16.03.2017
Blick unter die Schneedecke
Bund Naturschutz in Bayern (BN) und Verein zum Schutz der Bergwelt
(VZSB) fordern verbindliche Grenzen des Ausbaus und für Bayern
Einhaltung des Alpenplans sowie ein Ende der staatlichen Förderung für
Schneekanonen und ökologisch unverträglichen Skiegebietsausbau.
Der alpine Wintertourismus ist ein bedeutender Wirtschaftszweig in
den Alpen, gehört aber auch zu den größten Beeinträchtigungen unserer
Gebirgslandschaften. Mit 30.000 Kilometern Länge umspannen die Skipisten
der Alpen fast drei Viertel des Erdumfangs, 11.000 Lifte und Seilbahnen
stehen bereits zur Verfügung. Dennoch sind alpenweit 164 neue Anlagen
geplant, 10 davon in Deutschland (siehe Anhang). Das führt zu einer
Überlastung der betroffenen Naturräume. "Die Spitzenreiter alpiner
Landschaftsbelastung sind französische sowie österreichische Skigebiete.
Besonders abträglich sind vor allem die Mega-Ski-Ressorts in hohen
Lagen: Sie zerschneiden Ökosysteme, verkleinern den Lebensraum bedrohter
Tier- und Pflanzenarten und verdrängen störungsempfindliche Wildtiere
wie Birkhuhn, Auerhuhn, Gams und Schneehase", fassen Christoph
Himmighoffen, 1. Vorsitzender des Vereins zum Schutz der Bergwelt (VzSB)
und Richard Mergner, Landesbeauftragter des BUND Naturschutz in Bayern
e.V. (BN) die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Alfred Ringler
zusammen. Der renommierte bayerische Biologe hat mit der Studie
"Skigebiete der Alpen: landschaftsökologische Bilanz, Perspektiven für
die Renaturierung" erstmals alpenweit die ökologischen Auswirkungen von
vier Jahrzehnten Skitourismus untersucht und knapp 1.000 Skigebiete
hinsichtlich ihres Ökologischen Fußabdrucks verglichen, die
Konfliktsituation Skistationen - Biotopschutz am Beispiel der alpinen
Moore quantifiziert und mit Karten illustriert.
Für Bayern ergeben sich aus der Studie laut BN und Verein zum Schutz der Bergwelt insbesondere folgende Forderungen:
"Wir brauchen klare Ausbaugrenzen für den Skitourismus gerade in
Bayern. Sowohl aus ökologischen Gründen als auch aus Gründen des
Klimawandels ist ein weiterer Ausbau der bayerischen Skigebiete nicht
mehr akzeptabel. Daher müssen künftig die staatlichen Förderungen
vermehrt in naturverträgliche Tourismuskonzepte gehen statt in
Schneekanonen und weitere Aufrüstungen." Bestehende Grenzen wie der seit
45 Jahren bewährte Bayerische Alpenplan müssen eingehalten und
Schutzgebiete frei von Erschließungen gehalten werden.
In Bayern hat der seit 1972 bestehende Alpenplan der Bayerischen
Staatsregierung die Anforderungen des Tourismus, der naturnahen
Erholungsnutzung und des Freiraumschutzes relativ erfolgreich
ausbalanciert. Der Alpenplan hat als wirksames raumplanerisches
Instrument in der Ruhezone C in den letzten 45 Jahren weitere
Neuerschließungen mit Berg- und Seilbahnen verhindert, worum Bayern von
den anderen Alpenländern beneidet wird. Nun soll die Zonierung des
Alpenplans am Riedberger Horn / Allgäu, der derzeitige Symbolberg gegen
weitere Lift- und Pistenerschließungen, geändert werden. "Eingriffe am
Riedberger Horn würden neben der erheblichen ökologischen
Beeinträchtigung die bereits bestehenden geotechnischen Risiken für die
Riedbergstraße und Balderschwang aufgrund der geologisch begründeten
Labilität des Geländes verstärken, ganz abgesehen vom
Zerschneidungseffekt des bisherigen Freiraums", sagt Alfred Ringler.
Mit dem Bau der Skiverbindung Riedberger Horn würde gemäß der
Ringler-Studie ein zusammenhängendes Skigebiet Grasgehren -
Balderschwang mit voraussichtlich 48 Belastungspunkten des Ökologischen
Fußabdrucks entstehen (EFI Ecological Footprint Index nach RINGLER
2016). "Dieses stünde im Eingriffsranking der 102 Skigebiete der
Bayerischen Alpen voraussichtlich an 3. Stelle nach der Zugspitze und
dem Nebelhorn.", ergänzt Alfred Ringler und merkt zu seiner
Skigebiets-Studie an: "Die Skigebiets-Liste ist eine erstmalige
Vorgangsweise und ein punktuell noch zu präzisierender
Entwurfsvorschlag, dessen Merkmals- und Eingriffsbeschreibungen zu
vervollständigen und laufend fortzuschreiben sind."
Für den BN und den Verein zum Schutz der Bergwelt sind verbindliche
und einheitliche Regeln zur nachhaltigen Raumplanung für den ganzen
Alpenraum die wichtigste Konsequenz aus den Erkenntnissen der Studie. Zu
einer verantwortungsvollen Raumplanung, mit der die Nutzung des Bodens
vorausschauend organisiert und der Flächenverbrauch möglichst gering
gehalten wird, gehören auch rechtsverbindliche Ausschlusszonen für den
Ausbau. "Bereits existierende Zonenkonzepte wie z.B. in Bayern
aufzuweichen oder zu revidieren, sendet die falschen Signale an die
anderen Alpenpartner", betonen Mergner und Himmighoffen in Anspielung
auf Projekte wie am Riedberger Horn. Bestehende Zonenkonzepte müssen
vielmehr für den gesamten Alpenraum bindend weiterentwickelt werden.
Bergwelt im Stress: Erschließungsdruck auf unberührte Landschaften steigt
Die ökologischen Auswirkungen der Skigebiete hängen neben ihrer
Größe vor allem von ihrer Lage im Bergmassiv ab. Alpenweit 55
Mega-Skigebiete in Frankreich (20), Österreich (17), Italien (10) und
der Schweiz (8) ziehen sich über ganze Berge oder mehrere Bergmassive.
Der Skibetrieb trifft dort auf sensibelste Ökosysteme, die sich von
drastischen Eingriffen wie Grat- und Kammdurchbrüchen oder Sprengungen
kaum oder überhaupt nicht mehr erholen können. Während die kleineren
Skigebiete in Talnähe wegen der mangelnden Schneesicherheit alpenweit
zunehmend aufgegeben werden, expandieren die besonders
landschaftsschädlichen Groß-Skigebiete in empfindlichen Alpenhochlagen
stetig weiter. Dort ist die ökologische Belastungsgrenze bereits
überschritten. "Die wichtigsten Wander- und Ausbreitungskorridore
alpenbewohnender Arten sind durch Mega- und Höhenskigebiete vielerorts
empfindlich beeinträchtigt", so Christoph Himmighoffen. In Bayern werden
derzeit auch die relativ niedrig gelegenen Skigebiete noch stark
ausgebaut. "Dies ist neben ökologischen Gründen besonders vor dem
Hintergrund des Klimawandels eine Fehlentwicklung.", stellt Mergner
fest.
Der Bau und Betrieb der Wintersportzentren betrifft fast alle
Lebensräume und Arten in den Alpen und beeinflusst auch die Stabilität
der Hänge. Dies kann Hangrutschungen und Muren auslösen beziehungsweise
verstärken. "Pistenplanierungen, Zufahrtsstraßen, Waldrodungen und der
aufwändige Bau von Beschneiungsanlagen haben unsere Gebirgslandschaften
bis zur Unkenntlichkeit verändert", gibt Mergner die Ergebnisse aus der
Studie wieder. "Ganze Landschaften werden umgebaut, um die Pisten an die
Bedürfnisse des Durchschnittsskifahrers und an die Erfordernisse der
Beschneiung anzupassen. Wenn die alpinen Ökosysteme nicht über kurz oder
lang zusammenbrechen sollen, braucht es Ausbaugrenzen für den
Skitourismus. Besonders Anlagen in den höchsten Gebirgsregionen, in der
Permafrostzone oder in Mooren und Quellgebieten dürfen in Zukunft nicht
mehr bewilligt werden!"
Der anlagengestützte Wintertourismus setzt aber nicht nur die
Zukunft alpiner Arten und wertvoller Lebensräume unverantwortlich aufs
Spiel, sondern gefährdet auch wesentliche Ökosystemleistungen. Durch die
Rodung von Bergwald und Latschenfeldern sowie die Bodenverdichtung auf
den Pistenflächen steigt die Erosionsgefahr und leidet die
Trinkwasserneubildung. Beschneiungsanlagen beinträchtigen den
Wasserhaushalt der Skigebiete bis in die Tallagen hinunter.
Wirtschaften im Einklang mit der Alpenkonvention statt Erschließungsspirale
Die aktuelle Studie wirft drängende Fragen zur ökologischen
Sanierung und Renaturierung stillgelegter bzw. aufgegebener Skigebiete,
Liftanlagen oder Speicherbecken auf. "Damit ehemalige Skiinfrastrukturen
und ganze Hotelkomplexe, die dem Verdrängungswettbewerb zum Opfer
gefallen sind, nicht als Ruinen stehen bleiben wie in Sestriere,
Sarajewo oder St. Honorè, muss die Politik die notwendigen finanziellen
Rahmenbedingungen z.B. in Form von Rückstellungen und
Sicherheitsleistungen schaffen, um den erforderlichen Rückbau und die
Renaturierung sicherzustellen", unterstreicht Mergner abschließend.
Die gesamte Studie "Skigebiete der Alpen: landschaftsökologische Bilanz, Perspektiven für die Renaturierung"
von Alfred Ringler wurde im Jahrbuch 2016/2017 des Vereins zum Schutz
der Bergwelt publiziert und steht auf der Homepage des Vereins www.vzsb.de zum Download bereit. Eine Zusammenfassung dieser Studie finden Sie auf der Homepage des Vereins zum Schutz der Bergwelt (www.vzsb.de) und auf der Homepage des BUND Naturschutz in Bayern (www.bund-naturschutz.de).
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