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Der ambulante Schlachthof oder Wie man Politiker wieder das Fürchten lehrt

Die letzen Geheimnisse der Bundesrepublik. Eigenlob und interessante Fundstellen. Zu einer Geschichte von und über Journalisten, und dann noch vom Spiegel. Von Rupert Neudeck

Manches riecht zu sehr nach Eigenlob, weshalb das ein bisschen die Lust an der Lektüre mäßigen kann. Es ist eben nicht nur ein Journalist, der dieses Buch mit drei bombastischen Titeln schreibt. Er ist auch noch ein Journalist des einzigartigen Nachrichtenmagazins Der Spiegel und er war zusätzlich auch noch der Leiter des wichtigsten Büros, der Hauptstadtbüros.

Das Eigenlob explodiert immer wieder mal. „Der Spiegel hatte …Augen und Ohren überall, auch in der Parteizentrale, im CDU Bundesvorstand, im Parteipräsidium, in der Führung der Bundestagsfraktion, im Bundeskabinett. Überall da, wo Kohl Vertraulichkeit und Geheimhaltung angeordnet hatte“. Ein Programm, wie es sich der Chef des BND nicht mal träumen ließe. Denn das ist ja nur ein Beispiel, Augen und Ohren haben diese Journalisten ja auch in den anderen Parteien, Landesregierungen, Verbänden usw. Es sind Mischungen von nachträglichen Indiskretionen oder auch einfachen Konstruktionen. Der Gipfel ist dieses Kapitel schon, weil der damalige CDU-Bundespräsident dem Dioskurenpaar Klaus Wirtgen und Dirk Koch das Bundesverdienstkreuz verleihen wollte. Da fingiert der Autor ein Telefongespräch der Juliane Weber, berüchtigte Leiterin des Büros des Bundeskanzlers Kohl und dem Staatssekretär Wilhelm Staudacher: „Staudacher, seid ihr denn jetzt total verrückt geworden?“

Das ist ein guter Anlass, noch mal mit Helmut Kohl fertig zu werden, mit dem sie damals nicht so gut fertig wurden. Die lange Reihe derer, die sich von Kohl abgewandt hatten, Dissidenten gleichsam, reichte bis hin zu seiner Ehefrau Hannelore. Das wissen wir ja mittlerweile noch ausführlicher von Heribert Schwans Enthüllungsgeschichte über die Frau des Kanzlers. Beim Tanzen bei einer Festlichkeit – bei der ja wahrscheinlich nicht Siegel-Journalisten eingeladen wurden – soll Hannelore jemandem beim Tanzen gesagt haben: „Wissen Sie, worauf ich stolz bin in meinem Leben? Dass ich meine Kinder alleine großgebracht habe, ohne den da!“

Immerhin gibt der Autor zu, dass der „alleswissende Spiegel“ sich mächtig geirrt hat. 1978 gab es die Titelgeschichte „Kohl Kaputt“. 1982 wurde Kohl Kanzler und blieb es geschlagene 18 Jahre lang. Das Titelwort vom „ambulanten Schlachthof“ stammt vom Medienberater des Kanzlers, dem konservativen Fernsehmann Gerd Bacher. Bacher warnte Kohl vor den beiden: „Sie Herr Doktor Kohl seienS‘ vorsichtig. Der Koch und der Wirtgen, das ist ein ambulanter Schlachthof“.

Wirtgen und Koch, das waren ganz offenbar Instanzen in der Zeit der Bonner Republik. Ich kann mich erinnern, wie sehr es dem damaligen Bundesarbeitsminister und MdB Norbert Blüm bei manchen Reisen wichtig war, dass der Wirtgen dabei war. Den beiden geht auch nicht das Spielerische aus. Da ja nun der Kohl mit dem Spiegel und seinen Journalisten nichts zu tun haben wollte, wurden sie auch nicht zu den Reisen eingeladen. Es war übrigens eine halbe Mythos-Legende, dass der Kohl den Spiegel ignorierte. Der Berater des Kanzlers Ackermann las dem Kanzler jede Woche bei Erscheinen des Spiegel am Telefon vor.

Nun gab es einen ersten Besuch in Rom, beide Spiegeljournalisten werden gestrichen von der Liste der begleitenden Journalisten. Die beiden waren aber trotzdem nach Rom gekommen und hatten es über den ARD Fernsehkorrespondenten geschafft, in den Quirinalspalast hineingeschmuggelt zu werden. Als Licht und Tontechniker für den Korrespondenten. Als Kohl hereinkommt, vergeht dem Kanzler plötzlich alle Fröhlichkeit. Er hatte die beiden entdeckt. Kohl sagte kein Wort mehr. Ob das so stimmt, kann niemand nachprüfen. Aber es ist auf jeden Fall eine gute Geschichte. Wirtgen hatte die guten Kontakte zu den CDU-Höchststellen und ihm ist es zu danken, dass die illegalen Spendenpraktiken Kohls aufgedeckt wurden.

Nachträglich bekommt der legendäre Spiegel-Chef Rudolf Augstein auch noch einige Kritik vor den Bug geknallt. In einem der am besten geschriebenen Kapitel wird es einem fast gruselig; als jemand die Unterlagen zur Parteispendenaffäre des Grafen Lambsdorff dem Spiegel hergeben will und dazu einen besonderen Parkplatz in der Tiefgarage unter dem Domplatz wählte, kommt es dann dazu, dass diese Dokumente als echt erkannt werden, die Geschichte geschrieben wird und – nicht erscheint. Rudolf Augstein bestellte den Koch nach Hamburg für Montag ein. Dort kam es zu einer denkwürdigen Philippika des Spiegel Bosses: Ob der Koch den Spiegel kaputt machen wolle. „Was ich da anrichte, sei viel gefährlicher für die Existenz des Blattes als die Spiegel Affäre“ von 1962. Augstein war vom „Grafen Silberkrücke“ angerufen worden. Der hatte Wind bekommen von der Geschichte und Parteifreund Augstein hatte die Geschichte selbst aus dem Blatt genommen. Er versuchte mit Schmeichelei und Drohung den Koch dazu zu bringen, von der Geschichte Abstand zu nehmen. So als ob wir sie vergessen könnten. „So blieb es, der Text wurde nicht gedruckt. Augstein, Mitglied der FDP, hat den Daumen draufgehalten“. Fünf Wochen.

Doch in den fünf Wochen wurde das Ausmaß der Spendenaffäre erst deutlich. Und es wurde bekannt, dass alle Politiker wie Beamte wie reiche Unternehmer in einem Gesetzentwurf der CDU/CSU straffrei gestellt werden sollten. Dann drohte auch noch mal der Koch dem großen Augstein: Wenn die Geschichte jetzt nicht erscheine, dann würde er den Spiegel verlassen und zum Stern gehen. Am 7. Dezember 1981 erschien dann die Geschichte: „Dann kann man sie nicht mehr hängen“. Die Amnesty wurde in letzter Minute verhindert. Lambsdorff verlor sein Ministeramt, musste 180.000 DM zahlen und kam nie wieder zu richtigen politischen Ehren und Würden.

Aber es kommt nicht zu einer Pauschalschelte gegen den Augstein. Der habe seinen Fehler später in einer Buchpublikation eingestanden. Das nächste Mal war es im Fall des Staatsministers Jürgen Möllemann, der ebenfalls ein Parteifreund Augsteins war. Doch auch mit Möllemann ging es dann zu Ende, sowie die grande dame der FDP Hildegard Hamm-Brücher es ihm prophezeit hatte: „Sie, Herr Möllemann, sind eine tragische Figur wie einst im Altertum“, sein Abstieg war unausweichlich. Er hatte nach der Reise nach Saudi Arabien als Wirtschaftsminister die Zustimmung des Exportes von 36 Fuchs-Panzern der Firma Thyssen, zehn ABC-Spürpanzern, 14 Mannschaftswagen, acht Ambulanzpanzern, vier Kommandopanzern nach Saudi Arabien gegeben. Da flossen Schmiergelder: 8,93 Mio DM. Auch Möllemann schwamm im Geld, Villa auf Gran Canaria. Am 5. Juni 2003 – eine halbe Stunde, nach dem der Bundestag ihm die Immunität wegen des Verdachts massiver  Steuerhinterziehung aufgehoben hatte, sprang der erfahrene Fallschirmspringer aus dem Flugzeug in 4000 m Höhe, löste am Ende den Reserveschirm nicht. Möllemann sprang in den Tod.

Eine weitere Geschichte, bei der nur noch Spekulation bleibt, ist der Transport des Stammheim Häftlings Baader in den Tagen, da die Lufthansa Landshut in Mogadiscio landet. Helmut Schmidt äußerte sich damals: „Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, dass sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben“. Was kann er gemeint haben. Es soll – das ist in dem Buch der Gipfel der Spekulation, eine Flugreise mit dem Stammheim-Häftling Baader nach Mogadiscio hin und wieder zurückgeflogen worden sein. Es ging darum, dass der Hauptteil der GSG 9 Truppe nach Mogadiscio es schaffen würde und zum Schein auf die Forderung der Entführer eingehen sollte, in Deutschland einsitzende Terroristen im Austausch gegen Landshut Geiseln frei zu lassen. Man habe zum Beweis den RAF Terroristen Andreas Baader auf dem Flugfeld den Entführern gezeigt. Baader sei  noch in der Nacht nach der Befreiung der Geiseln wieder ins Gefängnis Stammheim zurückverfrachtet worden. Baader wurde dann am nächsten Morgen, am 18. Oktober 1977, mit Kopfschuss in seiner Zelle tot aufgefunden. Aber es gibt bis heute keinen handfesten Beleg für diese Geschichte. Ben Wisch, Hans Jürgen Wischnewski, verweigerte eine Antwort, ging laut lachend davon, als der Spiegel-Mann davon bestätigend wissen wollte.

Manchmal – das ist denn wieder eine allgemeine journalistische Regel – soll man nicht alles berichten, was man erfahren, gesehen, gehört hat. So erzählt der Autor, dass er in dem Sonderzug des damaligen Kanzlers Willy Brandt sitzt, der am 18. März 1970 nach Erfurt abfährt, abends. Im Speisewagen des Kanzlerzuges brauste an dem Abend eine Party. Ein ranghoher Beamter stellte sich schwankend auf den Tisch und rief alkoholisiert: „Wie fühlen wir uns? Wie auf dem Polenfeldzug“. Das hätte das Ende der Reise bedeuten können, wenn das alles gleich weltweit berichtet worden wäre. Aber es war auch technisch – lange vor der Erfindung des Mobiltelefons – fast unmöglich hier in Beiseförth zu telefonieren. Es kam zu dramatischen Szenen, wo sich die Bevölkerung von Stasi und Polizei nicht mehr einfangen lässt. Erst gegen Mittag hatten Stasi und Vopo die Innenstadt unter Kontrolle. Linientreue Demonstranten waren herangekarrt worden, die skandierten „Hoch – Hoch – Hoch, es lebe Willy Stoph“.

Der Autor will das auch als ein Beispiel gegen den falschen Grundsatz benutzen, den Hajo Friedrich aufgestellt hatte. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“. Das ist und bleibt ein falscher Grundsatz. Warum sollte ein Journalist sich nicht mit einer Sache gemein machen, wenn er sie für gut hält?  Deshalb schließt er das Kapitel: Alle die nichts über die Entgleisung im Sonderzug berichtet haben, haben sich mit einer guten Sache gemein gemacht.

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Westend VerlagWestend/privat | Dirk Koch, Jahrgang 1943, war zwischen 1973 und 1997 Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros in Bonn. Er deckte 1981 die Flick-Spendenaffäre auf, in deren Folge Otto Graf Lambsdorff zurücktreten musste. Dirk Koch begleitete ab 1969 Helmut Schmidt auf seinen Reisen nach Moskau, der dort Wege einer Entspannungspolitik erkunden wollte, und fuhr 1970 mit Willy Brandt in dessen Sonderzug Richtung Erfurt, um der DDR den ersten Kanzlerbesuch abzustatten. Dirk Koch lebt in der Nähe von Bonn und in Irland.
Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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