‹ Zurück zur Übersicht
Siedler Verlag

© Siedler Verlag

Franz Josef Strauß: Ein Leben im Übermaß

Franz-Josef Strauß – Kaiser von Bavaria Auch diese Biographie behandelt nicht die Tragödie des Politikers. Von Rupert Neudeck

Fast die schönste Episode dieses in seinem ganzen Leben nie saturierten Politikers ist die Zusammenarbeit zwischen Plisch und Plum (Strauß und Karl Schiller). Die entsprechende Stelle aus dem Buch von Wilhelm Busch galt damals kontrafaktisch geradezu als die schönste Phase im Leben beider Politiker, aber besonders des immer auf Hochtouren rasenden und einigermaßen bärbeißigen Franz Josef Strauß.

„Jeder möchte vorne stehen /Um entzückt hinauf zu spähen/.

Hat sich Plisch hervorgedrängt / fühlt der Plum sich tief gekränkt.

Drängt nach vorne sich der Plum / Nimmt der Plisch die Sache krumm.“

Das Buch beginnt mit der Verlobung und der Trauungszeremonie des 42-jährigen Strauß mit der jüngeren Marianne Zwickelnagl, Tochter eines Honoratioren aus der bayerischen Lebens- und Großbürgerwelt. Das, was im Mittelstück des Buches die „zwei Corollarien“ genannt werden, sind wichtige Zwischenstücke im Leben des nicht saturierten Politikers aus dem bayerischen Urgestein. Einmal war er auch im Hafen der Ehe nicht zu bändigen und wusste sich nicht anders zu helfen, als mal nach Links zu schielen. Ulrike Pesch hieß die ganz offenbar auffallende Schönheit in Gestalt einer jungen Tochter einer mit den Straußens bekannten Familie aus Köln-Marienburg. Es war wie es so oft ist: Es soll nichts gewesen sein, aber die Marianne spürte das natürlich ohne gerichtsnotorische Beweise zu haben. Die Ehe lag jedenfalls schwer im Argen und Marianne dachte – wie ihr Tagebuch erheischt – oft an Trennung.

Der Autor hat mehr Taktvermögen und ist freier in der Aufarbeitung des bayerischen Politiker-Urviechs als der erste Biograph, der zu stark aus dem CSU Mief kam. Auch historiographisch ist das Buch beachtlicher. Einmal kann er als erster die Geschichte der GmbH und Ko AG enthüllen, die sich die beiden Straußens als Beratungsfirma zulegten mit dem Rechtsanwalt Reinhold Kreile als Teilhaber und Geschäftsführer. .

Eigentlich – wenn man das Buch zu Ende liest – ist dieses Leben eine einzige Tragödie. Der Mensch FJS hat alles nicht erreicht, was er sich mit einer berserkerhaften Kühnheit erobern wollte. Aber diese Tragödie ist nicht das Thema dieses Buches. Es gibt den Verwicklungen und Händel im bundesdeutschen Staats- und Parteiapparat zu viel Raum. Es bleiben viele Fragen offen, was ihm außer machtpolitischem Kalkül das C, das Christliche bedeutet hat, bleibt ganz unklar. Ob überhaupt etwas, oder nur taktisches Kalkül. Den Gegenspieler Kohl hat er als solchen nicht gesehen, sondern ihn nur verachtet. Es heißt so schön im Schlusskapitel: Es sei schwer zu bestimmen, wen Strauß innerlich mehr ablehne: Kohl oder Genscher.

Mit Genscher könne sich Strauß noch streiten, aber mit Kohl? Eine Schlüsselszene wird berichtet: Nach der Europawahl streiten sich Strauß und Genscher heftig in Anwesenheit von Kohl, dem das zu viel wird. Er geht. Darauf Genscher zu Strauß: „Warum sollten wir weitermachen, wenn er nicht zusieht?“ Lachten beide, bestellen noch ein Bier und einen Schnaps und gingen friedlich ihrer Wege.

Die schwierigste und für das Image von Franz Josef Strauß gefährlichste Phase war zwischen 1955 und 1962. Am 15.10.1955 erklärte Theodor Blank seinen Rücktritt, den Strauß in stummer Verachtung begleitete, weil er natürlich wusste, dass er der einzige Verteidigungsminister des neuen Bundesrepublik Deutschland sein musste. Von Anfang an wollte er die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen. Er legte die Westverträge vom 5. Mai 1955 ganz minimalistisch aus. Als das Auswärtige Amt damals die Wiederaufnahme der Atomwaffenversuche durch die UdSSR kritisierte und darauf verwies, dass die deutsche Bundesrepublik das einzige Land sei, das freiwillig darauf verzichtet habe, „jemals nukleare Waffen herzustellen“, rief das den neuen Minister auf den Plan. Rigoros beschied er die Außenpolitiker. „Die Bundesrepublik hat lediglich darauf verzichtet, A-, B-, und C- Waffen auf ihrem Gebiet zu produzieren“. Außerdem müsse das nicht bis in dies Ewigkeit gelten, „dieser freiwillige Verzicht“, fügt der Altphilologe hinzu, gelte nur unter der Klausel „rebus sic stantibus“, also nur, wenn sich die Verhältnisse gleichbleiben. Wie gefährlich der Mann war, war in den Jahren bis 1962 an allen Ecken und Enden deutscher Politik zu merken. In einer Rede in einem Kaff in Oberfranken Hollfeld sagte er am 12. November 1956: Man lebe in einem technischen Zeitalter, „in dem die vereinigte Stärke unserer Bundesgenossen ausreicht, um das Reich der Sowjetunion von der Landkarte zu streichen“. Da diese Regel der Westverträge ja so galt, nahm er auch geheime, untergründige Beziehungen zur französischen Atomindustrie auf auch im damals noch französisch besetzten Algerien, so in Colom-Bechar.

Gefährlich war auch Konrad Adenauer, der wahrscheinlich das Feld noch naiver betrachtete. Es gäbe, sagte der große Vereinfacher, den Unterschied zwischen taktischen und großen atomaren Waffen. Letztere kämen für die Bundeswehr nicht in Frage. Dann aber kamen hanebüchene Sätze, die man von einem Bundeskanzler lieber niemals gehört und gedruckt lesen möchte: „Die taktischen Waffen sind nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie. Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neuste Entwicklung mitmachen“.

Er war wahrscheinlich für jeden Wirtschafts- oder Gesellschaftsbetrieb, in dem es auf Teamwork ankommt, ein unerträglicher Zeitgenosse, konnte mit der ihm angeborenen Mischung von Eitelkeit und Überheblichkeit gepaart mit rasanter Intelligenz seine Mitarbeiter zur Weißglut treiben, wenn sie ihm nicht im Wortsinn unterwürfig waren. Er konnte die Mitarbeiter quälen. Einen Brigadegeneral, der schon in Russland gekämpft hatte, Müller-Hillebrandt, ließ er am 16. 9. 1958 antreten, aber läßt ihn eine halbe Stunde warten. Dem platzte dann der Kragen. Er meldet sich in der Ermelkeilkaserne ab. Statt Müller-Hillebrandt anrufen zu lassen, schickt der Minister ihm die Feldjäger ins Haus, die ihn ins Ministerium zurückbringen. Das sind kleine Anzeichen für einen nicht nur kleinen Diktator, dem dann auch weder seien Intelligenz noch seine Bildung helfen.

Zwischendurch hat dieser Autor das Format, in der Betrachtung dieses im Innersten zwiespältigen Macht-Politikers Friedrich Nietzsche zu zitieren. Zitat: „Jedes Talent ist ein Vampyr, welcher den übrigen Kräften Blut und Kraft aussaugt, und eine übertriebene Production kann den begabtesten Menschen fast zur Tollheit bringen“. Das wirkt wie auf den Nachfahren aus Bavaria gemünzt. Da dieser Franz Josef Strauß eben nicht dumm, sondern ausgesprochen klug, intelligent war, war er an wenigen Orten seiner Biographie auch zu einer schonungslosen Selbsterkenntnis in der Lage, die sich dann auch ironisch drapierte: „Ich hoffe, es geht dem deutschen Volk nie so schlecht, dass es glaubt, mich zum Bundeskanzler wählen zu müssen“.

Er war ein Meister und Fanatiker des freien Wortes. Er ließ sich nicht durch allzu korrekte Korrekturen einschließen und einschränken. Es war eine heiße Zeit, in der viele junge Menschen, Studentinnen und Studenten die Anarchie und das Chaos probten, und das mit Genuss. Viele, nicht einmal alle Gegner der APO, hatten darunter sehr zu leiden, versteckten das aber vornehm unter dem Muff der Talare von früheren Jahrhunderten. Strauß versteckte sich nie. Und als es in der fränkischen Bischofsstadt unter Anleitung von Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann zu einer Attacke auf das Landratsamt kam und die schönen Verwaltungsakten aus dem Fenster geschmissen wurden, da war es für den Strauß zu viel. Er setzte an zu einem der Dicta in der politischen Arena, die man dann nicht mehr vergaß: „Diese Personen nützen nicht nur alle Lücken in den Paragraphen des Rechtsstaates aus, sondern benehmen sich wie Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist“. Das war sicher nicht der gewollte Faschismus, der aus dem Munde eines Vollblutpolitikers kam, aber es konnte als faschistisches Bekenntnis umgemünzt werden, wurde es auch. Denn Franz Josef Strauß hatte im Wahlkampf zur Wahl am 28. September 1969 so viele Hindernisse zu nehmen, dass ihm das nicht nur links vorbeigegangen ist. Überall geifert und brüllt es: „Sieg Heil! Strauß nach Oberammergau! Strauß in den Zoo!“

Die Wahl geht – die CDU und CSU sind fassungslos – verloren, einige haben es jahrelang nicht begriffen, denn sie, die Christdemokraten stellen den geborenen und neugeborenen Kanzler der Republik, doch nicht die unzuverlässige SPD!

Das Zwischenspiel mit Ulrike Pesch wird beendet, weil sie zum Studium in die USA geht. Im Sommer verlegt die Familie ihren Sitz von Bonn nach Rott am Inn nach München in eine große Hochhauswohnung mitten in der Stadt. Es gilt eine zweite Chance, auch für die Ehe wahrzunehmen und die Kinder, und sie nutzen sie. Der Autor hält sich zurück und weiß natürlich nicht, was eine geglückte Ehe ist, was eine glückliche. Dass das Eheglück schon äußerlich zeitweise an einem seidenen Faden hing, ist unübersehbar. Umstände haben die Trennung verhindert. Und so hilft dem Autor auch nicht die maritime Metaphorik, die aber verräterisch eindrucksvoll erscheint. Der vorliegende Fall eines Schiffsbruches im Hafen bedeutet nicht unbedingt den Untergang.

Zwischendurch fragt sich der Leser, ob das Lesevergnügen nicht ein wenig größer geworden wäre, wenn manche Abschnitte im Leben des FJS etwas weniger ausführlich behandelt worden wären. Es werden dann die Stimmen auch nicht ausreichend eingeführt, in dem Sinne, dass sie wichtig wären oder eben nur His Masters or his Party’s voice waren. Der geradezu hypertroph zitierte Friedrich Voss ist da so ein Beispiel, während man natürlich aus der bloßen Erwähnung eines Satzes von Golo Mann zugunsten von FJS mehr erfahren würde: Warum stand der Thomas Mann Sohn auf der Seite des Münchener Urgesteins? Der Satz allein, der zitiert wird, hat es in sich: Golo Mann fragt, ob es nicht infam sei, wenn Henri Nannen, “in seiner Jugend ein rüstiges Werkzeug des Dr. Goebbels, heute den Franz Josef Strauß den Dr. Goebbels unserer Zeit nennt?“

Das Buch ist nicht die kritische Biographie, die es noch geben muss, aber vielleicht noch mehr von den Zeitzeugen beteiligt werden müssen. Der Autor hat sein Buch in der fast gleichen  Länge der Partei orthodoxen Biographie von Horst Möller (829 Seiten) geschrieben.

Es gab damals in der Bonner Republik wirklich merkwürdige Phänomene mit schwarzen Kassen. Man könne das in dem Geflecht der Parteienfinanzierung mit legalen und illegalen Methoden sehr gut studieren, das bis weit in die Ära Kohl durchaus branchenüblich war.

Manche Dinge kommen zu kurz, weil sie auch noch mal den bis zum bitteren Ende nicht gezähmten Ehrgeiz des eitlen FJS belegen. Der Autor erwähnt nur 1984 die Reise nach Albanien. Das war aber eine Reise in ein „Nicht-Genscher Land“. Immer dann wenn FJS sich herausnehmen konnte Außenpolitik zu machen, machte er es. So war er mit dem Leiter der Daimler Benz-Zentrale in München unterwegs nach Griechenland und entdeckte, dass da ein Land dazwischenliegt, in dem der ewige Außenminister Genscher noch nicht mit einer Botschaft vertreten war. Strauß nahm im Handstreich mit der total allein gelassenen Führung des albanischen Steinzeitkommunismus Kontakt auf und ließ gleich vor allen anderen eine Zentrale der Hanns-Seidl Stiftung in Tirana einrichten. So ähnlich machten Straß und der Freistaat Bayern Außenpolitik in Afrikas Ländern. Als Dieter Grossher damals im ZDF einen Film platzierte von einer halben Stunde über „Die Weißwürste am Äquator“ wurde der Film erst mal aus der Erstausstrahlung herausgenommen, weil an den in dem Film zitierten Äußerungen von Franz Josef Strauß noch manipuliert wurde. In Togo galt die Fleischfirma Merz aus Rosenheim als der totale Monopolist des Fleischmarktes, nicht weil die Bauern dort nicht auch Fleisch produzieren konnten, sondern weil das Fleisch dank der Subventionen billiger war als das Fleisch der afrikanischen Landwirte. Ganz besonders beliebt machte sich der deutsch-bavarische Nebenaußenpolitiker und Jäger Franz Josef Strauß bei seinen demonstrativen Besuchen in dem vom Apartheidregime geschluckten Namibia, aber auch in sog. Homelands, Bantustans, die Südafrika als Reservate für die Schwarzen Stämme eingerichtet und gern als sog. Souveräne Staaten von der Staatengemeinschaft anerkannt gesehen hätte. Eine kritische Biographie würde den Anlauf zu der einzigen realen Möglichkeit für den Franz Josef Strauß, an die Spitze der Bundesrepublik zu kommen, doch anderes ausfächern. Es war natürlich nach der „Spiegel-Affaire“, nach allen Extravaganzen, die die Bayern schon sowieso politisch am Leib hatten, ihr Chef aber noch gewaltig mehr, nachträglich gesehen, fast aussichtslos, dass der Kandidat gegen einen so klaren und vorzüglichen Staatsmann wie Helmut Schmidt sich durchsetzen würde.  Auch für einen fortschrittlichen CDU Anhänger, auch einen Linkskatholiken wie es Blüm ja nun mal war, war es schlicht unmöglich, dass der bayerische Zampano sich jetzt die Bundesregierung zu eigen machte. Die Phalanx der Gegner war groß genug. Für andere hat der Autor sehr kantige Attribute parat: Genscher sei ein „politischer Fummelkünstler ersten Grades, dessen politisches Gemäuer mit unzähligen offenen Hinter- und unsichtbaren Tapetentüren ausgestattet ist. So klar aber auch so hässlich kann der Autor in Bezug auf sein Hauptsubjekt-Objekt nicht werden.

Besonders tragisch, um das noch mal aufzunehmen, was das Buch nicht enthüllt: die Tragödie dieses Größtpolitikers, der in keiner Frage wirklich eine große Rolle spielte und sich am Schluss noch mal heftig danach sehnte. Immerhin hätte er als naturwissenschaftlich Versierter in der Frage der Atomenergie eine Rolle spielen können, aber er tat es nicht. Die Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 hätte Strauß noch mal ein großes Comeback bescheren können. Strauß‘ Adlatus Innenminister Zimmermann geht mit den dümmsten Aussagen hausieren, die zur Intelligenz von Strauß einfach nicht passen können: „Eine Gefährdung (von Tschernobyl) gibt es nur in einem Umkreis von 30 bis 50 km um den Reaktor herum“. Das verschlägt, wie der Autor schreibt, nicht einmal im Hause Strauß, wo Tochter Monika gerade hochschwanger ist und sich über die möglicherweise kontaminierten Lebensmittel, insbesondere die Milchprodukte sorgt. Und dann noch der Auftritt in Moskau, kurz vor der großen Wende, die dann der von ihm verachtete Helmut Kohl macht, denn er ist dann schon tot. Aber es war fast so, als ob er noch einmal mit dem Milliardenkredit und dem Abstecher von Honecker bei seinem Besuch in der Bundesrepublik nach München große Weltpolitik machen wollte. Und dann noch mit dem von ihm selbst gesteuerten Flugzeug  zwischen Weihnachten und ´Neujahr 1987  nach Moskau. Alles scheint darauf hin zu deuten, dass Strauß den  weltpolitischen Wandel versteht. Besser noch als Kohl, der sich ja anfangs in Gorbatschow ganz irrt und ihn als neuen Goebbels tituliert.  

Wenn man sich das Bild von dem bulligen Strauß und dem Theo Waigel und Gerold Tandler und Edmund Stoiber ansieht, kann man sich so richtig vorstellen, dass das Tragische im Leben jetzt aufhört und er sich als der bewähren und beweisen kann, der er immer schon war. Jetzt in Moskau am Ende 1987 haben die Welt und hat Deutschland ihn erkannt und lässt ihn losmarschieren. Am 3. Oktober 1988 stirbt Franz Josef Strauß, ein total unerfülltes Leben.

Peter Siebenmorgen „Franz Josef Strauß. Ein Leben im Übermaß“ – online bestellen!

Siedler Verlag
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren