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oekom verlag | Nick Reimer "Schlusskonferenz"

© oekom verlag | Nick Reimer "Schlusskonferenz"

Vor der Klima – „Schluss-Konferenz“ in Paris

Wer wirklich die – spannende, aber auch im Ergebnis deprimierende – Weltklima-politik verstehen will, muss dieses Buch lesen! Zum Buch von Nick Reimer von Lutz Wicke.

Wer sich nicht „nur“ mit eigenen guten Klimataten und den Chancen und Problemen neuer deutscher Anlagen zur Erzeugung grüner Energie als – bei aller Wertschätzung – Minibeitrag zur Reduzierung des globalen Klimawandels „begnügen“ will, muss über den Tellerrand deutscher Klimapolitik hinausschauen. Und das gelingt – geradezu krimihaft unterhaltsam – mit der Lektüre dieses Buches.  

Nick Reimer, Chefredakteur des online-Magazins klimaretter.info und lange Jahre Top-Umweltjournalist bei der TAZ hat ein brillantes Buch vorgelegt. Es fasst in einer sehr plastischen und auch für den Laien gut verständlichen Sprache die äußerst komplexe Geschichte die Klimadiplomatie und der Klimapolitik kompakt zusammen. Gleichzeitig erhält der Leser alle wesentlichen Informationen über die Gründe des sich verstärkenden gefährlichen Klimawandels und was dagegen unternommen werden kann.

Reimer beschreibt packend die großen Momente dieser gut 20 Jahre Weltklimadiplomatie:

  • Die großen Hoffnungen, die bei UNCED-Konferenz für Umwelt und Entwicklungen 1992 in Rio de Janeiro vorhanden waren und – u.a. durch die Verabschiedung der Weltklima-Rahmenkonvention UNFCCC – geweckt wurden.
  • Den Beginn, als Angela Merkel als sehr junge und äußerst engagierte Umweltministerin im Jahr 1995 im Berliner ICC die erste Weltklimakonferenz eröffnete. Mit dem vor allem durch sie und Helmut Kohl erkämpften „Berliner Mandat“ wodurch der gesamte „Klima-Konferenz- und Verhandlungszirkus“ (Franz Alt) mit zuletzt über 20.000 Teilnehmern in Gang gebracht wurde.
  • Die – rein klimadiplomatischen – Sternstunden des Abschlusses des Kyoto Protokolls, des ersten, prinzipiell völkerrechtlich verbindlichen Klimavertrags im Jahr 1997. Auch diesen hat Angela Merkel als deutsche Umweltministerin durch zähe und intensivste Tag- und Nachtverhandlungen mitentscheidend durchgesetzt.
  • Die „Schande von Kopenhagen“ 2009, als der große Traum von einer wirklichen Verbesserung der bis dato wirkungslosen Weltklimapolitik scheiterte.
  • Das „Wunder von Cancun“ 2010 als das von der Wissenschaft lange geforderte 2°-Ziel plötzlich „fixiert“ wurde, die „Verpflichtungen“ – besser Ankündigungen der Staaten aber auf mindestens plus 3,5°C allein bis zum Jahr 2100 hinausliefen.
  • Und Reimer beschreibt sehr eindrucksvoll, wie das geplante Paris Protokoll in intensivster klimadiplomatischer Arbeit in mindestens 4 Weltklimakonferenzen und zig Zwischenkonferenzen vorbereitet wurde. Das betrübliche Fazit: Das im Ergebnis wirkungslose Kyoto Protokoll (die Emissionen sind schneller angestiegen als je zuvor) soll durch das Paris Protokoll ersetzt werden, das alle Chancen hat, noch wirkungsloser zu sein.

An dieser Stelle sollte Reimers Text genau gelesen werden. Das Paris Protokoll soll so funktionieren: Das dort hoffentlich von der Weltgemeinschaft nochmals „fixierte“ 2°-Ziel soll durch die Summe aller freiwilligen „beabsichtigten national festgelegten Beiträge“ zum Klimaschutz (engl. INDC) aller Einzelstaaten realisiert werden. Dem aufmerksamen Leser wird klar werden: Das Kyoto Protokoll mit seinen zur Lösung des Klimaproblems viel zu geringen „Mini-Verpflichtungen“ allein der Industriestaaten soll im Paris Protokoll durch nicht verpflichtende, jederzeit widerrufbare „Beiträge“ aller Staaten ersetzt werden. Damit ist sicher: „Paris rettet das Klima nicht!“

Trotz aller anerkennungswerten Anstrengungen der Klimadiplomaten und der involvierten Nichtregierungsvertreter: Im Ergebnis muss ein Versagen der Weltklimapolitik konstatiert werden, das auch auf das der Klimawissenschaft zurückzuführen ist. Ihr Versagen besteht in der fehlenden Vorlage und energischen Verfolgung konkreter wirksamer konkreter Gesamtkonzepte und anwendbarer eindeutiger Politikempfehlungen. Und die Weltklimadiplomatie konnte beim allerbesten Willen nicht mehr leisten, als das was „die Politik“ ihr an Entscheidungsfreiheit zugestanden hat und was die Klimawissenschaft ihr – überwiegend nicht – an konkreten wirksamen und machbaren Vorschlägen „zugeliefert hat“. Und Reimer berichtet – ohne ironische Bemerkungen, dass nun aus Sicht der deutschen Klimawissenschaft eine „Weltbürgerbewegung für den Klimaschutz“ das Weltklima retten soll! An den deutschen Klimavorreitern und mit deutschem Klimaengagement, das auf die Welt übertragen werden muss,  sollen die falschen Ansätze und Entscheidungen der Weltklimapolitik ausgebügelt werden.

All das würde natürlich der hochkompetente Journalist Reimer, der an allen Weltklimakonferenzen teilgenommen und darüber berichtet hat, in der gebotenen journalistischen Zurückhaltung so nie und nimmer ausdrücken. Er sagt es aber – für den aufmerksamen Leser – klar und deutlich auf seine Art: Alle klimadiplomatischen Anstrengungen in Richtung des Paris Protokolls verhindern nicht – was auch die Bundesregierung für Paris bestätigt –  dass weiterhin das Motto ‚business as usual’ gilt. Und dieses ‚Weiter so wie bisher’ impliziert „3,7 bis 4,8°C Erwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts“. Das lässt Reimer Prof. Ottmar Edenhofer, stellvertretend für den Weltklimarat als die Bündelung des gesamten Sachverstandes aller Klimawissenschaftler dieser Erde gleich am Anfang seines tollen Buches sagen!

Das einzige was man kritisieren könnte, ist der – packende – aber überwiegend deskriptiv-erzählende Stil der Reimerschen Darstellung. Konzeptionelle  Vorschläge, wie sich Weltklimapolitik und –diplomatie aus der von Anfang eingeschlagenen Sackgasse jeweils nationaler Verpflichtungen und Beiträge befreien kann, werden nur am Rande erwähnt. Nirgendwo taucht die Frage auf: Hat die Weltklimapolitik, da sie praktisch ohne eine konkrete wissenschaftsbasierte Politikberatung auskommen musste,  sich nicht von Anfang an auf den Klimaholzweg dieser staatsindividuellen Verpflichtungen und Beiträge begeben?

ABER: Das, was die gesamte Klimawissenschaft trotz ihrer Multimilliarden-Finanzierung nicht geleistet hat, muss und kann man partout auch nicht von einem noch so  schlauen Klimajournalisten wie Nick Reimer in diesem Buch verlangen! Auch Reimer kann keine Wunder vollbringen. Und selbstverständlich kann auch er nicht den von der Internationalen Energieagentur vorhergesagten und von Edenhofer mit Zahlen unterlegten „Desaströsen Klimawandel“ verhindern, auf den die die Welt und Weltklimapolitik bei der „Schluss-Konferenz“ in Paris offenkundig sehenden Auges hinsteuert.

Summa Summarum: Dieses „Schluss-Konferenz“ -Buch „packt“ einen! Jeder, der sich wirklich für den Klimaschutz engagiert, sollte es unbedingt lesen! Es ist eines der, nein DAS spannendste Sachbuch, das der Rezensent je gelesen hat!

Nick Reimer „Schlusskonferenz – Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie“ – online bestellen!
Mit einem Vorwort von Hartmut Graßl, einem ausführlichen Glossar und einer Chronologie aller Klimakonferenzen. Erhältlich auch als E-Book.

Eine weitere Besprechung von Rupert Neudeck: „Vor der Klimakatastrophe noch ein Klimaschutzabkommen?“

Quelle

Prof. Dr. Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für UmweltManagement an der ESCP Europe, Umweltstaatssekretär und Wissenschaftlicher
Direktor am UBA a.D., Berlin.

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