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„Wir brauchen eine neue Klimapolitik“

Wenige Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz in Lima warnt der Umweltökonom Lutz Wicke in einem gemeinsamen Papier mit dem Journalisten Markus Schulte von Drach davor, die bisherigen Konstruktionsfehler der Klimapolitik in einem internationalen Klimaabkommen zu wiederholen. Wicke erläutert, warum die deutsche Klima-Außenpolitik eine Generalrevision braucht.

klimaretter.info: Herr Professor Wicke, Sie sehen die bisherige internationale Klimapolitik als gescheitert an. Warum?

Lutz Wicke: Sie kann ihr wichtigstes Ziel nicht erreichen, den Klimawandel auf ein noch zu verantwortendes Ausmaß zu beschränken. Wie wirkungslos die Weltklimapolitik bislang war, zeigt ein Blick in die Zahlen. Der weltweite Kohlendioxidausstoß ist zwischen 1990 und 2013 von 22 auf 36 Milliarden Jahrestonnen gestiegen. Das ist eine Zunahme um 61 Prozent. Dabei wachsen die Emissionen von Jahr zu Jahr sogar immer schneller. In den 90er Jahren lag die jährliche Zunahme noch bei einem Prozent, seit 2000 sind es im Durchschnitt fast drei Prozent. Bis Ende des Jahrzehnts werden die jährlichen Gesamtemissionen doppelt so hoch liegen wie noch 1990.

Aber soll nicht das Abkommen, das die Staatengemeinschaft in einem Jahr in Paris beschließen will, dem endlich einen Riegel vorschieben? Schließlich sollen sich hier erstmals alle Staaten der Welt zu Emissionsreduktionen verpflichten.

Ja, die Bundesregierung strebt rechtsverbindliche Verpflichtungen für alle Länder an. Dieser Vorschlag wird sich aber wegen des Einstimmigkeitsprinzips bei den Klimaverhandlungen nicht durchsetzen lassen. Unter anderem die USA und China lehnen einklagbare Verpflichtungen und die Sanktionierung von Verstößen ausdrücklich ab. Inzwischen sprechen die meisten Staaten nur noch über die sogenannten„Intended Nationally Determinded Contributions“ und nicht mehr über „Commitments“, das heißt verbindliche Beiträge.

Ich halte es – gelinde ausgedrückt – für sehr problematisch, dass sich die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern in aller Welt auf Folgendes einlässt: Wir fixieren – sehr verdienstvoll – das Zwei-Grad-Zielvölkerrechtlich verbindlich, und gleichzeitig installieren wir ein neues wirkungsloses System, das unweigerlich zu einem ungebremst fortschreitenden Klimapolitik bis weit in die Mitte des 21. Jahrhunderts führt. Das wäre ein klimapolitischer Super-GAU. Dieses außenpolitische Versagen in der Klimapolitik ist um Zehnerpotenzen schlimmer als all das, was man der Bundesregierung in der Energie- und Klima-Innenpolitik vorwerfen kann.

Es ist äußerst wichtig, dass sich alle Klima-Engagierten in Deutschland dieser Tatsache bewusst werden und entsprechend handeln. Sonst haben wir am Ende zwar ein völkerrechtliches Abkommen, aber es wäre ein zahnloser Tiger. Alle Grundkonstruktionsfehler des gescheiterten gegenwärtigen Systems würden erhalten bleiben.

Welche Konstruktionsfehler?

Der größte Fehler: Es wird nach dem Prinzip des Klingelbeutels verhandelt, bei dem jeder Staat selbst entscheidet, wie viel er zu geben bereit ist. Ich fürchte, dass die Minderungsbeiträge vieler Staaten lächerlich gering ausfallen werden im Verhältnis zu dem, was tatsächlich notwendig wäre. Selbst das deutsche Umweltministerium befürchtet, dass die Konferenz in Paris nur den Status quo der Minderungsmaßnahmen festschreibt. Geschieht das tatsächlich, würde die Welt pro Jahr weiterhin acht bis zwölf Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent mehr in die Atmosphäre blasen, als für das Zwei-Grad-Limit noch zulässig wäre. Dann würden wir uns eher auf einen Temperaturanstieg von vier Grad zubewegen.

Und wenn sich die Staaten nun doch auf ausreichend hohe Verpflichtungen einigen?

Dann besteht immer noch das Problem, dass das Abkommen Verstöße gegen Zusagen nicht sankioniert. Wenn die Politik in einem Land die Verpflichtungen aus wahltaktischen oder ökonomischen Gründen nicht einhalten will, kann das Abkommen nicht gewährleisten, dass das Ziel erreicht wird.

Außerdem fehlt im aktuellen Vorschlag zum Paris-Protokoll ein Preis- und Kostensystem, das sowohl Staaten wie auch Bürgern automatisch Anreize setzt, sich klimafreundlich zu verhalten. Und schließlich gibt es keinen maximalen Emissionsrahmen, der alle Staaten umfasst. Auch noch so engagierte deutsche oder europäische Maßnahmen werden deshalb nichts nutzen. Wenn wir unseren Treibhausgasausstoß verringern, führt das meistens nur dazu, dass andere Regionen mehr emittieren.

Heißt das, wir können alle Anstrengungen hierzulande getrost unterlassen?

Nein, das heißt es nicht. Vielmehr brauchen wir mittelfristig eine Generalrevision der deutschen Klima-Außenpolitik. In der Vergangenheit haben Klimapolitiker und -wissenschaftler aus Deutschland schon viel zur Weiterentwicklung der klimadiplomatischen Diskussion beigetragen. Sie waren wesentlich an der Entwicklung und rechtlichen Verankerung des Klimarahmenvertrages, des Kyoto-Protokolls und des Zwei-Grad-Ziels beteiligt. Sie müssen nun auch die Grundlagen für eine bessere Klimapolitik legen.

In welche Richtung soll das gehen?

Ich vertraue darauf, dass wir die Weltklimapolitik mittelfristig verändern können – auch wenn bisher kein Anlass zur Hoffnung besteht, dass die Konferenz in Paris etwas anderes bringen wird als eine weitere Enttäuschung, versteckt hinter vorgetäuschter Aufbruchstimmung und pathetischen Aufrufen zur Rettung der Welt. Eine mittelfristige Veränderung wäre auf der Basis des bestehenden Völkerrechts möglich. Auf diese Aufgabe hatte sich die Völkergemeinschaft im Artikel 9 des Kyoto-Protokolls sogar verpflichtet.

Es gibt hier schon mehrere vielversprechende Ansätze, die die Basis einer deutlich besseren internationalen Klimapolitik bilden können. Alle diese Vorschläge sind sich in einem Punkt einig: Um das Klimaziel zu erreichen, müssen wir die marktwirtschaftlichen Anreize im Klimasystem stark ausweiten. Ohne ein globales Emissionshandelssystem kann das Klimaproblem nicht gelöst werden. Weder die Förderung erneuerbarer Energien noch der Ausbau der Kernenergie noch nationale oder regionale Alleingänge können daran etwas ändern.

Und hier sind die deutschen Klimapolitiker und -wissenschaftler gefordert?

Ja, sie sollten zwei oder mehr international annehmbare Vorschläge vorbereiten, bei denen man davon ausgehen kann, dass die Staatengemeinschaft sie prinzipiell akzeptieren kann. Die muss die Bundesregierung dann im Rahmen ihrer Klima-Außenpolitik einbringen. Überraschende Unterstützung dafür haben die Fachleute von Frankreichs Präsident François Hollande erhalten. Der Gastgeber der Klimakonferenz im kommenden Jahr hat auf dem Klimagipfel von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im September in New York zur „klimapolitischen Revolution“ aufgerufen. Hollande sagt, die Erderwärmung könne man nur begrenzen, wenn es eine „neue Ökonomie“ gibt, eine, in der das Abladen von Treibhausgas in der Atmosphäre einen Preis hat. Mit anderen Worten: Hollande fordert eine weltweite Steuer auf Kohlendioxid.

Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für Umweltmanagement an der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin. Er war unter anderem Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt, Umweltstaatssekretär in Berlin sowie Professor für Umweltökonomie und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin. In früheren Beiträgen kritisierte er die Klimaforschung und die Ausgestaltung der Energiewende.

Das Papier „Vor Lima und Paris: Wie weiter nach dem Scheitern des Kyoto-Protokolls? Plädoyer für eine neue deutsche Klima-Außenpolitik“von Lutz Wicke und Markus C. Schulte von Drach können Sie HIER lesen.Markus C. Schulte von Drach arbeitet seit 1998 als Wissenschaftsjournalist. Zurzeit ist er Redakteur für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bei Süddeutsche.de

Prof. Dr. Lutz WickeMarkus C. Schulte von Drach
Quelle

KLIMARETTER.INFO | Interview: Eva Mahnke 2014

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