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SONNENKRIEGER statt Waffen-Krieger

Das Buch von Naomi Klein stellt uns vor die Schicksalsfrage der Menschheit. Von Rupert Neudeck

 Vielleicht ist es noch nie einer Autorin gelungen, in einem fulminanten Sachbuch, das gleichzeitig ein Notschrei-Buch ist, sich selbst und ihre eigene gelungene Schwangerschaft nach vielen Fehlgeburten einzubringen, als sei das ein wichtiger Teil der Geschichte unserer Tage. Aber vielleicht müssen wir uns auch der Mystik öffnen wie Naomi Klein. Sie erinnert sich an die Exxon-Valdez Katastrophe und fährt noch mal im Paradies für die Sportangler in der Redfish Bay mit einem Boot herum. Sie machen den Motor aus, lassen sich treiben, machen Videoaufnahmen von dem glänzenden Ölteppich, der das Wasser bedeckte.

Plötzlich hat die Autorin das „starke Gefühl, dass wir nicht im Meerwasser schwammen, sondern in Fruchtwasser, mit in einer Massenfehlgeburt zahlloser Arten“. Und die Mystikerin Naomi-Teresa Klein-Avila geht weiter: In diesem Moment habe sie sich von dem Gedanken befreit, dass sie wegen Unfruchtbarkeit aus dem Reich der Natur verbannt wäre. Plötzlich dämmerte ihr, dass sie „wirklich Teil einer riesigen biotischen Gemeinschaft war, in der sehr viele von uns einen harten Kampf ausfochten, um neues Leben zu schaffen“. Sie kann nicht aufhören, im Zeichen ihrer politischen Entscheidung über Fruchtbarkeit zu meditieren.  Die Ärztin sagt ihr, „ich sollte mir eine Brachzeit gönnen, im Gegensatz zu dem mechanistischen, die westliche Medizin beherrschenden Ansatz, mit allen erdenklichen Mitteln das Ziel zu erreichen“ – gegen die Unfruchtbarkeit.

Sie besucht Wes Jackson in Salina/Kansas, dem Institut für Öko-Anbaumethoden. Jackson versuchte, das 10.000 Jahre alte Problem der Landwirtschaft zu lösen. Das Problem bestehe darin, dass die Menschen, seit sie Samen säen und Felder bestellen, dem Boden die Fruchtbarkeit nehmen. Ohne unser Eingreifen wachsen Pflanzen verschiedener Art nebeneinander, gedeihen immer wieder, ihre Wurzeln bleiben erhalten und durchdringen den Boden. Die Wurzeln halten die Erde zusammen, die verschiedene Gewächse erfüllen verschiedene Aufgaben: Leguminosen und Klee, binden Stickstoff, Baustein des pflanzlichen Lebens, während Vielfalt die Abwehr von Krankheiten und invasiven Unkräutern garantiert. Um diese Zeit, schreibt die Mystikerin, sei sie mit ihrem Sohn schwanger geworden. Die größte Herausforderung bestand darin anzunehmen, dass alles normal war.

Ganz gleich, wie viele Tests sie machte, „ich machte mich auf die Tragödie gefasst“. Und wie bekommt eine Mystikerin den Sohn? Sie machte ausgedehnte Spaziergänge, hielt Ausschau nach den silbrigen Junglachsen, die nach Monaten der Entwicklung in flachen Mündungsgebieten die Reise zum Meer antraten, fest entschlossen, die Laichplätze zu erreichen, wo sie zur Welt gekommen waren. „Genau so entschlossen war mein Sohn, sagte ich mir. Offensichtlich war er ein Kämpfer, trotz aller Widrigkeiten zu mir zu kommen“. Und so geschah es.

Das Buch ist ein Alarmruf in letzter Stunde. Die Welt kann so nicht erhalten bleiben, so auch die Menschheit nicht, wenn wir uns weiter an ihr so versündigen wie es die Autorin in den drei großen Teilen mit einer Energie und immer wieder neuer Detailbesessenheit belegt. Es gelingen ihr betörend eindringliche Beschwörungen dieser Haltung, die uns weismachen will, dass wir nur weiter machen sollen wie bisher, aber mit den „grünen Milliardären“ und dem grünen Wachstum. Eine Sofortwirkung des Versprechens des Milliardärs und Fluglinienbesitzers Branson war,  dass man beim Fliegen kein schlechtes Gewissen mehr haben musste – immerhin kam das Geld, das man für das Flugticket nach Barbados bezahlt hatte, Bransons großem Plan zugute, einen umweltfreundlichen Wundertreibstoff zu finden. Diese Vorstellung – so präzise und bewegend schreibt diese Naomi Klein –war „ein noch besseres Gewissens Tranquillizer als der Kauf von Emissionszertifikaten“. Sie zitiert diesen genialen Zyniker: „Wenn man der Industrie Fesseln anlegt, werden uns als Nation die Ressourcen fehlen, um die neuen Lösungen im Bereich der Ökoenergie zu finden“. Sie beschreibt und beschwört uns, nicht mehr daran zu glauben, „dass der Kapitalismus die Welt aus einer vom Kapitalismus hervorgerufenen Krise retten kann“.

Die Ideen sind an sich nicht so schlecht. Zum Beispiel mit den Erlösen einer Branche, die Hauptverursacher der Klimakrise ist, den Übergang zu einer ungefährlicheren, grüneren Zukunft zu garantieren. Nur bleibt das alles in der Theorie, denn wenn die Aktionäre ihren Anteil bekommen, sich die Manager zusätzliche Boni gönnen und Richard Branson einen weiteren Welteroberungsfeldzug starte und sich nicht eine Privatinsel gekauft hat, dann ist kein Geld mehr übrig. Übrigens 66 Prozent der Briten, denen die Britisch Railways durch Virgin, das Unternehmen von Branson, privatisiert wurde und jetzt vor sich hin altert, wollen mittlerweile die „Wiederverstaatlichung der Eisenbahn“. Die Profite der Branchen müssen in das grüne Projekt gesteckt werden, um den Schlamassel zu beenden, den sie angerichtet haben.

Pathetisch beginnt Naomi Klein in einer Einleitung, die das Buch zusammenfasst, ihre Philippika: „Ich habe den Klimawandel länger geleugnet, als mir lieb ist“. Das klingt wie eine rhetorische Formel. Aber das konkrete Beispiel, das sie berichtet, hat nichts Blumiges an sich. Sie sitzt in einem Flugzeug des Fluges 3935 von Washington nach Charleston, South Carolina. Die 35 Passagiere werden aufgefordert, mit ihrem Handgepäck das Flugzeug zu verlassen. Was sehen sie: Die Räder des US-Airways Jets haben sich in dem schwarzen Asphalt eingegraben. Sie steckten dort so fest, dass das Schleppfahrzeug das Flugzeug nicht freibekam. Das war im Sommer 2012 – es war damals so heiß, dass der Asphalt schmolz.

Die Ursache sei das „verschwenderische Verbrennen fossiler Energieträger, genau das, was US-Airways vorhatte, auch wenn ihr der schmelzende Asphalt einen Strich durch die Rechnung machte“. Die Ironie dieser Geschichte, die auch auf die Autorin zurückfällt. Alle Passagiere stiegen wieder in das Flugzeug ein. Und sie folgert: „Wir alle sind bildlich gesprochen Passagiere des Flugs 3935“. Während die Krise auf uns zurast, unser Überleben als Spezies bedroht ist, „macht unsere Kultur einfach weiter genau das, was diese Krise verursacht hat“.

Wie kommt es, dass wir weiter diese Passagiere sind, dass wir mit diesem Widerspruch leben? Wir ziehen uns zurück in diese Form der ökologischen Ein-Aus-Amnesie. „Wir leugnen, weil wir Angst haben, dass sich alles ändern wird, wenn wir die Krise an uns heranlassen“. Die große Krise kommt, alte Kulturen werden von den Fluten verschlungen, unsere Kinder werden einen Großteil des Lebens damit verbringen, vor bösen Stürmen und Dürren zu fliehen. Naomi Klein sarkastisch: „Alles, was wir tun müssen, ist, so zu tun, als hätten wir keine ausgewachsene Krise, weiter zu leugnen, dass wir Angst haben“.

Die Autorin hatte ein Schlüsselerlebnis vor gut fünf Jahren. Sie hörte in Genf im April 2009 bei einem Treffen zur Behandlung der Klimawandels die Botschafterin Boliviens bei der Welthandelsorganisation WTO, Angelica Navarro Llanos. Diese hatte eine Rede gehalten, in der sie eine Massenmobilisierung in nie gekanntem Ausmaß gefordert hatte. „Wir brauchen einen Marshallplan für die Erde. Dieser Plan muss Finanz-Transfers in beispiellosem Umfang enthalten. Er muss alle Länder mit Technologien versorgen, um sicherzustellen dass die Emissionen gesenkt werden“. Dafür hätten wir bis 2019 Zeit, also 10 Jahre damals, sechs sind schon heute, während ich das Buch lese, vorbei. Die junge Bolivianerin hatte Naomi Klein zurechtgebracht, die Krise ist auch eine große Chance für Länder wie Bolivien.

Die Sklaverei brachte für die britischen und US-Eliten keine Krise, bis die Anhänger der Abolition-Bewegung sie zu einer machten. Sexuelle Diskriminierung führte nicht in die Krise, bis der Feminismus sie zu einer machte. Apartheid erzeugte keine Krise, bis die Anti-Apartheid Bewegung sie zu einer macht. Es geht bei der Bekämpfung der Klimakrise auch um den Kampf gegen den Kapitalismus. Unser derzeitiges System versuche immer neu zu privatisieren und aus Katastrophen Profit zu erzeugen. Die Schockstrategie muss überwunden werden. Die Sparpolitik hat zu Massenbewegungen in Griechenland, Spanien, Chile, den USA bis nach Quebec geführt.

Wenn man erkennt, wie heuchlerisch die Klimakonferenzen ablaufen, kann man eigentlich nur verzweifeln. Der junge kanadische Student Anjali Appaduraj hatte 2011 in Durban gesagt: „Ihr verhandelt schon mein ganzes Leben lang“. Um am Ende zusammenzubrechen, und zuzugeben: „Ich hatte wirklich geglaubt, Obama hat‘s kapiert“. In Kopenhagen unterzeichneten die großen Verschmutzerländer eine Übereinkunft mit der Zusage, die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten. Aber das war keine bindende Übereinkunft. Die Weltbank stellte fest, dass wir uns bis zur Jahrhundertwende auf eine 4-grad Erwärmung zubewegen. Und nur optimistische Prognosen gehen davon aus, dass sich die Erwärmung bei etwa 4 Grad einpegelt. Es kann gefährliche Rückkoppelungseffekte geben.

Im Mai 2014 haben Forscher in Irvine entdeckt, dass die Gletscherschmelze in der westlichen Antarktis – einem Gebiet so groß wie Frankreich – mittlerweile unaufhaltsam scheint. Das bedeute den Zerfall des gesamten westantarktischen Eisschilds, „mit einem Anstieg des Meeresspiegels zwischen drei und fünf Meter“ (Erich Rignot). Die Internationale Energieagentur geht von 6 Grad Erwärmung aus, was „katastrophale Auswirkungen für uns alle haben wird“. Aber es scheint, dass die Menschheit sich sagt: „Apres nous le deluge“, ein Wort, das dem Buch auch als Warntitel hätte gegeben werden können.

Seit 30 Jahren tobt die weltbeherrschende Ideologie der Privatisierung über unserer Welt, alles wird verschachert, demnächst auch noch unsere Polizei und Armeen. Das alles werde verteidigt im Namen der Austerität. Die radikale Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes würde die Lebensqualität vieler Menschen deutlich verbessern. Kinder in Peking können ohne Atemmaske draußen spielen, es würden Millionen neuer guter Jobs im Bereich sauberer Energie geschaffen. Die Zeit ist knapp, ganze Länder können untergehen, müßten vor den Fluten gerettet werden. „Wenn ich Ihr Haus abgebrannt habe, ist das Mindeste, was ich tun kann, sie in mein Haus aufzunehmen“, so der Botschafter Boliviens bei den UN, Pablo Solon. Es geht – so Naomi Klein – um die Abschaffung des Systems, das uns in diese Krise hineingebracht hat. Sie beobachtet zwei große Prozesse: einmal den Klimaprozess, zum anderen den „konzerngesteuerten Globalisierungsprozess, der einen Sieg nach dem anderen erringt. Die drei Säulen dieser Globalisierungsoffensive: Privatisierung im öffentlichen Sektor; Deregulierung des Unternehmenssektors und Senkung der Unternehmenssteuern. Das ist die weltumspannende Ideologie des Marktfundamentalismus, der die kollektive verbindliche Antwort auf den Klimawandel systematisch sabotiert hat. Der freie Markt kann das Klimaproblem nicht lösen.

Und: unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem befinden sich im Krieg. „Was unser Klima braucht, um nicht zu kollabieren, ist ein Rückgang des Ressourcenverbrauchs durch den Menschen“ Unser Wirtschaftsmodell fordert das Gegenteil.

Die Autorin schreibt bewegend, als Intellektuelle wie als Mutter. Sie liest ihrem zweijährigen Sohn zum 75mal das Buch vor „Looking for a Moose“, die „Suche nach einem Elch“. Wird Ihr Sohn jemals, fragt sie sich einen Elch sehen? Wird er überhaupt eine Fledermaus sehen, nachdem bei der Rekordhitzewelle in einem Teil von Queensland in Australien hunderttausende tote Fledermäuse vom Himmel fielen. Ganze Kolonien wurden vernichtet.

Das Buch ist Manifest und eine umfassende Enzyklopädie. Der erste Teil behandelt die Kostenpflichten für Umweltverschmutzer und die Folgen des Marktfundamentalismus unter dem Titel „Schlechtes Timing“. Die Autorin versetzt sich in die Köpfe derer, die die globale Welt unter das Diktat ihrer unendlichen Bereicherung gestellt haben. Es sei vollkommen nachvollziehbar, sagt sie, warum rechte Ideologen den Klimawandel leugnen. Es hätte ja Folgen für ihr Denken. Sie geht auch mit vielen linken Bewegungen im Laufe des Buches immer wieder ins Gericht. Als Rio 1992 verkündete, alle beschlossenen Umweltschutzmaßnahmen sollten unter einen Bedingung vollzogen werden, dass sie den Welthandel nicht berühren dürften, war das die große Stunde der Lüge und Unehrlichkeit. Sie hat uns 1992 gehindert, den großen Sprung nach vorn zu machen. Handel durfte Klima ausstechen, unter dieser Devise lief alles und setzte der Umwelt zu. Die internationalen Emissionen der Containerschiffe, die uns die Produkte aus China, Indien, Japan nach Europa bringen und wieder zurückfahren, schlagen sich in keiner Bilanz nieder.

Das Kyoto Abkommen war eben eher ein Witz. 2011 stellte eine US-Studie fest, dass sich die Emissionen der Industrieländer zwar stabilisiert hätten, dies aber deshalb, weil diese Länder ihre schmutzige Produktion ins Ausland verlegen konnten. Diese Emissionserfassung berücksichtigte nicht die revolutionären Umwälzungen im grenzüberschreitenden Güterverkehr, z.B. all die Containerschiffe, deren Verkehrsvolumen in den letzten 20 Jahren um fast 400 Prozent zugenommen hat. Naomi Klein ist hart realistisch, aber verliert nie das Ziel aus den Augen. Sie meint, die Fehler dieser Zeit seit Toronto 1988 und Rio 1992 sind „nicht wiedergutzumachen“. Trotzdem sei es nicht zu spät für eine „neue Klimabewegung, die den Kampf gegen den sog. Freihandel aufnimmt“. Das würde natürlich nicht heißen, dass dieser Handel zu Ende sein muss.

Aber wir müssen uns der Frage stellen, warum wir Handel treiben und wem das dient? Unserer Landwirtschaft oder Monsanto, Cargill und Malwart? Energieintensive Langstreckentransporte werde man einschränken müssen. Und: „Um den Klimawandel zu bremsen, sei es unumgänglich, unsere Wirtschaft wieder lokal zu verankern“, zitiert die Autorin die Handelsexpertin Ilana Salomon. Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir die alte Grundregel nicht mehr einhalten, dass heimische Produkte nicht bevorzugt werden dürfen gegenüber ausländischen. Das alles bedeutet nach Naomi Klein eine Entscheidung. Eine Umkehrung des Trends der letzten 30 Jahre, „so gut wie jede Machtbeschneidung der Konzerne zu beseitigen“.

Zwischendurch fragt sich der Leser, der von der Autorin auch mal angesprochen wird (S. 146), wie das denn gehen soll in unseren demokratischen Rechtstaaten mit dem Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft: verbieten, zwingen, verhindern, Planung. Das letzte Wort war über eine ganze Generation und mehr das hässlichste Wort, das Unwort überhaupt geworden. Die Autorin widmet ein ganzes Kapitel dem Thema „Planen und Verbieten.“ Und: „Die unsichtbare Hand zerschlagen, eine Bewegung in Gang setzen“. In diesem Kapitel wird sie ihren ganzen Frust über die Politik des so enthusiastisch gelobten Barak Obama los. Man hatte ihn schließlich gewählt, weil er die Realwirtschaft stärken, die Kriege und Guantanamo beenden und den Klimawandel als „Chance“ begreifen wollte, „denn wenn wir eine neue Energiewirtschaft aufbauen, können wir 5 Millionen Jobs schaffen“. Sowohl die Fossilkonzerne wie die Umweltbewegung gingen 2009 fest davon aus, dass der neue Präsident gleich zu Anfang eine mutige Klimagesetzgebung vorlegen würde. Er hat sie nicht vorgelegt und nicht exekutiert.

Auf die Frage des von Naomi Klein angesprochenen Lesers: „Wer soll das alles bezahlen?“ hat die Autorin eine bündige Antwort, für die sie in dem dicken Buch nur eine Seite braucht: Ein Sechs-Punkte-Plan: Einmal (1.) gibt es die Erwartung (EU-Parlament Resolution 2011), dass eine „geringfügige Finanzstransaktionssteuer“ weltweit 650 Mrd. US-Dollar pro Jahr generieren könnte; Zweitens (2.) durch die Schließung der Steuerparadiese bzw. wenn die Erträge dieser Paradiese mit 30 Prozent belastet werden könnten, würde  pro Jahr 190 Mrd. US-Dollar erzielt werden. Drittens (3.): Eine nur einprozentige Milliardärsteuer könnte pro Jahr 46 Mrd. US-Dollar einbringen. Viertens (4.): Die Kürzung der Militärhaushalte der zehn Länder mit den höchsten Verteidigungsbudgets um 25 Prozent könnte weitere 325 Mrd. US-Dollar freikämpfen. Fünftens (5.) Steuern von 50 US-Dollar auf jede Tonne Kohlendioxid ergäben nach Schätzungen pro Jahr 450 Mrd. US-Dollar. Eine mildere Steuer von ‚nur‘ 25 US-Dollar würde immerhin die Summe von 250 Mrd. US-Dollar einbringen. Sechstens (6.): nach einer Prognose von Oil Chance International würden nach dem Ende der Subventionen für die Fossilwirtschaft in den entsprechenden Ländern ca. 775 Mrd. US-Dollar bereitstehen. Die Frage, wer soll das bezahlen, kann also ganz gut beantwortet werden.

Die Autorin kann zu Recht darauf verweisen, dass wir keine Ruhe in der Welt haben werden, ohne dass das Thema Gerechtigkeit angestoßen wird. Sie verweist auf erstaunliche Erfahrungen in den Katastrophenjahren der Kriegswirtschaft, als auch reiche Schichten bereit waren für die ärmsten mitzudenken und einzustehen. Aber Politiker, die wirklich an die Wurzel der Gerechtigkeit rühren, werden oft weggewählt. Jimmy Carter wandte sich im Juli 1979 an seine Nation und sagte, dass „zu viele von uns in Maßlosigkeit und Konsum schwelgen“. Er forderte damals seine Nation auf, Fahrgemeinschaften zu bilden, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, die Thermostate auf Sparstufe zu stellen: „Jeder Akt des Energiesparens dieser Art ist mehr als nur ein Akt der Vernunft – es ist ein Akt des Patriotismus“. Leider verlor Carter die Wahl gegen Reagan und seine Rede galt weithin als „Malaise Speech“.

Der zweite Teil hängt sich an die fatale Bindung von Big Business und den großen Umweltschutzorganisationen. Motto: „Die grünen Milliardäre werden uns nicht retten“. Das ist der frontale Angriff auf einige sog. Umweltschutzorganisationen, die sich an die Fossilindustrie verkauft haben sowie der frontale Angriff auf die Milliardär-Helden, die ihre locker aus der Vergiftung und Verschmutzung erwirtschafteten Milliarden ebenso schamlos in die weltweite Philantropie geben (Bill Gates und Warren Buffett). Als die Umweltbewegung, angestoßen durch das wunderbare Buch und den Appell von Rachel Carsons, noch eine Massenbewegung war, gab es einige große Siege: das Naturschutzgesetz 1964, das Wasserschutzgesetz 1965, den Air Quality Act 1967, 1963 schon den Clean Air Act. Auch in einigen Entwicklungsländern gab es in den 60er bis zu den 70ern robuste Umweltgesetze, kreative Kampagnen unter weiblicher Führung in Indien und in Kenia gegen die Entwaldung.

Doch dann kamen die 80er Jahre mit Ronald Reagan und ein regelrechter roll back. Reagan schaffte eine Reihe dieser Umweltgesetze ab. Da regte sich Widerstand auf lokaler Ebene. Dann aber kamen große Vereinnahmungen unter Mitarbeit großer Umweltverbände durch die Fossilindustrie. Z.B. wurde der Earth Day von den großen Fossilverschmutzern vereinnahmt. Der Environmental Defense Fund wurde von Konzern Walmart bestochen, die Zusammenarbeit, so hieß es, diene dem Ziel, „das Unternehmen nachhaltiger zu machen“. Das Modewort, hinter dem nichts stehen musste an Realität, begann damals seine Karriere. Der Enkel des Walmart Gründers Sam Walton sitzt im Kuratorium von EDF. So kam die große Umweltbewegung total aus dem Tritt. Die Gasindustrie landete einen großen Coup mit der Idee, eine „Brücke“ zu einer sauberen Energieentwicklung“ zu werden.  Keiner hat die Ambivalenz und die Perversion des Handels mit Verschmutzungsrechten bisher deutlicher gemacht als Naomi Klein. Es kommt zu Betrügereien größten Stils. Die Aussicht, echtes Geld auf der Grundlage von Hochrechnungen zu erhalten, wie viel von einer unsichtbaren Substanz nicht in die Atmosphäre gelangt, übe auf Betrüger eine magnetische Wirkung aus. Es kam die Ära der „Carbon Cowboys“, die das Landgrabbing mit Emissionszertifikaten beherrschten. Das einzige, was als Beschreibung in Analogie fehlt, ist der mittelalterliche Ablasshandel, der hier seine Wiederauferstehung feiert. Die Emissionen großer Umweltverschmutzer werden kompensiert. Das ist ein profitträchtiger Ablass. Die Autorin will nicht sagen, dass alle Emissionszertifikate und ihr Handel damit betrügerisch seien. Aber der sog. Emissionshandel habe schon als Markt versagt. Der Preis für den CO2 Ausstoß fiel 2013 dramatisch auf 4 Euro, während der Zielpreis bei 20 Euro lag. Damit gab es gar keinen Anreiz mehr, aus schmutziger Energie auszusteigen.

Alles war damit beerdigt. Die Einsicht von John Kerry, dass die Bedrohung durch den Klimawandel einer Massenvernichtungswaffe gleicht, war berechtigt, wurde aber nicht beherzigt. Dann kam der lahme Präsident Obama und setzte noch einen drauf. Es begann die Fracking-Zeit  und ein goldenes Zeitalter für die Kohle.

Der dritte Teil gibt Maßregeln für die junge Generation, die wie die Autorin gern radikal werden und die Klimakatastrophe an der Wurzel beenden will. Sie beschreibt, wie die Rechte indigener Völker getreten werden, wie der gemeinsame Himmel uns nur noch metaphorisch zusteht, wie wir uns jetzt entscheiden müssen, umzukehren, Buße zu tun, denn wir haben noch „gerade mal genug Zeit für das Unmögliche“. Wir müssen den gemeinsamen Himmel verteidigen. Da wächst die Autorin über sich selbst hinaus, sie geht mit an eine Front, wo sie den Sonnenkriegern von Red Cloud und Vanessa Braided Hair in dem Northern Cheyenne Reservation begegnet. Red Cloud erklärte seinen Indianern, eine Energiegewinnung, die die natürliche Welt heile und schütze, bedeutete mehr als Arbeitsplätze. Er bilde die jungen Leute nicht nur zu Technikern aus, sondern zu SONNENKRIEGERN. Die Autorin überzeugte sich von dem Kampf der jungen Leute gegen die Minen und gegen die Eisenbahnlinie für den Kohletransport. Das war ein Kampf, der 2010 fast verloren war. Plötzlich waren die protestwilligen Cheyenne Indianer da, die Sonnenkrieger standen ganz vorne mit T-Shirts und der Aufschrift „Beyond Coal“ („Ausstieg aus der Kohle“) Sie würden nie mehr untätig zuschauen: „Idle no more“. Die Cheyenne wollten die Mine Otter Creek nicht. Auch das Vorhaben einer Kohleverflüssigungsanlage war in der Crow Reservation gestorben. Es war die Rede von der Errichtung eines Windparks. O-Ton Naomi Klein: „Hier zeigt sich deutlich, dass es keine mächtigere Waffe im Kampf gegen die Fossilbrennstoffe gibt als echte Alternativen“. Sie erwähnt immer auch zwei Länder, Dänemark und Deutschland, in denen man das stärkste Engagement für dezentrale Energie finde. In beiden Ländern wussten die Naturschützer, dass sie eine Alternative brauchten. Es reichte nicht, Nein zu sagen, sie forderten eine Politik, die es den Kommunen erlaubt selbst saubere Energie zu erzeugen.

Die SONNE kommt heraus, schreibt die Autorin und meint: Die Erneuerbaren verlangen eine „Demut, die in krassem Gegensatz zu den Großprojekten steht wie der Stauung eines Flusses, der Sprengung von Felsgestein für die Gasgewinnung“. Demut und, mit Heinrich Böll gesagt hat, auch Schönheit zeichnet die neue Energie aus: Die extraaktiven Energiequellen waren die Football-Spieler der Nationalliga, die Erneuerbaren sind „Surfer, die auf der Dünung reiten, dabei aber ein paar hübsche Tricks vollführen“.

Die erneuerbaren Energien stellen nicht nur einen Wechsel der Energiequellen dar, sie bedeuten eine „Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen den Menschen und der natürlichen Welt, von der wir abhängig sind“. So mündet diese politisch radikale Streitschrift in die Ontologie einer menschheitlichen Versöhnung mit der Natur: „Die Kraft von Sonne, Wind und Wellen kann zwar genutzt werden, aber anders als die Fossilbrennstoffe können wir sie nie ganz besitzen“.  Wir wissen nie genug, das wissen wir seit Sokrates, aber auch genug, um ausgeklügelte Methoden zu ersinnen, die von der Natur bereitgestellten Systeme in einer partnerschaftlichen Ethik zu stärken. Naomi Klein hat uns dabei geholfen. Aber nur, wenn wir mit allen First und Second Nations, großen und kleinen, die richtige „Entscheidung“ fällen.

Sie setzt auf eine große Bewegung der Menschen in allen Kontinenten, die „Entscheidung“ betrifft ja alle. Besonders gern war sie immer in Griechenland, wo sie die Massenbewegung stark spürte. Was wir anderen Europäer vielleicht nicht so gern lesen, das Buch schließt nach 559 Seiten mit einer Erwähnung von Alexis Tsipras, einem der wenigen Hoffnungsträger in einem von der Austerität verwüsteten Europa. Jemand von ihren griechischen Freunden riet ihr zu der Frage: „Frag ihn: Die Geschichte hat an Ihre Tür geklopft, haben Sie geöffnet?“ Das sei, so die große Naomi Klein, eine Frage, die wir uns alle stellen sollten: Entscheide dich für oder gegen das Leben.

Naomi Klein „Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“
Webseite Naomi Klein (englisch)

Quelle

Rupert Neudeck 2015Grünhelme 2015

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