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Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich? Kösel Verlag | 2015

© Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich? Kösel Verlag | 2015

Sind die Menschenrechte westlich?

Zu einer Streitschrift des Philosophen Hans Joas. Von Rupert Neudeck.

Das ist ein Buch, dessen knapper Umfang im diametralen Gegensatz zu seiner Bedeutung steht. Von der Länge her geht das kleine Buch auf zwei große Seiten in der Wochenzeitung Die ZEIT. Aber vom Inhalt her sind das Sprengsätze, die der Autor in unseren manchmal gar nicht bewussten westlichen Triumphalismus hineinsprengt und große heilsame Löcher darin hinterlässt, so dass wir den Triumphalismus ad acta legen müssen. Wir müssen Ihn zumindest für uns revidieren. Die Heiligkeit der menschlichen Person wird von uns Westlern ja ohne ein Wimpernzucken mit der westlichen und eben auch abendländischen Geistesgeschichte ursächlich in einen Zusammenhang gebracht. Das geht manchmal im Zug des Triumphalismus so weit, dass wir Menschen anderer Kontinente und Kulturen für unfähig halten, das Universale der Menschenrechte überhaupt zu verstehen.

Da setzt der Autor an. Man muss nämlich sich fragen, warum einige der angeblich so freiheitsliebenden Völker der nordatlantischen Welt die Sklaverei effektivierten, bevor sie sie dann abschafften. Und es sei weiterhin zu fragen, wie die Folter sich im weiteren Machtbereich der Freiheits-liebenden Völker entwickelte, nämlich in den Kolonien. Der Autor erwähnt die Namen der Schiffe, auf denen Sklaven von Afrika nach Europa oder Amerika transportiert wurden. Die katholischen Nationen,  die ja besonders stark im Sklavenhandel aktiv waren, benutzten häufig die Namen von Heiligen für diese – von heute formuliert – Menschenrechts-widrigen Schiffe: „Nossa Senhora da Esperanca“, “heiliger Sebastian“.  Es gab in den USA ein Schiff „Monticello“, das sich nach der Sklavenplantage von Thomas Jefferson nannte. Es gab auch Schiffe, die sich sans gene, schamlos „Jean-Jacques(Rousseau)“ oder „Voltaire“ oder sogar “Liberte“ sich nannten.

Der Autor rekurriert auf die vorchristlichen Jahrhunderte der sogenannten Achsenzeit. Damit stellt er klar, dass der kulturelle Durchbruch sich in Richtung des moralischen Universalismus nicht nur im antiken Griechenland und Israel, sondern auch in Indien, China und Iran vollzog. „Auf der Ebene des moralischen Universalismus gab es eine Pluralität koexistierender und konkurrierender Formen und die Orientierung am Monotheismus ist keineswegs die einzig mögliche“.

Der Autor verweist auch darauf, wie ein ursprünglicher Radikalismus achsenzeitlicher Werte bald an bestimmte soziale und ökonomische Bedingungen angepasst wurde. Er spricht etwas Gewagtes aus, was den christlichen Westler fast beleidigt: „Hätten die frühen Christen radikal gegen Sklaverei Stellung genommen, wären sie sicher an jeder Ausbreitung ihres Glaubens mit Gewalt gehindert worden“. Das Kapitel über die „Rechtfertigung der Sklaverei“ gibt Aufschluss über das Herumgeeiere der spanischen Hoftheologen bei der Frage, weshalb es Menschen zweiter Klasse gibt und man die mit den Mitteln der christlichen Kolonialwaffen in den ersten Stand erst langsam heranheben muss.

Die kurze Streitschrift bestreitet schließlich die von uns hinlänglich akzeptierte Selbstverständlichkeit, dass die Menschenrechtscharta 1948 nur im Westen (wo sonst?) geboren und oktroyiert werden konnte. Schon in der Kommission, die zu der Charta der Menschenrechte führte, waren zwei nichteuropäische Mitglieder. Einmal der Libanese Charles Malik und der Chinese Peng-chun Chang. Man könnte den Libanesen noch zu uns Westlern rüberziehen, weil er Christ war und in den USA bei Alfred Whitehead promoviert hatte.

Joas: „Die Vorstellung von den Menschenrechten als einem Oktroi des Westens ist schon auf der intellektuellen Ebene der Argumentation des Textes zurückzuweisen“. Der Westen war sich in der Kolonialfrage 1948 nicht einig, aber die Entkolonialisierung der Welt spielte natürlich in den Menschenrechtsdiskursen die entscheidende Rolle.  „Antikolonialisten konnte die europäischen Regierung beim Wort nehmen und ihre menschenrechtlichen Proklamationen gegen sie wenden. Die Kolonialmächte hingegen sahen sich in dem Dilemma, ihre Herrschaftspraktiken anpassen zu müssen und in ihren Wertbekenntnissen unglaubwürdig zu erscheinen“.

Die Schrift von Hans Joas schließt mit dem Verweis auf Guantanamo und Abu Ghraib, die beide zu Symbolen dafür geworden sind, wie rasch unter dem Druck des sog. Wertes „nationale Sicherheit“ der Wert der menschlichen Würde zurückgedrängt werden kann. In der Bekämpfung des Terrorismus scheint es zu Geheimgefängnissen mit Folterpraktiken auch auf europäischem Boden gekommen zu sein. Wenn man als besonderen Teil und Kommentar zu der These von hans Joas den Bericht der US-Senatskommission zu den Folterpraktiken des CIA liest, wird einem das schlechte Gewissen des Westens auf jeder Seite schon durch die Einschwärzungen dokumentiert, mit der man dieses Buch kaum noch lesen kann.

Deshalb ist dieses schmale Büchlein (80 Seiten!) so wertvoll, weil es uns zurechtbringen kann, wie Immanuel Kant gesagt hätte. Wir sind aus dem Triumphalismus längst nicht heraus. Dieses Mal können wir Westler auch nicht mit dem Finger auf die Regierungen zeigen, wir alle sind immer noch nicht selbstkritisch genug bei der Rede von den „universalen Werten“. Wir halten sie in der überwiegenden Mehrheitsmeinung für unseren garantierten westlichen Besitz, den wir der Menschheit übergeben können, wenn sie sich an unsere Formen von Demokratie und liberalen Markt halten.

Hans Joas: Sind die Menschenrechte westlich? Kösel Verlag

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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