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pixabay.com | SofieLaylaThal

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Seethermie – heizen und kühlen mit Umweltwärme

Während die Stromwende von Rekord zu Rekord eilt, und auch die Verkehrswende mit immer neuen Fahr- und Flugzeugen an Fahrt aufnimmt, tritt die Wärmewende in den Staaten Mittel- und Nordeuropas quasi weiter auf der Stelle. Dabei würde es in manchen Fällen schon reichen, für Innovationen einmal einen Blick ins Nachbarland Schweiz zu werfen.

Neben der Solarthermie und der Bioenergie gilt die Wärmepumpe (WP) als eine der Lösungen für die Wärmewende. Bei dieser Technik wird aus einem Quellmedium der Umgebung (Luft, Erdboden, Grundwasser) die Wärme mittels eines Kreislaufsystems heraus geholt und durch einen meist elektrisch betriebenen Kompressor auf eine für den Menschen nutzbare Temperatur (Warmwasser < 60°, Flächenheizung < 40°) angehoben.

Dabei gibt es verschiedene Wärmepumpen-Konzepte. Am verbreitetsten ist die Luft-Wasser-WP, bei der die Wärme aus der Luft entnommen und einem Warmwasserkreislauf zugeführt wird – bei winterlichen Minustemperaturen braucht dann der Kompressor viel Strom und wird fast zur E-Heizung. Die reine Luft-WP wird meist nur zum Trocknen feuchter Räume und Landwirtschaftsprodukte verwendet. Die Erdwärme-WP benötigt zur Verlegung der Kollektoren große Flächen (z.B. Garten) und wird fast nur bei Neuanlagen eingesetzt. Die Erdsonden-WP erfordert tiefe Bohrungen; daher ist deren Installation sehr teuer. Ähnlich sieht es oft bei der Grundwasser-WP aus, die zudem wegen der Verunreinigungsgefahr der Wassers eine staatliche Genehmigung braucht, die nicht immer erteilt wird. Was also tun, um die Wärmepumpe breiter einzusetzen und die teilweise traurige Energieeffizienz [1] dieser Technik zu verbessern?

Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort „Seethermie“ einen eigenen Weg entwickelt. Dieses Konzept wird nicht nur von Gemeinden und Energieversorgern getragen, sondern auch wissenschaftlich unterstützt. So stellt das Wasserforschungs-Institut EAWAG, eine Forschungsinstitution im Bereich der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), einen Potential-Atlas und verschiedene weitere Informationen bereit. [2]

Kein Wunder, dass es in der Alpenrepublik mittlerweile 40-50 entsprechende Installationen gibt, u.a. in Genf, Lausanne, Luzern, Montreux, St. Moritz, Zürich oder Zug. Häufig werden mit dieser Technik Nahwärmenetze für Stadtteile oder Wohnprojekte versorgt, aber auch Schwimmbäder, Sportzentren und Gewerbebetriebe. Der Supercomputer Piz Daint in Lugano, einer der schnellsten der Welt, wird dagegen mittels Seethermie gekühlt. [3] Denn die Technik kann nicht nur im Winter Wärme produzieren, sondern im Sommer auch Kühle, indem die Wärme ins Seewasser abgeführt wird. Das macht die Seethermie sehr effektiv. Eine Aufheizung der Seen ist nicht zu befürchten, zumal die Kältegewinnung hier, wie Projekte zeigen, nur 20% der Wärmegewinnung ausmacht [4] .

Dagegen kann es ökologisch relevant, sein, die durch den Klimawandel ansteigenden Gewässer-Temperaturen durch die Wärmeentnahme im Winter ein wenig abzubremsen. Aufhalten kann Seethermie die klimabedingten Gewässer-Veränderungen jedoch nicht, da die Wärmeentnahme je nach Projekt gerade mal bei weniger als 0,4 % der im Wasser vorhandenen Wärmeenergie liegt. [5] Hilfreich für die thermische Nutzung ist die im Sommer wie im Winter bestehende Temperaturschichtung. [6] Deren Erhalt ist sowohl bei der Wärmeeinleitung als auch der Wärmeentnahme wichtig; letztere erfolgt meist bei Tiefen zwischen 25 und 40 Metern.

Das Potential der Seethermie in der Schweiz gilt als längst nicht annähernd ausgeschöpft; allein in Luzern und der angrenzenden Gemeinde Horw sollen künftig 100 Gigawattstunden (GWh) Seewärme und 23 GWh Seekühlung pro Jahr abgesetzt werden.

Dass Seethermie nicht nur eine Sache großer Energiekonzerne und staatlicher Stellen ist, zeigt sich z.B. in der Gemeinde Spiez am bisher thermisch fast ungenutzten Thunersee. Dort plant die Solargenossenschaft SpiezSolar, die seit 1999 besteht und  mehrere Photovoltaikanlagen mit insgesamt 114 kWp Leistung betreibt, ein kleines Seethermie-Netz für den Ort. [7] Zugegeben, Seethermie-Bürgerenergie mag in der basisdemokratischen Schweiz einfacher sein als in Deutschland, wo Regierungen – ob links oder rechts – und Konzerne gern einmal die Energiethemen unter sich auskungeln.

Fakt ist aber: Auch viele der deutschen Seen erreichen entsprechende Tiefen von über 30 Metern, ob in der Holsteinischen Schweiz (z.B. Plöner See etc.), im Mecklenburg (u.a. Schweriner und Müritz-See), die Ruhrstauseen (z.B. Baldeneysee), einige Maare im Westeifeler Vulkanfeld, der Bodensee, die Bayrischen Seen wie Ammersee, Chiemsee etc. – und natürlich auch die unter Wasser gesetzten großen ehemaligen Tagebaue von Braunkohle, Kies etc.. In Cottbus gibt es hierzu Überlegungen [8].

Ob die Technik auch für Gewässer mit geringerer Wassertiefe umsetzbar ist, müsste im Einzelfall geklärt werden. Immerhin gibt es mit den Berliner Seen und der Hamburger Alster einige große, flachere Gewässer, die aber in der Nähe von Nah- und Fernwärmenetzen liegen.

Insgesamt ist das Potential der Seethermie, einer indirekten Form der Sonnenenergie, erheblich und noch weitgehend ungenutzt. Natürlich benötigt es zu seiner Hebung einiges an elektrischem Strom, z.B. für die Pumpen. Nimmt man zum System Wärmespeicher hinzu, auch saisonale, so lässt sich hier auch der überschüssige Windstrom nutzen, der sonst abgeregelt werden müsste. Auf jeden Fall sollte für die Dekarbonisierung der Wärme die Option Seethermie nicht außer Acht gelassen werden.

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[1] www.sonnenenergie.de/sonnenenergie-redaktion/SE-2017-04/Layout-fertig/PDF/Einzelartikel/SE-2017-04-s020-Waermepumpen-Vollelektrifizierung_der_Gebaeudeheizung.pdf 
[2] thermdis.eawag.ch/de/potential 
[3] www.seethermie.ch/  
[4] thermdis.eawag.ch/static/templates/files/PEAK/6_SeeEnergieProjekt-ewl_PatrikRust.pdf Folie 8
[5] www.jungfrauzeitung.ch/artikel/173769/ 
[6] thermdis.eawag.ch/static/templates/files/PEAK/4_Auswirkungen_AdrienGaudard&MartinSchmid.pdf 
[7] www.spiezsolar.ch/aktuell/anlass-seethermie-16-5-19/ 
[8] www.lr-online.de/lausitz/cottbus/cottbus-im-strukturwandel-eine-heizung-aus-ostseewasser_aid-38855209  

SONNENENERGIE 2|19
Quelle

Der Bericht wurde von
der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie
e.V. (Götz Warnke) 2019
 verfasst
– der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden!
SONNENENERGIE 02/2019 | Das Inhaltsverzeichnis zum Download!

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