eine Art knappe Zusammenfassung seiner wichtigsten Erkenntnisse dar.

Gruen geht davon aus, dass Gehorsam ein weitverbreitetes Phänomen, ein nicht zu leugnender Aspekt unserer Kultur sei. Das hänge damit zusammen, dass die mit dem Gehorsam verbundene Unterwerfung unter den Willen eines anderen bereits in frühester Kindheit beginne, „lange bevor Sprache und Denken sich ordnen, so dass der Gehorsame später seine Unterwerfung während der Kindheit gar nicht wahrnimmt und sie erduldet, ohne sich dessen bewusst zu sein.“

Die Wurzel des Gehorsams sieht Gruen also in der frühesten Kindheit, als wir den Erwachsenen, die uns versorgten, die uns aber auch ihren Willen aufzwangen, ausgesetzt gewesen seien. „Diese Erfahrung bedroht jedes kindliche Selbst, das sich gerade entwickelt. Kinder, deren Willen auf diese Weise gebrochen wurde, entwickeln einen verhängnisvollen Gehorsam gegenüber Autoritäten.“

Seine jahrzehntelange Arbeit mit Patienten und sein Verständnis geschichtlicher Entwicklungen hat Gruen zu folgender Überzeugung geführt: „Die Basis unserer ‚Hochkultur’ ist das Bestreben, die Welt im Griff zu haben, sie zu besitzen, zu beherrschen und gleichzeitig für Mechanismen zu sorgen, die eine Verleugnung und Verschleierung dieser Motivation bewirken. Diese Verschleierung basiert auf dem Motto: Wir verfügen über dich, weil es zu deinem Besten ist.“

„Fest verankerte Konventionen verführen zu reflexartigem Gehorsam, veranlassen uns, Obrigkeiten nicht in Frage zu stellen, verleiten uns zur Hingabe an vorgegebene Programmierungen, zu Gruppendenken und machen uns schließlich unfähig, selbst zu denken und selbstbestimmt zu handeln.“

Gehorsam werde so zum psychologischen Mechanismus, durch den individuelles Handeln an politische Zwecke gebunden werde. Es sei der Zement, der die Menschen an Autoritätssysteme binde und tiefverwurzeltes Verhalten erzeuge, das ethisches Empfinden und Mitgefühl zunichte mache.

Allerdings und glücklicherweise trifft dieser kritiklose Gehorsam laut Gruen nicht auf alle Menschen zu. Verschiedene Untersuchungen hätten gezeigt, dass etwa ein Drittel der Menschen in unserer Kultur weder kritiklos noch gehorsam seien. „Das gibt Hoffnung: Mitgefühl und menschliche Zuwendung widerstehen nicht nur dem Gehorsam und treten ihm entgegen; sie können Gehorsam auch zurückdrängen“, so Gruen. „Das Überleben des Menschen hängt von unserer Fähigkeit ab, Mitgefühl und Liebe zu leben und nicht von Gehorsam abhängig zu sein oder zu bleiben.“

Dabei müsse der Kampf gegen den Gehorsam nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit den Gefühlen ausgetragen werden, die dem verblendeten Gehorsam zuwiderliefen. Damit sei Empathie gemeint, unsere Fähigkeit, mitfühlend auf unsere Umwelt einzugehen.

Das Buch des Psychoanalytikers und Gesellschaftskritikers Arno Gruen zeigt auf eindrückliche Weise, dass es der Gehorsam ist, der die Demokratie und sogar das Überleben der Menschheit gefährdet. „Gehorsam ist destruktiv. Gehorsam grenzt das Denken ein und verneint die Realität. Die Ganzheit der Wirklichkeit lässt sich nicht auf das eingrenzen und einengen, was nur die kurzsichtige Perspektive der Mächtigen widerspiegelt.“

Demgegenüber werde eine bessere Welt dort sichtbar, wo der verblendete Gehorsam aufgebrochen werde und sich in echte zwischenmenschliche Empathie verwandle. „Mut, Herz und offenes Denken sind die Kräfte, die den Gehorsam besiegen.“

Das neue Buch von Arno Gruen ist ein lesenswerter Aufruf gegen den verblendeten Gehorsam. Und für ein Leben zugunsten einer gerechteren, menschlicheren Welt. Eine Welt des Miteinanders statt des Gegeneinanders.

Arno Gruen: Wider den Gehorsam
Arno Gruen „Wider den Terrorismus“
Erscheinungstermin 16.03.2015

Arno Gruen, am 26. Mai 1923 in Berlin geboren, emigrierte er 1936 mit seinen Eltern in die USA, wo er 1961 als Psychoanalytiker bei Theodor Reik promovierte. Er war als Professor und Therapeut an verschiedenen Universitäten, Kliniken und in seiner Praxis tätig. Seit 1979 lebt und praktiziert Arno Gruen in der Schweiz.

In seinen zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigt sich Arno Gruen mit den psychologischen Ursachen für Gewalt und Fremdenhass, mit den Voraussetzungen für Autoritätsgläubigkeit und Demokratie.

Im Jahr 2001 erhielt Arno Gruen den Geschwister-Scholl-Preis. Am 7. August 2010 wurde ihm in Finnland der Loviisa Peace Prize verliehen.


Video
 „Das Mitfühlen ist die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens.“ (Arno Gruen) Gespräch mit dem Psychoanalytiker zu den Themen Empathie, Schmerz und Zusammenleben.

 

Video Mitgefühl und Empathie sind Begriffe, die die Debatten um die Zukunft der Menschheit bestimmen. Der große alte Mann der Psychoanalyse rückt diese wieder ins Zentrum des Bewusstseins.

 

Video Das Milgram-Experiment soll die Bereitschaft durchschnittlicher Personen testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.

Quelle

Lebenshaus Schwäbische Alb | Michael Schmid 2015

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