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Berlin Verlag | "Alles, was mit dem Islam zu tun hat, ist zur Tragödie geworden."

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Der Islam, der uns Angst macht

Auch Muslime müssen Angst haben vor diesem Islam. Zu einer bewegenden Streitschrift des arabischen Autors Tahar ben Jelloun. Von Rupert Neudeck

 

Das ist ein sehr einfühlsames Buch. Tahar ben Jelloun hat als Muslim und Marokkaner ein Buch darüber geschrieben, dass man Angst haben kann vor dem Islam. Allein der Titel erreicht den Nerv der Sorgen unserer europäischen Gesellschaften. Ein wichtiger Teil des Buches ist ein fiktives Gespräch mit seiner Tochter. Die Tochter kann sich vorstellen, dass sich die Muslime in Frankreich nach den Anschlägen des 7. Januar 2015 gegen die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo schlecht fühlen. Der Vater und Schriftsteller bestätigt das. Es habe auch Schüler an 70 Grund- und Sekundär-Schulen gegeben, die sich geweigert hätten, die unschuldigen Opfer zu ehren. Aber diese Zahl sei auch unbedeutend, denn es gäbe in Frankreich 64.000 Grund- und Sekundärschulen. Er versucht auch Verständnis zu wecken für die jungen Leute, die derart an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, dass sie eine „geschlossene Gesellschaft mit eigenen Regeln und Gesetzen entwickelt haben“. Die Polizei dringe in bestimmte Viertel nicht ein, sie halte das für zu gefährlich.

Aber Tahar ben Jelloun bestätigt: Man muss Angst haben vor jenen, die sich dieser Religion Islam bedienen, um zu herrschen und die anderen zu unterdrücken. Wenn die Europäer die Situation der Frau sehen, sind sie schockiert, wenn die Scharia in ihrer ganzen Härte angewandt wird, wie z.B. wenn die Hand eines Diebes abgehackt, die ehebrecherische Frau gesteinigt und einem wegen eines kleinen Verbrechens zum Tode Verurteilten der Kopf abgeschlagen wird. Das macht Angst und zieht Gräben zwischen uns und jenem Islam.

Der Autor hat Marokko verlassen und ist nach Frankreich gegangen, weil er dort arbeiten kann. Er kennt die Rattenfänger. Die werben besonders in Gegenden, wo die Lage der Afrikaner aussichtlos ist.

Der Dschihadismus rekrutiert massenhaft in den spanischen Enklaven Ceuta (im Viertel El Principio, einem rechts- und gesetzeslosen Banden überlassenen Gebiet) und in Melilla. Angesichts der Perspektive einer Überfahrt mit wenig Erfolgsaussichten akzeptieren viele Afrikaner und Nordafrikaner das Angebot der Werber und reisen über gut strukturierte Netzwerke in die Territorien des Islamischen Staats im Irak und Syrien mit einem Zwischenstopp in Libyen, wo sie in Militärlagern ausgebildet werden.

Im Kapitel „Im Zeichen des Bösen“ macht sich der Autor daran, sich in den Kopf von Mohamed Merah zu versetzen, der am 22. März 2012 erschossen wurde, nachdem er kaltblütig sieben Menschen, darunter drei jüdische Kinder vor ihrer Schule in Toulouse ermordet hatte. Das ist dann ein richtig literarischer Text, der über die Lage dieser jungen Menschen mehr aussagt als jede Umfrage. „Aus meiner Festung heraus beobachte ich die armen Schweine meiner Rasse; die hängen herum, arbeitslos, streifen durch die Straßen, niemand schert sich um sie. Sie werden jede Minute älter und grauer. Scheiße, worauf warten die bloß, um zu reagieren, dieses Scheißfrankreich anzuzünden, das uns wie Müll behandelt? „ Er kennt die Fälle eben jenen Merah, Mohammed, aber auch den Mehdi Nemmouche, der am 24. Mai 2014 im Jüdischen Museum von Brüssel vier Menschen erschoss und zuvor offenbar zu den Folterern der vier französischen Journalisten gehört hatte, die sich monatelang in der Gewalt des IS befunden hatten. Die zwei Journalisten Nicolas Henin und Didier Francois hätten Nemmouche identifiziert. Der Autor zitiert Emil Cioran, der sagte: es sei ganz natürlich, dass Jugendliche sich für radikale Ideen begeistern und dem Fanatismus verfallen. Es liege in Frankreich eine langwierige Arbeit vor uns: Das Problem muss von der Wurzel angepackt werden. Die Leere und Wahnwitz produzierenden Vororte müssen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt werden.

Ein weiteres Kapitel widmet Taher ben Jelloun dem wahnsinnigen Unterfangen von George W. Bush, der die ganze arabische Welt in die Luft gejagt hat, in dem er im Kern des Irak Tabula Rasa gemacht hat, die Polizei und Armee aufgelöst und die Gefängnisse geöffnet hat. Der IS – schreibt der Autor – habe Al Qaida längst an Brutalität überholt. So mußte Herve Gourdel, ein 55jähriger Bergführer aus Nizza, sterben, weil er in Tizi Ouzouf in der Kabylei in die Hände von Banditen gefallen war. Er wurde im September 2014 von Soldaten des Kalifats des Kalifen al Bagdadi geschlachtet. Der Beweis für die Aktionen des IS war die Enthauptung des unschuldigen Bergwanderers Herve Gourdel.

Die Brutalität begann am 29. August 1966, als Gamals Abdel Nasser den Intellektuellen und Führer der Muslimbruderschaft Sayyid Qutb hängen ließ. Damit war er ein Märtyrer. Damals, so Tahar ben Jelloun, war der Islam noch keine Kriegswaffe. Der Junge Gaddafi kam am 29. September 1969 mit einem Staatstreich an die Macht und finanzierte auf der ganzen Welt terroristische Vereine. Seit Ende der 70er Jahre setzen sich die Begriffe Dschihad in den Kämpfen durch und steckten sogar die palästinensische Revolution an, die vorher nie die Religion als Kampfideologie eingesetzt hatte.

Das Erfrischende an dem Autor und seinem Buch: er weiß nicht gleich immer alles. Er kann auch sagen, das weiss ich nicht. Es sei schwer, gegen den Fanatismus zu kämpfen. Gerade jetzt sähen wir das in Ägypten und in Tunesien. Dort in Tunesien haben die Laizisten, die sich für ein wirkliches demokratisches System einsetzen, mit den Salafisten zu kämpfen. Die Niederlage der Vernunft sei auch die des Humanismus, „der im Koran festgeschrieben ist“. Der Begriff der „Unverjährbarkeit des Koran habe eine „Starre hervorgebracht, die im Widerspruch steht zur Aufforderung, sich Wissen anzueignen, wie das in mehreren Versen des Koran dargelegt ist“.

Der Autor kritisiert die westliche, die US-amerikanische, und noch mehr die russische Position in Bezug auf Syrien und den IS. Als die syrischen Bürger sich am 16. Februar 2011 mit ihren Protesten gegen das Regime in Damaskus wandten, reagierten die westlichen Mächte nicht, auch nicht „als die Armee von Assad in die Menge schoss und Häuser von Zivilisten bombardierte“. Als sich der Oppositionsrat im Ausland gründete, bekam er ein wenig politische Unterstützung, aber weder Waffen noch Geld. Er bekam vor allem nicht die Waffen, die er benötigt hätte, um gegen die Angriffe Assads vorzugehen. Der größte Fehler der USA und Europas war die Festsetzung einer roten Linie, und als die überschritten war, weiter nichts zu tun.

Im August 2013 habe Assad „wahrscheinlich auf Anraten Putins“ mehrere Tausend Syrer darunter viele Kinder vergast. Die Welt war empört und erwartete unmittelbare Reaktionen. Doch nichts geschah. Man belehrte Assad, zwang ihn, die restlichen Waffen zu zerstören und ignorierte dann Zehntausende durch konventioneller Waffen getötete Menschen. Das sei ein Sieg für Baschar al Assad und ein Sieg für Putin gewesen. Putin habe durch sein Veto jede Verurteilung der Verbrechen seines syrischen Freundes verhindert. Tahar ben Jelloun beklagt das syrische Volk, das kein Glück hat mit dieser Familie und dem Clan Assad. Die UN-Resolution 2118 des Sicherheitsrates, die die Giftgaswaffen Assads zerstören lassen soll, ist lauwarm. Assad bleibt ungestraft. „Er kleidet sich anständig, rasiert sich jeden Morgen, ruft seine Frau und seine Kinder an, um sich zu erkundigen, ob sie gut geschlafen haben, dann setzt er sich mit seinem Bruder zusammen und plant ganz banal die nächsten Massaker“. Die Vernichtung der Chemiewaffen aus syrischen Beständen ging schneller als erwartet. Aber das wird die Hunderte schlafender in Wirklichkeit toter Kinder nicht lebendig machen. Taher ben Jelloun wird an dieser Stelle sarkastisch: das wahrscheinlich von einem KGB Offizier inszenierte Komplott habe funktioniert. „Schmeißen wir ein wenig Gas auf die Bevölkerung, das wird ein Skandal, Staatschefs werden wüten, dann können wir den Einsatz konventioneller Waffen normalisieren und niemand übt mehr Kritik. Wir sind beruhigt: In Syrien wird niemand mehr unter Vollnarkose sterben. Das nenne ich Fortschritt.“

Die Grundfrage, die sich der Autor immer wieder neu und schmerzhaft stellt. Ist die Gewalt integraler Bestandteil des Islam? Man könnte dieser Frage, so meint er, ausweichen, in dem man auf die Gewaltgeschichte der katholischen Kirche verweist. Aber das wäre nur ein trickreiches Manöver. Denn der Islam predige Frieden und Toleranz, kultiviert humanistische Werte. Doch nie hat der Islam Selbstmord als Mittel empfohlen, um Massaker zu begehen, nie habe der Islam vorgeschrieben, man solle Geiseln nehmen und sie enthaupten, um schwache oder böswillige Köpfe in die Irre zu führen.

Tahar ben Jelloun „Der Islam, der uns Angst macht“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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