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Korallenriffe – Alarmzustand

Korallenriffe gehören zu den vielfältigsten, artenreichsten und am dichtesten besiedelten Lebensräumen der Erde. Noch gibt es viele davon, doch sie sind akut bedroht. Ein besorgniserregendes, aber zugleich faszinierendes Buch eines Riffexperten – vorgestellt von Professor Udo E. Simonis

Obwohl nur etwa 1 Prozent der Ozeane von Korallenriffen bedeckt ist, beherbergen sie die mit Abstand höchste marine Biodiversität. Schätzungen gehen von bis zu 1 Mio. Arten aus, von denen allerdings nur etwa 65.000 bekannt sind. Peter von Treeck, der fast 15 Jahre an und in Korallenriffen gearbeitet hat, will mit seinem Buch die Bedingungen für die Bildung von solchen Riffen vorstellen, vor allem aber erklären, warum und wodurch diese Lebensräume massiv bedroht sind.

Da ist es wichtig, mit einer plausiblen Begriffsdefinition zu beginnen. Biologen und Geologen definieren ein Korallenriff anhand mehrerer Kriterien: Ein Riff ist eine maßgeblich von Organismen bebaute biogene Struktur, die vom Meeresboden bis zur Wasseroberfläche aufragt, die groß genug ist, um die physikalischen und ökologischen Bedingungen in und an der Struktur zu beeinflussen, die stabil genug ist, um den hydraulischen Kräften der Wasserbewegung zu widerstehen und die einen facettenreichen, kleinräumig strukturierten Lebensraum bildet, der von speziell angepassten Bewohnern besiedelt wird. Ein Korallenriff bildet somit eine belebte, dynamische Struktur mit einem komplexen Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen seinen Erbauern und Bewohnern. Die meisten der existierenden Riffe sind von Steinkorallen aufgebaut worden, die große Mengen an Kalk abzuscheiden in der Lage sind. Das geht in der Regel jedoch nur im Team, was bedeutet, dass die Riffbildner in großer Individuendichte auf engem Raum vorkommen müssen. Neben den Steinkorallen besitzen nur wenige andere Organismen diese Qualitäten.

Der Beschreibung der Steinkorallen, ihrer Anatomie und Morphologie, ihrem Beutefang und ihrer Ernährung, ihrer Fortpflanzung und Entwicklung gilt daher ein erstes langes Kapitel des Buches, das der Autor mit wunderschönen Zeichnungen aus den  „Kunstformen der Natur“ von Ernst Haeckel, dem Gründungsvater der Ökologie, aus dem Jahre 1896 aufmacht. Die ökologischen Ansprüche von riffbildenden Steinkorallen hält er sodann in einem „Steckbrief“ fest, der ganzjährig relativ warmes, klares und nährstoffarmes Wasser voraussetzt, moderate aber ausreichende Wasserbewegung und stabilen Untergrund erfordert, damit die Lage zum Licht und zur Strömungsrichtung nicht verändert wird und der genügend freie Siedlungsflächen hat, die nicht von anderen Meeresbewohnern besetzt sind. Anschließend werden die üblichen Phasen der Riffentstehung  beschrieben und die verschiedenen Rifftypen behandelt –  die Saumriffe, Plattformriffe, Barriereriffe, Atolle und deren jeweilige Morphologie. Dies ist ein weiterer Teil des Buches, der mit vielen schönen Bildern unterlegt ist, unter anderem vom Taiaro Atoll in Polynesien.

Wer an Korallen denkt, denkt zunächst an warme, tropische Gewässer. Doch Steinkorallen findet man in praktisch allen Meeren und in fast allen Wassertiefen. Im Mittelmeer leben zum Beispiel rund  40 Steinkorallenarten, aber an keiner seiner Küsten gibt es Riffe. Die uns am nächsten gelegenen Korallenbänke liegen in und vor den Fjorden Norwegens und der Küste Irlands. Diese befinden sich aber in großer Tiefe (600 – 800 m) und ragen nicht bis an die Wasseroberfläche. Das Vorkommen von Korallen, das will gesagt sein, macht also noch kein Riff.

Ein weiteres Kapitel beschreibt dann im Detail die großen Riffregionen der Welt und deren Provinzen – das Rote Meer, die Riffprovinzen des Indischen und des Pazifischen Ozeans, mit dem Great Barrier Reef, die atlantische Riffregion, mit Bermuda und Karibik, aber auch die Kaltwasserriffe, die erst relativ spät entdeckt wurden. Von der Barentsee entlang des nord-europäischen Schelfsockels von Norwegen und den britischen Inseln über die Biskaya und Spanien bis ins afrikanische Mauretanien zieht sich ein rund 4.500 km langer Saum von Tiefwasserriffen. Manche dieser Korallenbänke sind bis zu 35 km lang und 45 m hoch. Ähnliche Riffgürtel finden sich auch vor der Ostküste Floridas bis hin zu einem riesigen Riffsystem entlang des brasilianisch-uruguayischen Kontinentalrandes.

Das Rote Meer gilt (noch immer) als „Hausriff“ der deutschen Riffforschung. In einem Einschub (S. 63 – 67) werden die frühen Riff-Pioniere Christian G. Ehrenberg und Eduard Rüppel vorgestellt und an die Reisen der MS Xarifa unter Leitung von Hans Hass erinnert. Das Gros der Riffforschung werde heute jedoch in den australischen, südost-asiatischen und karibischen Riffen unternommen und deutsche Beiträge seien – so stellt der Autor bedauernd fest – quantitativ dabei nur noch eine Randerscheinung.

Den Auf-, Um- und Abbauprozessen im Riff sind zwei Kapitel gewidmet, welche die abiotischen und die biotischen Steuerungsfaktoren, die Biomineralisation aber auch die Bioerosion beschreiben – von den internen Bioerodierern (den Bohrern) und den externen Bioerodierern (den Weidegängern) bis hin zu den Bildhauern im Riff, den Papageifischen (S. 93) und den Doktorfischen (S. 125). Papageifische können von einem Quadratmeter Riff pro Jahr bis zu 7 kg Korallenkalk abtragen und zu Feinsediment zermahlen. Viele wunderschöne Bilder bezeugen diese verschiedenen Prozesse im Riff.

Information sei die Voraussetzung für die Teilhabe an und die Übernahme von Verantwortung für das, was wir lieben – heißt es an einer Stelle des Buches. Der Autor will hierzu einen Beitrag leisten, denn auch unser aller (Konsum-) Verhalten, weit abseits der Korallenregionen, entscheide maßgeblich mit über die Zukunft der Riffe.

Ein wichtiges Hilfsargument dazu liefert der Blick auf den Artenreichtum der Korallenriffe, der entsprechend reich bebildert ist (9. Kapitel). Ein anderes wichtiges Argument könnte beim Blick auf die Putzersymbiosen und andere Allianzen entstehen.

Kooperatives Putzerverhalten wurde bei vielen Meerestieren modellhaft dokumentiert (Parasitismus, Kommensalismus, Mutualismus), insbesondere bei der Entfernung von Parasiten und Hautpartikeln von der Körperoberfläche eines Tieres durch ein anderes. Den Menschen als kooperatives Putzerwesen für den Erhalt der Korallenriffe  entdecken, so könnte eine daraus abgeleitete  (hintersinnige) umweltpolitische Botschaft lauten.

Diese Passagen des Buches sind regelrecht spannend formuliert – wie auch die abschließenden Kapitel über die Bedeutung von Korallenriffen für den Menschen (als Baustoff, Küstenschutz, Nahrungsquelle, genetische Ressource und pharmazeutische Schatzkammer, Tourismus), die globale Bedrohung der Korallenriffe durch den Menschen, wie der Klimawandel (mit dem Temperaturanstieg und der Versauerung der Ozeane, der Korallenausbleichung, den El-Nino-Effekten) und die lokale Bedrohung der Korallenriffe durch den Menschen (mit den Baumaßnahmen, der Sedimentation, der Eutrophierung, mit destruktiver Fischerei und unkontrolliertem Rifftourismus). Diese Bedrohung fasst der Autor in einem prägnanten Satz zusammen: „Es besteht kein ernsthafter Zweifel, dass die Korallenriffe … erheblich bedroht sind, und, von wenigen punktuellen Naturereignissenn abgesehen, ist der Mensch der Verursacher“ (S. 167).

In immer kürzeren Abständen wurden extreme Wassertemperaturen gemessen, wodurch es in den Riffregionen zu großflächigem Ausbleichen der Korallen (coral bleaching) kam. Besonders stark betroffen waren davon die Malediven und das Great Barrier Reef, wo in manchen Riffen über 90 Prozent der Korallen ausgebleicht waren. Die Fläche der tropischen Korallenriffe ging in den letzten 30 Jahren insgesamt um ca. 25 Prozent zurück. Weitere 35 Prozent gelten als schwer geschädigt. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) hat bis zum Jahr 2030 einen Gesamtverlust von bis zu 50 Prozent prognostiziert.

Ob es überhaupt noch zu einem passablen globalen Riffschutz kommen wird, diese Frage lässt Peter van Treeck offen – mit der symbolischen Überschrift des Kapitels: „Pläne, Pflaster und Prothesen“. Doch dann fand der Rezensent noch einen Satz, der das inhaltliche Fazit des Autors darstellt: „Man müsste schon ein ausgemachter Optimist sein, wenn man angesichts des globalen Klimawandels eine echte Perspektive für die Korallenriffe, wie wir sie heute kennen, sehen würde“ (S. 189).

Gibt es ein kritisches Wort zu vermelden? Die Leserin, der Leser könnte über ein Wort im Untertitel des Buches stolpern, das man nicht ohne weiteres mit Korallenriffen in Verbindung bringen mag – das Wort „Metropolen“. Doch eine solche Kritik ließe sich leicht entkräften: Wenn die menschengemachten Metropolen an Land so schön und gut organisiert wären wie die natürlichen Metropolen im Meer, bräuchte uns um die Zukunft des Planten Erde nicht bange sein.

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Quelle

Udo E. Simonis 2017 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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