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Wann ist mit einem nächsten großen Krieg zu rechnen?

Leben wir in einer Zeit des „Langen Friedens“? Eine statistische Analyse der zwischenstaatlichen Kriege der letzten 200 Jahre kann das nicht bestätigen. Von Florian Rötzer

Optimisten kennt man aus der Ecke der Unternehmen und der Technik, es gibt sie auch in der Politik. In den Gesellschaftswissenschaften ist oft ein gewisser Pessimismus verbreitet, was die Zukunft der Menschheit betrifft. Einer der derzeit bekanntesten Optimisten ist der amerikanische Psychologe Steve Pinker, der jetzt schon zwei umfangreiche Bücher darüber vorgelegt hat, in denen er messianisch zeigt, dass die Welt immer besser wird und warum die Schwarzmaler unrecht haben.

Menschen würden immer besser, länger, gesünder und glücklicher leben. In seinem Buch über Gewalt, immerhin 1200 Seiten umfangreich, sucht er zu demonstrieren, dass seit Beginn der Sesshaftigkeit die Gewalt zurückgegangen ist und dass seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein „Langer Frieden“ ausgebrochen sei.

Es habe seitdem keine großen Kriege zwischen Großmächten oder höher entwickelten Staaten mehr gegeben, seit 1989 herrsche der „Neue Frieden“ mit einem Rückgang aller organisierten Konflikte. Ursache seien Staatsbildung mit Monopolgewalt, Aufklärung und Vernunft, Feminisierung, Globalisierung, Weltbürgertum und internationaler Handel. Die letzten Kräfte werden heute von den neuen Rechtsnationalen bekämpft.

Nach Pinker ist der Prozentsatz der Jahre, in denen sich Großmächte bekriegten, seit 1500 drastisch zurückgegangen, ebenso die Häufigkeit von Kriegen und die Dauer von diesen. Allerdings stieg die Zahl der Todesfälle in Kriegen, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurückging. Dass es immer friedlicher wird, ist gegenwärtig kaum zu glauben, wenn die Großmächte sich inmitten eines neuen Wettrüstens befinden, viele Staaten ihr Militär stärken und wieder die Gefahr eines Atomkriegs besteht.

Durchschnittlich brach alle 1,91 Jahre ein zwischenstaatlicher Krieg aus

Der Computerwissenschaftler und Statistiker Aaron Clauset von der University of Colorado Boulder hat sich in einer in der Zeitschrift Science Advances erschienenen Untersuchung nun auf diesem Hintergrund des postulierten Langen und Neuen Friedens nach der „Zeit der großen Gewalt“ die zwischenstaatlichen Kriege zwischen 1823 und 2003 angeschaut.

Seine Absicht war herauszufinden, ob es sich um einen anhaltenden Trend handelt, wenn insbesondere seit den letzten 30 Jahren die Zahl der zwischenstaatlichen Kriege tatsächlich stark zurückging. Und er wollte herausfinden, ob sich eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit neuer Kriege im Laufe der nächsten 100 Jahre aus der Analyse der vergangenen 200 Jahre treffen lässt.

In den untersuchten 180 Jahren gab es nach Clauset, der dazu auf historische Quellen verweist, 95 zwischenstaatliche Kriege. Die Todeszahlen variieren zwischen 1000, dem Minimum für einen Krieg, bis zu den 16 Millionen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg im Kampf gefallen sein sollen.

Ein Trend Richtung Frieden würde sein, dass die Zeit zwischen Kriegen länger wird. Im betrachteten Zeitraum variiert die Zeit zwischen 0 Jahren, wenn verschiedene Kriege im gleichen Jahr stattfinden, und 18 Jahren, der Zeit zwischen dem russisch-türkischen Krieg (1828) und dem mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846). Lange Unterbrechungen seien aber ungewöhnlich. Durchschnittlich brach seit 1823 alle 1,91 Jahre ein Krieg aus. In 8 Prozent der Fälle waren mehrere Kriege im selben Jahr ausgebrochen, die meisten Kriege endeten nach 2 Jahren.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (1940-2003) unterscheidet sich nach dieser Analyse nicht von vorhergehenden Periode (1828-1939). Danach gibt es keinen Trend in der Zeitabfolge von Kriegen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. Der „Lange Frieden“ wird als veränderte Frequenz von größeren Kriegen bezeichnet, die mehr als 26.000 Todesopfer verursacht haben.

Zwischen 1823 und 1939 gab es danach 19 große Kriege, durchschnittlich alle 6,2 Jahre, besonders gehäuft traten die Kriege während der Zeit der großen Gewalt zwischen 1914 und 1939 mit 10 Kriegen, alle 2,7 Jahre ein neuer Krieg. Dagegen gab es nach 1940 nur 5 große Kriege, mithin durchschnittlich alle 12,8 Jahre einen.

Das sieht aber dann doch vielleicht nach einem abnehmenden Trend aus. Aber das täuscht, sagt Clauset, der das historische Muster mit verschiedenen Simulationen verglich. Es habe auch zuvor lange Zeitabschnitte mit relativ wenigen Kriegen gegeben, das sei nicht ungewöhnlich.

Dagegen sei die „Zeit der großen Gewalt“ wegen der vielen Toten schon ungewöhnlicher. 42 Prozent der großen Kriege ereigneten sich hier in 15 Prozent der Zeit. Statistisch habe die Zeit nach der „Zeit der großen Gewalt“ nur den Ausschlag korrigiert oder normalisiert. Um einen wirklich plausiblen Trend zu ergeben, müsste der „Lange Frieden“ noch mindestens weitere 100 Jahre so bleiben, also mit alle 12,8 Jahren einem großen Krieg.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für einen nächsten größeren Krieg?

Geht man wie Clauset davon aus, dass es sich statistisch um einen stationären Prozess handelt, dann ließe sich daraus die Wahrscheinlichkeit eines gewaltig großen Krieges mit einer Milliarde Toten ableiten, was durch einen Atomkrieg vorstellbar wäre, auch wenn es in der Vergangenheit, schon aufgrund der Zahl der Menschen, solche Kriege nicht gegeben hat.

Beruhigend ist nicht, wenn die Wahrscheinlichkeit zwischen 383 und 11.489 Jahren liegt, da der Median dann 1339 Jahre wäre. Das wäre zwar weit weg für uns, aber für die Geschichte der Menschheit nicht so lange, zumal es sich dann um eine globale Katastrophe handeln würde. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit Todeszahlen wie im Ersten Weltkrieg ist bei der Wahrscheinlichkeit eines Kriegs in durchschnittlich 1,91 Jahren mit p = 0,43 relativ hoch.

Nach Clauset sieht der von Pinker behauptete Trend zu einer immer besseren und friedlicheren Welt doch eher nach Prinzip Hoffnung aus. Böse gesagt, könnte man auch sagen, es ist eine Ideologie zur Verschleierung oder zur Verstärkung des Bestehenden, weil ja alles gut und in die richtige Richtung läuft. Vielleicht ist dies eine amerikanische oder kalifornische Ideologie und erinnert beispielsweise an das von Francis Fukuyama 1992 ausgerufenen „Ende der Geschichte“. Totalitäre Systeme, so prophezeite er, seien dem Untergang geweiht, dagegen sollten sich liberale Demokratien durchsetzen. 

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Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „TELEPOLIS“ (Florian Rötzer)
2018
 verfasst – der Artikel darf nicht ohne
Genehmigung von Florian Rötzer 2018 weiterverbreitet
werden! 

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