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Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

Russland wollen wir verstehen, aber können wir Putin vertrauen? Zu einer Streitschrift von Gabriele Krone-Schmalz. Von Rupert Neudeck

Ist das ein Generalangriff der ex TV-Journalistin auf den eigenen Beruf und die schlechten Sachwalter des Journalismus zumal im Bildmedium Fernsehen? Oder ist es eher ein Generalangriff auf die Westliche Politik, die der US-amerikanischen blind folgt? Es ist wahrscheinlich beides. Ich kann vieles von dem, was die Journalistin Krone-Schmalz aufdeckt, wichtig und gut finden und ihr auch folgen. Für die Meinungsbildung ist das gewiß ein nicht unwichtiges Buch. Es fehlt mir bei der Gleichsetzung der beiden Blöcke aber doch eine Beobachtung. Die von Krone Schmalz behauptete Gleichförmigkeit der Interessenpolitik von Putin und Obama und der jeweiligen Satrapen hat eine Schramme. Die effektive Politik  Moskaus hat in einem Monat die ukrainische Krim völkerrechtswidrig von Russland schlucken lassen. Gleichartig wären die Politik West und Ost nur, wenn die USA und Brüssel Polen ermutigt hätten, gleichzeitig – oder geradezu als Rache – die russische Enklave Kaliningrad in das EU-Territorium einzuverleiben.

Der zweite ist ein semantischer. Russlandversteher ist nicht das Schimpfwort gewesen, sondern „Putinversteher“. Niemand wird sich dagegen verwehren, Russland verstehen zu wollen. Und für diesen Zweck gibt das Buch von Krone-Schmalz eine gute Basis. Das Buch lebt davon, dass der Autorin nicht gefolgt wurde, die schon damals unter Jelzin den Verfassungsbruch nicht sehen wollte. Immer wieder zitiert sie sich selbst schon aus der Zeit, als sie von 1987 bis 1991 in Moskau für die ARD war. „Ich habe damals in einem Vortrag dazu gesagt“…, „Ich habe damals…, ich versuche mir gerade die westliche Reaktion vorzustellen…“. Putin ist jemand, der nun von allen im Westen schlecht behandelt und falsch eingeschätzt wird. Immerhin war er ja, das ist ein Erbübel, der Ziehsohn von Boris Jelzin. „Ich versuche mir vorzustellen“, wie der Westen reagiert hätte, wenn Putin Vergleichbares ankündigen würde. „Beim Einsatzbefehl gegen die Verschanzten im Weißen Haus musste Jelzin nichts Böses aus dem Westen befürchten“. Putin aber beim Einsatzbefehl für russische Konvois, Waffen und Soldaten in die Ukraine doch.

Das ist dennoch eine wichtige These, die von der ehemaligen Korrespondentin der ARD in Moskau Gabriele Krone-Schmalz vertreten wird. Der Westen hat auf die Gefühle einer amputierten Supermacht nicht hilfreich und klug genug reagiert in den letzten 25 Jahren. Aber das Buch ist nicht gewinnend geschrieben. Das „Ich“ beherrscht dieses Buch, es ist wie wenn sich jemand beklagt, dass er nicht mehr zur Geltung kam. Man kann ja für Klappentexte nichts, aber ein Text auf der hinteren Umschlagseite des Buches ist unfreiwillig komisch: „Als eine der führenden Russland Experten Deutschlands ist sie regelmäßig im Fernsehen zu sehen“. Außer Bundeskanzlerin und dem Außenminister und der Verteidigungsministerin ist wohl niemand regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Es ist schade, dass die Autorin gegen einen Popanz von Begriff ankämpft, der in der öffentlichen Debatte gar nicht vorkam. Natürlich müssen wir uns um Russland bemühen, es verstehen wollen. Wie wir China, ja selbst Nordkorea versuchen müssen zu verstehen.

Die Expertise ist, wenn man andere kritische Geister aus Russland selbst bemüht, auch nur bedingt tauglich. „Ohne Führung lief in Russland nichts“. Die Rolle des Natschalniks, des Chefs, desjenigen, der das Sagen hat, sei viel stärker verankert, als man hierzulande glauben möchte und was für ein Glück, dass jemand an der Spitze steht, „der sein Land nach vorne bringen möchte und bei der Versorgung nicht in erster Linie seine ‚Familie, seinen Clan im Auge hat“. Das ist eine gute Haltung, die Verhältnisse in den gewachsenen Umständen zu erklären. Auch gilt das für andere Kontinente, Lateinamerika und besonders Afrika, wo man manchmal schon sehr zufrieden ist, wenn sich eine Regierung wirklich um das Wohl einer ganzen Bevölkerung kümmert, auch wenn sie nicht demokratisch lupenrein ist.

Ob der Westen wirklich seine Glaubwürdigkeit bei der russischen Bevölkerung so total verloren hat wie das die Autorin meint: daran habe ich Zweifel. Dafür gibt es andere Stimmen aus Russland, die das Land nicht nur auf einem guten Pfad sehen. Was die Autorin nicht verstehen will, ist die vielleicht ausweglose Debatte darüber, dass wir natürlich einerseits Russland verstehen wollen, andererseits aber Völker haben, die ihren eigenen Weg gehen wollen und denen auf Grund der Völkerrechtsordnung ja auch ein souveräner Wille zusteht. Wenn Krone-Schmalz schreibt: besser als von Umstürzen a la ‚Orangene Revolution‘ und ‚Arabischer Frühling‘ zu träumen, „die auf Knopfdruck einen ‚Regimechange‘ herbeiführen, der mehr mit geopolitischen Interessen als mit dem Einsatz für Menschenrechte zu tun hat“, sei es, die Staaten in einer Ordnung zu belassen. Sie verkennt damit den Arabischen Frühling, der ja genau das war, was auch auf dem Maidan authentisch war: Ein wirklicher Aufbruch eines jungen Volkes (die Hälfte der Bevölkerung bis 25 Jahre alt), ein direkt-demokratischer und auch außerparlamentarischer Weg, den man für schwierig halten kann, dem man aber nicht so platt die Legitimation aberkennen sollte, wie das die Autorin tut.

Es stört mich der Stil. Die Formel „Fakt ist“, könnte man zählen, diese Formel, die  bei Walter Ulbricht so sattsam bekannt war, ist hier inflationiert. Ich finde als Leser auch keinen Gefallen daran, wenn mir unterstellt wird, dass in Deutschland bei der Nennung des Namens Putin nur alles Unvernünftige unterstellt wird. Immerhin war der Mann unter der Kanzlerschaft Schröders „everybody’s darling“, er kam in Bioleks Talkshow damals mit seinem Duzfreund Schröder zusammen, eine stärkere Promotion für die deutsche Öffentlichkeit kann man sich kaum vorstellen. Auch Angela Merkel hat von allem Anfang an zu Medwedjew wie zu Waldimir Putin immer auf einen ständigen, fast zu häufigen Gesprächs- und Telefonkontakt gesetzt. Merkel war es, die immer betont hat, dass man die Ukraine nicht vor die Wahl zwischen EU und Russland stellen dürfe.

Der Leser kann ja schließlich nicht seinen Verstand ausschalten und erkennen, dass der Mann da wirklich gern mit Waffen hantiert und dem neuen Militärdiktator General Sisi in Ägypten auch noch eine vergoldete Kalaschnikoff zum Staatsbesuch mitbringt. Das Bild von dem Macho mit dem muskulösen nackten Oberkörper ist nun mal von ihm selbst gesetzt. Und dass er als ‚imperialistischer‘ Christ auch die orthodoxe Kirche in seine Macht-Spiele einsetzt, wird man ja auch kritisch wahrnehmen dürfen. Auch kann ich nicht nur lustig finden, dass sich Russland in Bezug auf Homosexualität und die Anerkennung dieser Veranlagung auf dem Niveau Saudi Arabiens oder Zimbabwes befindet.

Es bleibt wichtig, dass wir uns über verpasste Chancen der westlichen Politik klarwerden, aber einseitig die Schuld nur dem Westen insgesamt zu geben, halte ich für tollkühn. Wie haben sich die beiden deutschen Kanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel immer wieder auch gegen gefährliche Trends auf Russland zubewegt. Aber dass wir als Mitglied der EU auch die Sorgen und Nöte der Baltischen Staaten und unserer Nachbarn Polen und Tschechiens politisch mit ins Kalkül ziehen müssen, scheint mir für eine vernünftige Politik Deutschlands dringend geboten.

Dazu kommt, dass die Autorin durch alle Krisen und Konfliktgebiete mit der gleichen Sicherheit behauptet, dass die russische Position die im Vergleich zu der ausschließlich imperialistischen der USA immer die richtige war und ist. Von Syrien hat sie keine Ahnung. Dass Moskau dem brutalen Herrscher in Damaskus Waffen liefert, was aber nicht in einer russischen Öffentlichkeit und im Parlament besprochen werden muss, ist hier nicht bemerkt. Dass es an die 30.- bis 40.000 Russen und mit Syrerinnen verheiratete Russen in Syrien gibt, erwähnt sie nicht, wo sie aber überall vermerkt, dass es 150 US-Experten in Erbil und in der Ukraine gibt. Und gar nicht zureichend kommt das Drama der authentischen Jungen-Revolte zum Tragen, die man in Ägypten, Tunesien, im Jemen, in Syrien erleben konnte, wenn man dort gewesen ist. In Nordsyrien ist nie ein Agent der US-Firmen gewesen, die in der Tat die Orangene Revolution und die in Belgrad unterstützt haben mögen, aber ohne die eigene Kraft dieser Bewegung hätte auch eine Subvention von außen nichts bewirkt.

Der Zwang, sich von der Realität nicht reinreden zu lassen bei der Apologie für Russland und besonders Putin macht sich in einem Satz bemerkbar: „Hat jemand mit Russland ernsthaft erörtert, wie eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Syrien mit Assad aussehen könnte?“ Da werden sich die Syrer aber freuen, Assad wird allein von Moskau und dem Iran noch gehalten, er ist verantwortlich für die Zerstörung aller wunderbarer Stätten des Islam und der Christenheit, seine Luftwaffe hat das Leben für Millionen Syrer zur Hölle gemacht, aber er hält sich nur, weil Russland ihn hält. Sind die neuen Machthaber besser als die alten? Wer bitte, sollte das entscheiden. Russland hat dort eine Militärbasis, die es verständlicherweise nicht aufgeben will. Russland hätte einen guten Deal mit der Opposition und der FSA machen können und damit die Beibehaltung der Marine-Basis erreichen können.

Die nunmehr russische Provinz Krim ist Ergebnis einer Sezession, die in Ordnung ist, so die Autorin, keine Rede vom Völkerrecht. Diese Sezession will sie aber im Interesse der Moskauer Regierung nicht den Kosovaren zubilligen, die ja auch ‚nur‘ eine Sezession machen wollten, von ihrem Unterdrückerland Serbien. „Muss man nicht stutzig werden, wenn im Umfeld der Maidan Unruhen der Sohn von Joe Biden zum Direktor einer Firma ernannt wird, die auf Zypern ansässig ist, einem ukrainischen Oligarchen gehört und sich mit Gastgeschäften befasst?“ Doch, solle man, aber das hat mit den Sorgen eines Landes, dem man die Souveränität im Osten abknabbert durch russisches Militär, nicht viel zu tun. Ist auch der tonus rectus einer Verschwörungstheorie, die sie wirklich ausbadet: Die Luftschläge der USA im Nordirak sind ausgeführt, um das Leben der 150 US-Amerikaner in Erbil/Nordirak zu schützen. O heilige journalistische Unschuld.

Warum auch lässt die Autorin das entscheidende Wort aus, absichtlich natürlich, wenn sie den Satz von der größten Katastrophe Russlands zitiert. Putin hatte von der größten geopolitischen Katastrophe gesprochen, und das Wort und das Attribut „geopolitisch“ ist immer noch faschistisch angehaucht. Deshalb zitiert sie den Satz ohne das Attribut.

Heute wolle niemand mehr wissen, dass der russische Präsident zu Beginn die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die erfolgreiche Entwicklung eines Staatswesens nicht nur erkannt sondern eine Menge dafür getan habe. Was tut er heute dafür? Warum müssen die Revolutionäre in der Ukraine, samt und sonders in der Sichtweise des Kreml und der vom Kreml beherrschten russischen Medien nur Faschisten und althergebrachte Barbaren sein, die Russland Schaden zufügen wollen? Natürlich kann ich das verstehen, dass in Russland noch eine alte Liebe zur Krim besteht, aber als Deutscher rund Europäer fällt mir ja auf, dass wir die alte Ordnung in Osteuropa durch internationale Abkommen wie das von Budapest, durch die Uno-Ordnung, und alle sonstigen internationalen Pakte doch erst mal abgesichert haben. Und die einfach populistisch und mit Hasardeur-Aktionen und faulen Abstimmungen zu killen, ist zumindest für die Sicherheitsarchitektur Europas und der Welt gefährlich.

Was mich stört, ist die non-chalante Rechtfertigung der räuberischen Einnahme eines Gebiets, das – wie gesagt – zum ukrainischen Territorium gehört. Was mich ebenso stört, dass nicht genügend zum Ausdruck kommt, das die europäische Politik zum ersten Mal auf eigenen Füßen steht. Angela Merkel und Hans Walter Steinmeier aber auch Hollande und Fabius sind wirklich bis zur Erschöpfung Wege der Verständigung gegangen, die die Hauptthese des Buches Gott sei Dank dementieren. Da sind politische Kräfte, die der Ukraine genau das ersparen wollen, was Krone-Schmalz so beharrlich anmahnt: Sie darf nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder für die EU oder für die Eurasiatische Wirtschaftsgemeinschaft zu optieren. Und die sechszehn Stunden in Minsk waren gewiss auch ein Beitrag des Westens zum Verständnis Russlands, was denn sonst?

Ich würde niemandem wünschen, in Kiew die Interessen der Ukraine gegenüber den von Moskau unterstützten selbsternannten Republik-Gründern in Luhansk und Donezk zu vertreten. Ich finde es wahnsinnig schwer, Regierung in Kiew zu sein. Und ich finde es nicht unwichtig, neben den ganz legitimen Ansichten, die Krone-Schmalz Russland zugute hält, immer auch nach den Ängsten zu fragen, die es in Estland (30 Prozent russische Bevölkerung, die erst 1940ff dorthin gekommen sind), Lettland, Litauen und Polen gibt bezüglich einer großrussische Politik, die es nötig hat, Flugzeugträger auffahren zu lassen und mit Ägypten, Nicaragua, Venezuela und demnächst Zimbabwe Vereinbarungen über Militärpakte einzugehen. Und die mit den Parteien der Rechtsradikalen in den europäischen Ländern gut und prächtige Beziehungen aufgenommen hat. Ich denke, das müsste in ein Gesamtbild auch hineingehören.

Dabei ist vieles von dem kritischen Blick der Autorin auf deutsche und europäische Medien gut bis hervorragend. Es ist dieses Buch in jeder Weise eine einzigartige Medien- und TV-Kritik vom Besten.

Gabriele Krone-Schmalz „Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“

C.H. Beck Verlag | Russland verstehen
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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