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Klimawandel global

Die Kohle muss im Boden bleiben. Kritik zu Naomi Kleins Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. Von Uwe Dörwald

Am 7. August 2015 veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters einen Beitrag zum Thema Klimawandel mit dem Titel „The reality of global warming: We’re all frogs in a pot of slowly boiling water“. Darin finden sich Fakten wie zum Beispiel die bis jetzt messbare Erwärmung, der langfristige Trend der Temperaturentwicklung an Land und über dem Wasser sowie eine Statistik über die wärmsten Jahre seit 1880. Roz Pidcock stellt in seinem Beitrag fest „it’s clear that as temperature rises, so do the risks“ und er kommt zu dem Schluss: „The science is solid enough that whatever we choose, we can’t tell future generations that we didn’t know the risks (of global warming).“

In der gleichen Woche, in der Reuters seinen Artikel publizierte, war der Autor dieser Kritik am Rhône-Gletscher und hat sich mit eigenen Augen angeschaut, was der Klimawandel bedeutet. Sieht man das Schmelzen des Gletschers und auch vieler anderer Gletscher, bleibt man einigermaßen traurig, aber auch ein wenig zornig zurück: Traurig über den Verlust eines erhabenen Teils der Natur, zornig über den Schlaf der politischen Entscheidungsträger, die viel zu wenig gegen den Klimawandel tun. Die Auswirkungen des Klimawandels sind sichtbar und signifikant. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ist die fundierte wissenschaftliche Erkenntnis, dass es im Klima- wie im Ökosystem Kipp-Punkte gibt, hinter die man nicht mehr zurück kann, wenn sie einmal überschritten sind1 . Das macht die Differenz zu anderen Krisen aus. Ein Weg zurück ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr möglich.

Naomi Klein zitiert in ihrem Buch „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima“ eine kanadische Studentin, die auf der Klimakonferenz 2011 in Durban mit Blick auf die staatlichen Unterhändler meinte: „Ihr verhandelt schon mein ganzes Leben lang.“ Seit mindestens zwei Jahrzehnten, so die zitierte College Studentin, beratschlagen die Regierungen der Welt darüber, wie man den Klimawandel aufhalten kann und in dieser Zeit wurden Ziele verfehlt und Versprechen gebrochen.

Diesem Statement kann man sich anschließen, zumal Klein in ihrem Buch, immer wieder darauf hinweist, dass politische Entscheidungsträger der Wirtschaft und dem Finanzwesen wesentlich näher stehen, als sich konsequent um das Klima zu kümmern – insbesondere während der Wirtschaftskrisen „steht der Klimawandel nicht auf der Agenda“ (225). Da wird weiterhin an den Lehren und Rezepten des Neo-Liberalismus festgehalten: Privatisierung im öffentlichen Sektor, Deregulierung des Unternehmenssektor, Senkung der Steuern und Einschnitte bei öffentlichen Aufgaben und Leistungen. Staaten schwächen sich durch Abhängigkeiten von der Wirtschaft, aber auch durch den „Fetisch der Konsenspolitik“ (34), die im Falle des Klimawandels wichtige Entscheidungen verzögert, selbst und können, weil sie abhängiger von Konzernen werden, kaum noch grundlegende Entscheidungen treffen. Demokratien, so die Autorin, sind dem zerstörerischen Einfluss der großen Konzerne, insbesondere der Konzerne der Fossil-Industrie, ausgeliefert.

Gleichzeitig gibt es immer noch einflussreiche Leugner und Gegner einer fortschrittlichen Klimapolitik, insbesondere in den Unternehmen selbst. Und angesichts schwacher politischer Entscheidungsträger gehen die Unternehmen davon aus, dass in den nächsten Jahren eine restriktive Klimapolitik, die nötig wäre, höchst unwahrscheinlich ist. Die Fossil-Industrie wettet darauf, dass es in den nächsten 25 bis 40 Jahren keine ernsthaften Einschnitte bei den Emissionen geben wird (183). Dies ist umso schlimmer, weil das Vorhaben und die Pläne der Fossil-Industrie, in den kommenden Jahrzehnten 5x so viel fossilen Brennstoff zu verbrennen wie die Atmosphäre aufnehmen kann, bekannt sind.

Klein beschreibt, dass eine neoliberale Politik zur Lösung des Problems ungeeignet ist (95), weil die Wirtschaft vor Handelsbeschränkungen durch Klimapolitik geschützt wird (100). Der Irrsinn liegt darin, dass Handelsrechte wichtiger sind als das Klima(84).

Auch die Wissenschaft, die sich eingehend mit dem Problem des Klimawandels befasst, wird diskreditiert, Zahlen werden angezweifelt, Gutachten und Gegengutachten verzögern Entscheidungen. Politik und alte Öl-Industrie weigern sich hartnäckig, die Erkenntnisse der Wissenschaft ernst zu nehmen. Am sinnfälligsten wird dieser Aspekt, wenn Klein beschreibt, wie die kanadische Regierung unter Regierungschef Harper, die starkes Interesse an der Nutzung und Ausbeutung der Teersandgebiete in Alberta hat, Stellen für die Erforschung des Klimawandels radikal zusammen streicht und wenn Wissenschaftler einen Maulkorb bekommen und nicht mehr mit Journalisten über ihre Erkenntnisse zum Thema Klimawandel reden dürfen. Politik dieser Art, so Klein, agiert in einer Sphäre willentlicher Blindheit und führt im Interesse der Fossil-Konzerne einen Krieg gegen die Wissenschaft (395). Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist da beinahe zweitrangig.

Wenn die Bestandsaufnahme der Autorin stimmt, und einiges spricht dafür, dann ist klar, dass die Lösung des Klimaproblems nur mit einem Wandel der Wirtschaftspolitik und einer Transformation der Gesellschaft einher gehen kann. Dann geht es, wie Klein beschreibt, in Zukunft auch nicht mehr darum grüner oder ökologischer zu konsumieren, sondern darum weniger zu konsumieren, also für eine Post-Wachstumswirtschaft einzutreten, und es geht darum, sich die Mittel für eine solche gesellschaftliche Transformation in Form von Steuern, bei den Konzernen zu holen, die den Klimawandel verursacht haben. Nur weniger Konsum, statt Ökokonsum verändert den Energiebedarf tatsächlich. Managementtheorien, die den Klimawandel vor Augen immer noch glauben Ökonomie und Ökologie unter dem Label der Nachhaltigkeit zu versöhnen, sind keine Lösung, weil auch sie weiterhin auf Wachstum, wenn auch auf vermeintlich gutes Wachstum setzen2 .

Trotz vieler positiver Beispiele und Projekte, die etwas gegen den Klimawandel tun, bleibt die Furcht der Autorin und beim Leser, unsere politische Klasse sei unfähig, eine Änderung in die richtige Richtung zu schaffen, auch weil es den Anschein hat, Finanzen seien wichtiger als Leben und weil Regierungen sich z.B. bei Freihandelsabkommen, die ihnen weitgehende Rechte gegenüber der Politik geben, nicht gegen die Konzernangriffe zur Wehr setzen.

Wichtig an diesem Buch ist die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Klima und Wirtschaftssystem, aber auch die positiven Beispiele (Kohle bleibt im Boden und wird nicht gefördert), die zeigen, dass Geschichte nicht alternativlos sein muss. Um Alternativen entwickeln zu können und etwas für das Klima zu tun, braucht es neben Visionen und realisierbaren Projekten, die unterstützt werden müssen, das Brechen und Ändern von geltenden wirtschaftspolitischen Regeln – im Interesse des Klimas und damit im Interesse des Lebens.

Ein kleiner Anfang ist die Divestment-Bewegung, die Gelder aus der FossilIndustrie abzieht und in zukunftsfähige Projekte anlegt. Man trifft die Kassen der Konzerne damit zwar nicht im Kern, aber man entzieht ihnen stückweise die Legitimität für ihr schmutziges Geschäft.

So provokant Naomi Klein mit ihren Büchern „Die Entscheidung“ oder „SchockStrategie“ auch ist, ihre Thesen sind immer gut begründet, die Fakten gut und nachvollziehbar beschrieben. „Die Entscheidung“ – so dramatisch und plakativ der Titel ist – gehört auf jede Leseliste!

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1 Für den Fall, dass der Kipp-Punkt im Klimasystem überschritten werden sollte, haben Zyniker natürlich Abhilfe bereit. So planen manche Geo-Ingenieure z.B. Schwefel in die Atmosphäre zu blasen, um die weitere Erwärmung zu stoppen. Man sieht dann zwar keinen blauen Himmel mehr, aber die Sonnenuntergänge böten ein nie gekanntes und nie gesehenes Spektrum an Farben.
2 Der Denkfehler dieser Versöhnungstheorien, die gut dazu geeignet sind, das Gewissen zu beruhigen und die durch finanzstarke Denkfabriken propagiert werden (z.B. das Heartland Institute, die Bertelsmann Stiftung oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), besteht darin, dass man dort immer noch der Ansicht ist, (gutes, nachhaltiges) Wachstum käme der Umwelt und dem Klima zugute. Dem Klima aber hilft nur ein Schrumpfen der Wirtschaft. Denn Wachstum ist in einer Wirtschaft, die auf fossilen Brennstoffen beruht und in der globaler Waren-Verkehr extrem billig ist, weil z.B. die Emissionen der Containerschiffe keinem Verursacherland von Emissionen zugerechnet werden, immer mit einem steigenden CO2-Ausstoß verbunden.

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bigstock | TTstudio | Aletsch GletscherS. Fischer Verlag
Quelle

www.schwarz-auf-weiss.org | Uwe
Dörwald 2015

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