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Klaus Wagenbach Verlag

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Grenzenloser Profit – Wirtschaft in der Grauzone

Wie können wir richtig leben – und gut? Zu einer Beschreibung aktueller Apokalypse. Von Rupert Neudeck

Ein Buch, das auf seine Art der Naomi Klein und ihrem richtungweisenden Buch Konkurrenz machen könnte, wenn der Verlag eine ähnliche großkotzige Werbekampagne führen würde. John Urry hat das alles aufgelistet, was an Größenwahn in dieser Welt mit Geld, mit Steuervermeidung, mit Offshoreinseln, mit Geo Engeneering zutage tritt. Grenzenloser Profit heißt eben auch größerer Profit. Die alten bewährten Strukturen von heimatlichen Gefilden, in denen man das aß, was der Boden in der Heimat hergab und sich wohlfühlte, wo man nicht andauernd zu den Ferieninseln Europas fliegen musste, um dann erschöpft von den Fluganstrengungen wieder an seine Arbeit zu gehen.

Das Buch ist der Anti-Naomi Klein nicht im Sinne von Gegen sondern von Ergänzung. Wer es kürzer haben will, genauso spannend, aber eingezäunt in kürzere und schneller zu lesende Kapitel – wird zu diesem Buch greifen können. Das ganze Buch dreht sich um Offshoring, ein Begriff, den man kaum definieren kann, denn er steckt auf Grund der konstitutiven Geheimhaltung in allem drin, was auch ohne physische Gebäude und Territorien stattfinden kann. Das Konstituierende sind die Geheimnisse und das Prinzip der Geheimhaltung.

Das Buch geht aus von einer neuen Kampfansage, die selbstbewusst und ohne Zögern und damit fast sympathisch der Multimilliardär Warren Buffet gegeben hatte: Ja, sagte er, es gäbe einen Klassenkampf, „natürlich, und meine Klasse, die Reichen, die ihn führen, gewinnen ihn gerade.“ Zack, dass sitzt im Kopf aller Linken und Ökosozialisten und lässt sie nicht mehr schlafen. Aber gut wäre es, das mal zu analysieren, denn wahrscheinlich hat er ja Recht. Offshore Ableger besitzen ganz viele der großen börsennotierten Unternehmen. Wobei sich das Buch an diese kardinale Grundfrage, weshalb es diese Börsen überhaupt geben muss, die wir allabendlich imaginär oder wirklich in den Nachrichten sehen, die ich mir immer ansehe, als würde das Fernsehen eine Kuh mit drei Köpfen zeigen: ein Naturwunder.

Das Buch macht die totale Ungleichgewichtigkeit des Marktes deutlich. Auch wenn wir alles auslagern, outsourcen, bleiben die Unternehmen königlich-britisch oder US-republikanische Besitz- und Management Titel. Der Autor zitiert die Firma Dyson, Weltmarktführer auf dem Feld innovativer Staubsauger. 2002 begann Dyson seine Produktion nach Malaysia zu verlagern, während das Management und die Forschungsabteilung natürlich im britischen Wiltshire blieben. Dyson verstehe sich weiter als britisches Unternehmen und wird von der britischen Regierung auch so behandelt.

So ähnlich zwei Kapitel weiter beim Thema Energie: Der Containerbetrieb von Gütern, die in offshore Bereichen hergestellt wurden, gehe mit einer weltweiten Umverteilung von CO2 Emissionen einher. So habe sich Großbritannien gerühmt, seine  CO2 Emissionen seit 1990 um 18 Prozent vermindert zu haben. Denn die Regierungsbehörde halte wie selbstverständlich daran fest, dass Emissionen aus der Herstellung von Gütern in China, die nach Großbritannien exportiert werden, China zugerechnet werden müssen und nicht Großbritannien. So wird dann mal eine neue quälende Formel gesucht und gefunden, die heißt „verbrauchsbezogene Emissionen“ statt „produktionsbezogene.“ Berücksichtige man nämlich die Importe, die Exporte und internationalen Transporte, so ergebe sich, dass die britischen Emissionen in diesem Zeitraum um 20 Prozent gestiegen sind.

Das Buch durchstreift alle Bereiche der transnationalen Wirtschaft, die sich stärker noch als am Boden auf den Weltmeeren und in der Luft ausbreitet. Öl beginnt erst ab 1901 zu sprudeln, die erste große Ölquelle findet sich in Spindletop in Texas. Ab diesem Zeitpunkt entstand eine auf „Öl beruhende Kultur“, geprägt durch Autos, LKWs, Flugzeuge, ölbefeuerte Schiffe, dieselbetriebene Züge und Ölheizungen. In dieser neuartigen Kultur entwickelten sich neue Strukturen und Aktivitäten, während ältere „auf schöpferische Weise“ zerstört wurden. Die Verlagerung von Aktivitäten in Offshore Zentren, so der Autor, beruhe darauf, „dass der Rohstoff Öl in reichlichem Maße zur Verfügung“ stand. Um 1970, also fast 70 Jahre später erreichte diese Welt und Kultur ihren Klimax, sie war nicht mehr zu stoppen. Bei einem Preis von 1000 US-Dollar pro Barrel belief sich der Wert der bekannten Ölreserven der Welt auf 104 Billionen Dollar und war damit um die Hälfte höher als das Bruttoinlandsprodukt der ganzen Welt.

Es gab lange einen ungeheuren Überschuss an Vorräten der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdgas und Öl, dass man keine Grenzen mehr erkennen konnte. „Es gab einen Überfluss an Energie, gewissermaßen eine Goldmine voller Energie am Ende des kapitalistischen Regenbogens. Es wurde berichtet, dass die Menschheit seit 1900 mehr Energie verbraucht habe als in der gesamten Menschheitsgeschichte vor 1900. Aber das führte zu Veränderungen des Weltklimas, im Mai 2013 überstieg der CO2 Gehalt in der Atmosphäre zum ersten Mal seit 3-bis 5 Millionen Jahren den Wert von 400 ppm. Diese Erzeugung von CO2 Emissionen führte auch zu weiter globaler Ungleichheit. In einem Bericht von World Watch 2010 werde berichtet: „Die reichen 500 Mio. Menschen (= 7 Prozent der Weltbevölkerung) sind für 50 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich, während die ärmsten 3 Mrd. Menschen nur 6 Prozent zu verantworten haben.“

Die westliche Zivilisation war nicht von vornherein den traditionellen Kulturen überlegen. Nicht nur die Aufklärung, die westlichen Naturwissenschaften und das liberale Wirtschaftsmodell hätten diese westliche Zivilisation begründet, sondern auch die von ihr genutzten fossilen Ressourcen, die zunehmend über größere Entfernungen transportiert wurden. Neben rd 5.500 Öltankern und 6.000 Kohlefrachtern wird Energie auch noch durch Rohrleitungen transportiert und durch Kabel, die elektrischen Strom weiterleiten, der aus Kohle, Erdgas, Öl, Wasserkraft und Nuklearanlagen gewonnen wird. Nicht alle Völker seien heute auf offshore Energiequellen angewiesen. Taiwan aber besonders. Das Land ist zu 98 Prozent von dem Import von Energie abhängig.

Aber menschliche Hybris ist weiter am Werk. Die Tiefseeprojekte im Golf von Mexiko, in der Arktis und vor der Küste von Brasilien haben schon 2015 fast ein Drittel der neuen Ölvorkommen ausmachen können. „Wenn aber diese Vorkommen nicht nutzbar gemacht werden können, dürfte sich die globale Energieknappheit verschärfen. Es gibt immer wieder gigantische Ingenieursideen, Geo-Engeneering, die uns weismachen wollen, dass wir fröhlich so weitermachen können, aber es wird immer schwieriger daran zu glauben. Die Katastrophe der Bohrinsel Deepwater Horizon hat schon gezeigt, mit welchen Verlusten die Menschheit rechnen muss, wenn sie weiter auf den grenzenlosen Profit setzt. Weitere Formen sind Ausbeutung aus Schieferöl, die Extraktionsverfahren sind aber so teuer, dass es bisher keinem Unternehmen gelungen ist, eine dauerhafte Schieferölproduktion aufzubauen. Das groß angekündigte Desertec – Projekt in der Sahara über ein ausgedehntes Netz von Solar- und Windkraftanlagen wurden mittlerweile eingestellt… Die Manipulationen der Energieriesen wie Enron reichen an Schwerverbrechen. Es wurden Versorgungslücken durch die Energiekonzerne geschaffen, um den Strom mit einem Preisaufschlag zu verkaufen, manchmal für das Zwanzigfache des normalen Preises. Diese Finanz und Energiekrise kostete 1996 Kalifornien allein bis 45 Milliarden US Dollar. Es wurde dann bekannt, dass Enron Bilanzen manipuliert und fast keine Steuern gezahlt hatten, so dass das Unternehmen unter seinen hohen Schulden zusammenbrach.

Es geht weiter um das Verschieben und Verteilen von Müll, mittlerweile ein globales Problem, es geht um die Drohnen, eine neue Form von Un-Sicherheit. Unglaubliche Zahlen, die man kaum im Kopf behalten kann. Weltweit wird die Zahl der Müllsammler und – Sortierer auf 15 Millionen geschätzt. In Brasilien sei die Recycling Branche auf diese Müllsammler – die catadores – geradezu angewiesen, die bis zu 90 Prozent des wiedernutzbaren Materials finden.

Am Schluss kommt es zu schönen utopischen Folgerungen. Die Katastrophen führen die Menschen manchmal zusammen, begründen neue Nachbarschaften. Wie z.B. während der Hitzewelle 1995 in Chicago. Das allerdings verbindet der Autor auch mit Postulaten. „Eine kohlenstoffarme Gesellschaft muss aus nachbarschaftlichen Verhaltensweisen eine Tugend machen.“ Das geschieht aber nicht durch Analysen, man schafft auch nicht so schnell den Übergang in eine relokalisierte Wirtschaft, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die keinerlei Bindung an transzendente verbindliche Werte hat, sondern nach dem Generationenprinzip lebt: „Nach uns die Sintflut!“ Der Autor zitiert einen Mitkämpfer, David Owen, der einen dreiteiligen Ansatz zur Förderung der kohlenstoffarmen Gesellschaft vorschlägt: „auf kleinerem Fuß leben, enger zusammenrücken und weniger reisen.“ Der Autor meint, dass der Anteil der Führerscheinbesitzer, Autobesitzer und -Fahrer in der jüngeren Generation abnehmen würde. Davon kann ich in meiner Umgebung nichts finden, was das bestätigen würde. Aber ich teile den Ansatz, dass das so sein sollte.

Aber gewiss gibt es bei all diesen Gefahren auch das Rettende, die Initiativen, die gerade in dem Land des dröhnenden Kapitalismus stark werden. Wir müssen mehr Dinge mit weniger Material herstellen. Es muss eine Regionalisierung und auch Lokalisierung stattfinden in allen Bereichen. Eine solche Entwicklung wurde in den USA durch die „Reshoring Initative: Bringing Manufacturing Back Home.“ Darin wird die Methode beschrieben zur Berechnung der Gesamtkosten der Offshore Verlagerung.

Ein Buch, das man nicht unbeeindruckt zur Seite legt, aber sich sagt. Wir müssen das auch TUN, nicht das alles nur einsehen.

John Urry „Grenzenloser Profit – Wirtschaft in der Grauzone“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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