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Zeit ist Geld – könnte ein Trugschluss sein

Speed-Coaching, Kurzworkshops, Power-Seminare – alles muss schnell gehen. Und alles muss sofort klappen. Die Personalentwicklung scheint nur noch ein Prinzip zu kennen: Zeit, und zwar möglichst wenig davon. Warum aufwändige und langfristige Weiterbildungen, wenn es günstigere Instant-Angebote gibt?

Dabei wird vergessen, dass Menschen nicht unbegrenzt belastbar sind. Wer in vier Stunden zum Beispiel eine Präsentationstechnik wie den Elevator Pitch (es muss ja schnell gehen) lernen und üben soll, bekommt entweder nur eine zur Unkenntlichkeit abgespeckte Version geliefert; oder wird vom Lernstoff so erschlagen, dass er am Ende vielleicht schon gar nicht mehr zuhört, weil die Aufnahmekapazität erschöpft ist.

Es scheint jedoch eine Mentalität in der Arbeitswelt geworden zu sein, Menschen eine unbegrenzte Belastbarkeit zuzumuten. Führungskräfte sollten, so heißt es spätestens seit der Einführung des Lean-Managements vor rund drei Jahrzehnten, immer mehr Menschen direkt führen, so dass man Hierarchieebenen wegstreichen kann – obwohl sich schon recht schnell zeigte, dass das so nicht funktioniert. Denn eine zu große Führungsspanne sorgt dafür, dass ein Chef seine Leute nicht mehr führt, weil er keine Zeit mehr für den einzelnen Mitarbeiter hat. Und auch die Mitarbeiter bekommen immer mehr auf die Schultern gepackt. Ob das sinnvoll oder auf Dauer zu ertragen ist – dafür fühlt sich niemand verantwortlich.

Wir sollten wieder über die Grenzen nachdenken, die Führung ziehen muss, damit die Arbeitskraft des Mitarbeiters langfristig erhalten bleibt. Das bedeutet auch, die notwendige Zeit in die Entwicklung von Mitarbeitern zu stecken, statt in kürzester Zeit möglichst viel vermitteln zu wollen – und sich dann zu wundern, wenn schon wenige Wochen nach einem Seminar nichts mehr hängen geblieben ist. Das Personalwesen kommt, wenn es um die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern geht, mir vor wie ein Bäcker, der einen Kuchen in halber Zeit, aber doppelter Temperatur backen will. Rechnerisch mag das plausibel erscheinen, aber der Kuchen verbrennt trotzdem.

Das vielleicht schlimmste an der Hetzerei ist, dass für eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten kaum noch Zeit bleibt. Dabei wusste schon Nietzsche: „Nur wer ein Warum kennt, erträgt und versteht jedes Wie.“ Die Einsicht, warum eine Sache sinnvoll ist, ist die notwendige Voraussetzung, sich auch an bestimmte Dinge zu halten. Wem das zu lange dauert, darf sich nicht wundern, wenn Personalentwicklungsmaßnahmen nutzlos verpuffen. Aufwand und Nutzen müssen wieder in einem rechten Verhältnis zueinander stehen. Persönlichkeitsentwicklung in drei Stunden ist einfach nicht möglich. Perfektes Verkaufen lernen in einem halben Tag ist schlichtweg Unsinn.

Personalentwickler wie Weiterbildner müssen mehr daran denken, was sie erreichen wollen, und nicht nur, wie sie möglichst günstige Preise erzielen. Ein Beispiel für die Absurdität der gängigen Praxis habe ich von einem Personalchef erfahren, der mit einem Outdoor-Trainer über einen Auftrag für ein Überlebenstraining verhandelt hat. Der eine wollte sparen, der andere unbedingt den Auftrag bekommen, weswegen er immer kürzere Formate anbot. Bald waren die Verhandlungen bei zwei Tagen, am Ende bei einem halben Tag.

Ein halbtägiges Überlebenstraining aber ergibt nun wirklich keinen Sinn, da kann man sich auch einfach in den Wald setzen und warten, bis man abgeholt wird. Das hat der Personalchef schließlich selbst eingesehen. Der Zeitrahmen muss zum Lernziel passen, sonst war es das mit der Personalentwicklung. Zeit mag ja bares Geld sein. Sich keine Zeit zu nehmen, kann aber auf lange Sicht noch deutlich teurer werden.

Quelle

POSÉTRAINING | Ulf D. Posé 2017

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