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Reinhard Lässig (WSL) | Die Agglomeration Zürich ist stark zersiedelt, setzt seit einigen Jahren aber auf räumliche Verdichtung.

© Reinhard Lässig (WSL) | Die Agglomeration Zürich ist stark zersiedelt, setzt seit einigen Jahren aber auf räumliche Verdichtung.

Zersiedelung in Europa nimmt zu

Ein neuer Bericht analysiert erstmals für 32 Länder in Europa die Zersiedelung der Landschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen hat.

Ein internationales Team von Wissenschaftern unter der Leitung von Prof. Felix Kienast von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL zeigt in dieser Studie nicht nur, welche Risiken dies für die Umwelt und Gesellschaft birgt, sondern auch, wie sich die Zersiedelung begrenzen lässt.

Der vorliegende Bericht beurteilt für den Zeitraum 2006-2009 mit Hilfe einer verlässlichen Indikator-Methode erstmals den Grad der Zersiedelung und ihrer wichtigsten Ursachen in allen Ländern der EU und der EFTA. Die von Wissenschaftern der WSL entwickelte und getestete Methode ist heute der Standardindikator der Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES). Das Team beurteilte Variablen wie den Anteil des überbauten Fläche, das Eindringen von Siedlungsstrukturen in die Landschaft oder die Landnutzungsfläche pro Einwohner oder Arbeitsplatz.

Da in der EU und insbesondere in den östlichen Mitgliedsstaaten der EU grosse Transport- und Infrastrukturprojekte geplant sind, sollten überall verlässliche kartographische Daten zum Grad der Zersiedelung vorliegen. Da dies bis jetzt nicht der Fall war, haben die Europäische Umweltagentur (EEA) und das Bundesamt für Umwelt BAFU der Schweiz Prof. Felix Kienast von der WSL beauftragt, eine grenzüberschreitende Karte der Zersiedlung in Europa herzustellen und die Faktoren zu analysieren, welche die Siedlungsaktivitäten vorantreiben. Das Ziel war technisch äusserst anspruchsvoll und erforderte eine enge Zusammenarbeit der Schweizer Forschenden mit Experten aus der Tschechischen Republik und Kanada, die von Tomas Soukup bzw. Jochen Jaeger geleitet wurden.

Zersiedlung von Entscheidungsträgern unterschätzt

Obwohl mit verschiedenen Massnahmen versucht wurde, auf die negativen Auswirkungen der Zersiedelung hinzuweisen, hat diese in Europa in den letzten Dekaden schnell zugenommen. Im Hinblick auf eine nachhaltige Landnutzung ist die Zersiedelung eine bedeutende Herausforderung, wie das Internationale Jahr der Böden 2015 hervorhob.

Die Zersiedelung ist ein typisches Beispiel für einen Entwicklungsprozess, dessen Auswirkungen kontinuierlich zunehmen, die voranschreitende Zerschneidung der Landschaft zeigt das eindrücklich. Da sich die Landschaft unter dem Siedlungsdruck über lange Zeit nur schleichend verändert, wird diese Entwicklung aber nicht als dramatisch wahrgenommen. Aus diesem Grund unterschätzen Entscheidungsträger und Politiker vielfach die Folgen der Zersiedelung für ländliche Regionen.

Die Zersplitterung der Landschaft ist nicht ausschliesslich ein Ergebnis des Bevölkerungswachstums, sie hängt auch direkt mit der zunehmenden Lebensqualität des Menschen zusammen. Vor allem die hohe Nachfrage nach mehr Raum zum Wohnen treibt diese Entwicklung voran. Der zunehmende Landschaftsverbrauch wirkt sich in verschiedener Weise auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Er hängt unter anderem mit den Sehnsüchten des Menschen zusammen, beispielsweise dem Wunsch nach einem Leben in einem Einfamilienhaus mit Garten. Die Zersiedelung ist mit ein Grund für die Abnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche, dem zunehmendem Anteil versiegelter Böden und dem Verlust wichtiger ökologischer Funktionen der Böden.

Heimische Fauna benachteiligt – invasive Organismen profitieren

Die Zunahme der überbauten Fläche zerschneidet die Landschaft mehr und mehr, und damit werden in der Regel auch die Lebensräume vieler einheimischer Tierarten kleiner. Vielfach profitieren davon invasive Organismen wie der Japanknöterich (Fallopia japonica) oder der Götterbaum (Ailanthus altissima), die sich schnell in den Randbereichen frisch zerschnittener Landschaftsräume oder entlang neuer Verkehrswege verbreiten können. Voranschreitende Zersiedlung erhöht im der Regel auch die Menge ausgestossener Treibhausgase wie Kohlendioxyd. Schliesslich steigen wegen der Zersiedelung die Infrastrukturkosten für Transporte, Wasser und Strom; gleichzeitig werden offene Landschaften seltener und verschiedene Leistungen, die Ökosysteme erbringen, vermindern sich.

Die Ergebnisse des neuen Berichts zeigen, dass es allerhöchste Zeit ist, zu handeln. Der aktuelle Grad der Zersiedelung ist in vielen europäischen Ländern besorgniserregend und dürfte weiter zunehmen, wenn die städtischen Entwicklung sich wie erwartet fortsetzt. Die in diesem Bericht angewendeten Methoden liessen sich für weitere Analysen der Zersiedelung in der Stadt- und Regionalplanung sowie für die Beurteilung erfolgter Massnahmen gegen einen zunehmenden Landschaftsverbrauch verwenden.

Der vorliegende Bericht ‚Urban sprawl in Europe‘ der Europäischen Umweltagentur EEA und des Schweizer Bundesamtes für Umwelt BAFU liefert nicht nur einen aktuellen Überblick zur Zersiedelung in Europa. Er zeigt auch einen praktikablen Lösungsansatz, mit dem sich die Zersiedelung verfeinert beobachten und die treibenden Kräfte statistisch analysieren lassen. Darüber hinaus verbessert die Studie die Qualität der verfügbaren Daten zum überbauten Raum, was europaweite genauere Beurteilungen als früher ermöglicht.

European Environment Agency, 2016 | Percentage of build-up areas (PBA) per NUTS-2 region level, 2009.European Environment Agency, 2016 | Land uptake per person (LUP) per NUTS-2 region level, 2009.
Quelle

Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL 2016

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