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Feuerwerksproduktion: Fabriken brennen, Kinder arbeiten – und wir sind taub

Geldverschwendung, Lärm, Smog, Müll – dass böllern nicht vernünftig ist, wissen wir alle. Über die miserablen Arbeitsbedingungen in Indien und China ist dagegen wenig bekannt. Ein Bericht von Martin Tillich

„Wahnsinn wieviel Geld da verballert wird“– mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir auch dieses Silvester einen solchen Satz zu hören bekommen, während es knallt und der Himmel bunt leuchtet. Vielleicht wird auch jemand auf verängstigte Tiere hinweisen. Und am Neujahrs-Morgen werden wir uns vermutlich über die unsäglichen Mengen Müll aufregen, zu denen sich Raketen und Böller dann verwandelt haben.

Anders gesagt: Wir wissen, dass der Neujahrsbrauch mit mehr Irrsinn als Sinn behaftet ist – und trotzdem halten die bekannten Argumente viele Menschen nicht vom Feuerwerkskauf ab. Vielleicht vermag das ein anderes, weniger bekanntes Problem: die Herstellung.

Eigentlich müsste uns klar sein, dass der gebräuchliche Begriff „Berufsrisiko“ in der Feuerwerksindustrie ungekannte Ausmaße erreicht. Meldungen wie „Explosion in Feuerwerk-Fabrik: Elf chinesische Arbeiter sterben“, sind darum immer wieder zu lesen (zuletzt im Januar 2016). Und erst vor einigen Tagen starben über 30 Menschen bei einer Explosion auf einem Markt für Pyrotechnik in Mexiko.

Das Risiko der Arbeiter wird scheinbar hingenommen. Sind wir etwa Nachrichten von ausgebeuteten, verunglückten Menschen in der asiatischen Textil- und Elektronikindustrie schon so gewohnt, dass uns eine explodierte Feuerwerksfabrik nur noch wenig schockieren kann? Es ist an der Zeit hinzusehen, wie es Menschen in der Feuerwerksproduktion ergeht.

„Sie haben keine Fingernägel mehr“

Die Hauptproduzenten der Feuerwerkskörper sind Indien und China. Mit ihrer Produktion decken sie 97 Prozent des Weltmarktes ab. In beiden Ländern gibt es jeweils eine Region, wo der Großteil der Feuerwerksherstellung stattfindet – Liuyang in China und Sivakasi in Südindien.

Berichte über die Arbeit in diesen Städten erinnern an Beschreibungen des Höllenfeuers:

 

  • Sie haben keine Fingernägel mehr. Ihre Hände sind verätzt. Arme und Gesicht sind von Brandnarben gezeichnet. Laut des Kinderhilfsordens Don Bosco stellen Kinder in der südindischen Stadt Sivakasi Raketen, Böller und Wunderkerzen her.“ (taz)
  • Circa 70 000 Kinder arbeiten in Indien in der Feuerwerksindustrie. Laut dem Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi fangen die Kinder schon mit fünf Jahren an. Zehn- bis Zwölfjährige arbeiten bis zu 13 Stunden am Tag – sechs Tage die Woche. Sie verdienen nur einen Bruchteil von dem, was die erwachsenen Arbeiter bekommen, sind aber bei ihrer Arbeit einer extremen Gefahr ausgesetzt.“(Aktiv gegen Kinderarbeit)
  • Jeder Neunte der Angestellten leidet unter Asthma oder Tuberkulose. Ursache hierfür ist der direkte Kontakt mit chemischen Substanzen wie Schwefel, Schwarz- und Aluminium-Pulver. Zudem finden aufgrund fehlender Sicherheitsvorkehrungen zahlreiche Unfälle statt. In den letzten zehn Jahren verloren allein in Sivakasi offiziell 75 Menschen ihr Leben und über 190 ArbeiterInnen wurden schwer verletzt.“(Jugend eine Welt)
  • In der Stadt Liuyang in China ist mit 1700 Fabriken der größte Fabrikant. In Liuyang arbeitet ein Drittel der Bevölkerung in der Feuerwerksproduktion. Dieses Jahr starben im September bei einer Explosion in Südchina 12 Menschen, 33 wurden verletzt. Die chinesischen Medien berichten allerdings nur über große Unglücke, die meisten Unfälle gelangen demnach nie an die Öffentlichkeit.“ (Aktiv gegen Kinderarbeit)

 

Kurz gesagt: Die Feuerwerksherstellung ist lebensgefährlich, ausbeuterisch und produziert unermessliches Leid.

Geht das immer einfach so weiter? Ja und Nein. Das Hilfswerk „Jugend eine Welt“ zum Beispiel setzt sich in Indien mittels Aufklärungs- und Hilfsprogrammen für weniger Kinderarbeit und bessere Arbeitsbedingungen in der Feuerwerksproduktion ein. Laut der NGO ist die Anzahl der dort in der Feuerwerksindustrie arbeitenden Kinder in den vergangenen Jahren offiziell deutlich zurückgegangen, weil schärfer kontrolliert wird: 2014 verloren 17 Betriebe in der Region Sivakasi Nadu ihre Lizenz, nachdem bei unangekündigten Kontrollen unter 14-jährige Kinder angetroffen wurden.

Doch Vorstandsmitglied Reinhard Heiserer warnt: „Unsere Projektpartner gehen davon aus, dass die Kinderarbeit zwar stark zurückgegangen ist, aber nach wie vor im Verborgenen stattfindet.“ Das Problem würde oft durch Auslagerung in ländliche Gebiete umgangen, wo seltener kontrolliert wird.

Böller Made in Germany?

Für mehr Sicherheit und bessere Löhne braucht es laut Jugend eine Welt vor allem mehr Druck von europäischen Importeuren. Wie ein solcher aussehen kann, zeigt Weco – der Hersteller mit Sitz in Köln gehört zu drei marktführenden Unternehmen in Deutschland.

Schon in den 90er Jahren hat Weco seine Geschäftsbeziehungen nach Indien aufgrund der dortigen Produktions- und Arbeitsumstände abgebrochen. Und als einziges großes Unternehmen hat man eigene Produktionsstätten in Deutschland, wo die Herstellung weitgehend automatisiert stattfindet. Dort fertigt Weco (bei Aldi verkauft das Unternehmen unter dem Namen „Helios“) um die 40 Prozent seiner Feuerwerkskörper und möchte den Anteil in den nächsten Jahren auf 50 Prozent steigern.

Utopia meint: Die Arbeitsbedingungen in der Feuerwerksproduktion sind Menschen nicht würdig. Und auch, wenn ein in Deutschland hergestellter Böller ein besserer Böller sein mag, bleibt er ein unsinniges Produkt. Bitte kauft keine Feuerwerkskörper und teilt die Botschaft mit euren Freunden:

utopia.de

Die Silvesterböllerei verschwendet nicht nur Geld im Sekundentakt und schadet massiv der Umwelt – auch die Arbeitsbedingungen in der Feuerwerksproduktion sind miserabel.
Lassen wir es dieses Jahr doch einfach sein! Jetzt auf Facebook teilen!

„Kinderarbeit weltweit“ – Jugend Eine Welt

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Quelle

UTOPIA | Martin Tillich 2016 

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