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© pixabay.com | RonBerg | Die chemische Verschmutzung, der Biodiversitätsverlust und der Klimawandel sind eng miteinander verknüpft. Die Autor*innen der Studie plädieren für eine engere Zusammenarbeit unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, um den Einfluss der Umweltverschmutzung auf die Bedrohung der Artenvielfalt weiter aufzudecken.

Internationales Forscherteam bestätigt dramatisches Insektensterben

27 Jahre wurden Schutzgebiete untersucht – die Ergebnisse sind erschreckend: Mehr als 75 Prozent weniger Biomasse bei Fluginsekten. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten steckt, sondern wie das Insektensterben zu stoppen ist.

Ein internationales Forscherteam aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland hat die dramatischen Befunde zum Insektenrückgang in Nordwestdeutschland in einer jetzt in der internationalen Online-Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlichten Studie bestätigt.

Die Forscher stellten damit die Beobachtungen des Entomologischen Vereins Krefeld auf eine wissenschaftlich abgesicherte Basis. So ist mit den Biomasseverlusten bei Fluginsekten von 76 bis 81 Prozent  seit den 1990er Jahren ein klarer Negativ-Trend erkennbar. Insgesamt wurden  in einem Zeitraum von 27 Jahren 63 Standorte in Schutzgebieten unterschiedlichster Lebensräume des Offenlandes überwiegend in Nordwestdeutschland untersucht, wobei der Rückgang überwiegend im Flachland festgestellt wurde.

„Wir haben es mit einer höchst dramatischen und bedrohlichen Entwicklung zu tun.  Allein die Tatsache, dass es sich bei allen Untersuchungsflächen um verinselte Standorte innerhalb von Schutzgebieten handelt, in deren Umfeld zu mehr als 90 Prozent konventionelle Agrarnutzung stattfindet, legt einen negativen Einfluss durch die Landwirtschaft nahe“, sagt NABU-Präsident Olaf Tschimpke.

Die neue Bundesregierung müsse sich umgehend auf EU-Ebene für einen Kurswechsel in der Agrarpolitik einsetzen sowie einen Schwerpunkt auf Erforschung und Schutz der biologischen Vielfalt legen. Der NABU fordert ein Deutsches Zentrum für Biodiversitäts-Monitoring in Trägerschaft von Wissenseinrichtungen sowie den zügigen Aufbau eines bundesweiten Insekten-Monitorings. Als Vorbild für ein  bundesweites Insekten-Monitoring könnte  NRW dienen, wo 2017 die Beprobung von 100 Standorten angelaufen ist. 

Der Landesvorsitzende des NABU NRW, Josef Tumbrinck, begleitet die Arbeiten des Entomologischen Vereins Krefeld seit Jahren. Seiner Einschätzung nach finden in ganz Deutschland und wahrscheinlich auch in anderen europäischen Ländern ähnliche Entwicklungen statt: „Früher mussten wir Autoscheiben nach ein oder zwei Stunden Fahrt wieder von Insekten säubern und  an Straßenlaternen flogen massenhaft Insekten. Heute ist das meist nicht der Fall. Diese Beobachtungen wurden mir vielfach aus allen Regionen des Landes mitgeteilt.“ Langzeit-Untersuchungen aus anderen Staaten liefern Hinweise darauf, dass es sich nicht nur um ein deutsches Phänomen handelt. Auch von der EU offiziell bestätigte Bestandsrückgänge von Vögeln, die auf Insekten als Nahrungsgrundlage angewiesen sind, dürften höchstwahrscheinlich zu einem wesentlichen Teil auf den Insektenschwund zurückzuführen sein.

Professor Dave Goulson von der Sussex University und Co-Autor der Studie, ist zutiefst beunruhigt über diese Entwicklungen: „Insekten machen etwa zwei Drittel allen Lebens auf der Erde aus. Wie es scheint, machen wir große Landstriche unbewohnbar für die meisten Formen des Lebens, und befinden uns gegenwärtig auf dem Kurs zu einem ökologischen Armageddon. Bei dem derzeit eingeschlagenen Weg werden unsere Enkel eine hochgradig verarmte Welt erben.“

Die aktuelle Veröffentlichung arbeitet heraus, dass die zusätzlich in die statistische Auswertung eingeflossenen Daten zu Veränderungen des Klimas und von Biotopmerkmalen den überwiegenden Teil der Insektenverluste nicht erklären. Hingewiesen wird jedoch auch darauf, dass mangels verfügbarer Daten die potenziellen Einflussfaktoren, so zum Beispiel zur Pestizidbelastung aus direkt umliegender Agrarnutzung nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Datenlage nicht transparent ist.

In der Regel ist die intensive landwirtschaftliche Nutzung im Rahmen der so genannten guten fachlichen Praxis am Rande von Naturschutzgebieten ohne Einschränkung erlaubt. Viele mit Pestiziden behandelte Flächen befinden sich sogar inmitten von  Naturschutzgebieten. „Bis heute muss  den Naturschutzbehörden nicht mitgeteilt werden, welche Pestizide in welcher Mischung und Menge auf Ackerflächen innerhalb vieler Schutzgebiete ausgebracht werden“, kritisiert Tumbrinck. Ein Verbot müsste in der jeweiligen Schutzgebietsverordnung eines Gebietes ausgesprochen werden. Das wird aber nur in wenigen Fällen gemacht. Es fehlt also offensichtlich ein ausreichendes Risikomanagement, obwohl dieses nach der aus dem Jahr 2009 stammenden EU-Richtlinie für die „nachhaltige Verwendung von Pestiziden“ zur Abwehr negativer Einflüsse auf Schutzgebiete vorgeschrieben ist.

Damit nimmt der Druck auf die Insektenwelt weiter zu. Insbesondere die weltweit in der Kritik stehenden hochwirksamen Insektengifte aus der Stoffklasse der Neonikotinoide müssen umgehend und vollständig vom Markt genommen werden. Der NABU fordert, die EU- und länderübergreifenden Zulassungsverfahren für derartig toxische Chemikalien dringend zu überarbeiten und dabei zwingend die Wirkungen für typische Ökosysteme realitätsnah in die Prüfverfahren zu integrieren.

NABU | Helge May | WaldmaikäferNABU | Helge May | Wespe
Quelle

NABU 2017

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