„Den wirklichen Jesus finden wir in seiner Muttersprache“
Dr. Franz Alt im LEBE-LIEBE-LACHE Interview mit Annette Maria Böhm
Viele Jesus-Worte sind falsch übersetzt. Jesu Muttersprache Aramäisch ist die entscheidende Hilfe zum wirklichen Verständnis seiner einzigartigen, fundamentalen Botschaft. »Weil vor 2.000 Jahren das Aramäische so weit von der Bibelsprache Griechisch entfernt war wie heute das Arabische vom Deutschen«, ist uns Jesus sehr widersprüchlich und unverständlich überliefert. In aber genau der Spur des echten aramäischen Jesus ist das neue Buch von Franz Alt ein Appell an alle, die Botschaft Jesu wieder lebendig zu machen. Wer den wahren Jesus kennenlernt, wird auch heute nicht an ihm vorbeikommen.
LEBE-LIEBE-LACHE: Die meisten der in Ihrem Buch “ Was Jesus wirklich gesagt hat “ zitierten Jesus-Worte sind von dem Theologen Günther Schwarz (1929 bis 2009) in 50-jähriger Übersetzerarbeit aus den ältesten altsyrischen Grundtexten in die aramäische Muttersprache Jesu rückübersetzt und anschließendins Deutsche übertragen worden. Damit stellt Schwarz im Gegensatz zu allen anderen Übersetzungen die Sinntreue der Lehre Jesu und sein geistiges Eigentum wieder her. Was wird uns heute durch seine Arbeit klarer?
DR. FRANZ ALT: Nach Günther Schwarz sind 80 % der Jesusworte falsch übersetzt. Der Mann aus Nazareth sprach aramäisch, aber viereinhalb Milliarden Bibeln sind aus dem Griechischen übersetzt.
So hat Jesus keinen strengen Richter-Gott verkündet, sondern einen liebenden, ja einen mütterlichen Vater. Sein „Abba“ war ein Papi. Seine Mutter war natürlich keine „Jungfrau“, sondern eine junge Frau. Das Papsttum ist von Jesus nicht gewollt, sondern eine spätere Fälschung. Die berühmte Weisung „Du bist Petrus, der Fels und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, ist – im Aramäischen leicht nachweisbar – ein Himmels-Wort an Jesus und kein Jesus-Wort an Petrus. Dieser war der erste Bischof von Rom und hat sich nie als „Papst“ verstanden.
Jesus hat sich nie als Gott bezeichnet, sondern – wie alle Menschen – als „Kind Gottes“. Vom theologischen Konstrukt einer „Dreifaltigkeit“ hat er nie gesprochen. Er war ein radikaler Pazifist und ein aufregender Heiler. Im Geiste Jesu können Menschen niemals Sünden vergeben. Das kann allein Gott.
Das christliche „Glaubensbekenntnis“ hätte Jesus niemals mit beten können, weil er keinen „dreieinigen“ Gott und keinen „allmächtigen“ Vater kannte. Die Kreuzigung hat er überlebt, den Tod überwunden. Er wird niemals jemand „richten“, er ist der Anwalt seiner Freunde.
Jesu Muttersprache aramäisch ist die entscheidende Hilfe zum wirklichen Verständnis des einzigartigsten Menschen aller Zeiten. Aber vor 2.000 Jahren war das Aramäische so weit von der Bibelsprache griechisch entfernt wie heute das Arabische vom Deutschen. Deshalb ist uns Jesus sehr widersprüchlich und unverständlich überliefert. Jesus war überzeugt davon, dass alle Menschen bei Gott enden werden – wenn auch erst nach vielen Leben und vielen Wiedergeburten. Mit seiner fundamentalen Botschaft, dass das Göttlichste an Gott die Liebe ist, wurde Jesus der Träger und Treiber der wahren Weltrevolution.
Mein Buch ist ein Appell an alle Theologen, uns die Botschaft Jesu aus dem Aramäischen statt aus den Griechischen zu verdeutlichen.
LEBE-LIEBE-LACHE: Warum können immer weniger Menschen etwas mit der kirchlichen Jesus- und Gottesbotschaft, oder gar mit dem christlichen Glaubensbekenntnis, anfangen ?
DR. FRANZ ALT: Wenn die Worte falsch sind, dann stimmt die gesamte Botschaft nicht. Es wird den Kirchen mit falschen Übersetzungen des Neuen Testaments nicht gelingen, die Mehrheit der heutigen Christen noch in ihren Herzen zu erreichen, nicht mal im Kopf.
LEBE-LIEBE-LACHE: Wie sah sich Jesus wohl selbst?
DR. FRANZ ALT: Er sah sich nie als Gott, sondern hat sich immer als Sohn Gottes bezeichnet, so wie unsere Leser Töchter und Söhne Gottes sind. Wir sind Jesu Geschwister. Er ist unser Bruder.
LEBE-LIEBE-LACHE: Welcher Intention sollte eine Politik folgen, die der Bergpredigt zugrunde liegt ?
DR. FRANZ ALT: Die Bergpredigt des Nazareners ist die Magna Charta für eine bessere Welt, von der er träumte und für dessen Umsetzung er ans Kreuz ging.
Selig sind die Friedensstifter, nicht die Gewaltmenschen. Selig sind die Umweltfreunde, nicht die Umweltzerstörer. Selig sind diejenigen, die Flüchtlingen helfen, nicht die Ausländerhasser. Selig sind die, welche für mehr Gerechtigkeit auf dieser Erde sorgen.
LEBE-LIEBE-LACHE: In Ihrem Buch sagen Sie, dass der Meister aus Nazareth zwar ein großer Realist, aber kein Utopist war. Seine Visionen einer besseren Welt könnten heute nach wie vor sehr hilfreich sein. Buddha und Jesus seien Visionäre einer Welt mit mehr Güte, Liebe, Frieden und Gerechtigkeit. Die Bergpredigt kein „Heimatroman“. Mögen Sie dazu ein wenig mehr ausführen ?
DR. FRANZ ALT: Nehmen wir als Beispiel den aktuellen Klimawandel. Wir verbrennen zurzeit an einem Tag so viel Kohle, Gas und Öl wie die Natur an einer M i l l i o n Tagen angesammelt hat. Das ist ein Verbrechen an der heutigen und erst recht an den künftigen Generationen. Die Klimafrage und Energiefrage ist die Überlebensfrage der Menscheit. Wir betreiben mit unserer heutigen Energiepolitik Selbstverbrennung. Wir verbrennen in wenige Jahrzehnten, woran die Natur ungefähr 300 Millionen Jahre gearbeitet hat. Mitten in der Bergpredigt gibt Jesus den Hinweis auf die Sonne und ihre Energie: „Die Sonne unseres himmlischen Vaters scheint für alle“. Unser Zentralgestirn schickt uns jede Sekunde unseres Hierseins 15.000 mal mehr Energie als zurzeit alle Menschen verbrauchen – und zwar umweltfreundlich, für alle Zeit, für alle Menschen und kostenlos. Die Sonne schickt uns keine Rechnung. Das ist der große ökonomische Vorteil der künftigen ökologischen Energieversorgung. So konkret und praktisch ist Jesus, wenn es uns endlich gelingt, ihn heutig zu machen und seine Hinweise nicht mehr länger als Erbauungslyrik zu verstehen.
Die Lösung der Energiefrage, also der größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte, steht am Himmel.
LEBE-LIEBE-LACHE: Wie wäre die Welt ohne Jesus ?
DR. FRANZ ALT: Spirituell, aber auch intellektuell ärmer. Kant und Nietzsche, Hegel und Pascal wären ohne Jesus niemals so gefordert worden. Von Luther ganz zu schweigen. Die Zentren jedes europäischen Dorfes würden anders aussehen. Aber auch die Innenstädte von Paris, Rom, Mailand und Köln.
Über keinen Menschen sind so viel Bücher geschrieben worden – über 20.000 – und so viele Gedichte verfasst wie über Jesus von Nazareth. Jeden Tag erscheinen zurzeit global drei neue Jesusbücher – 1.000 pro Jahr.
Nie wurde zu jemandes Erinnerung so viele Gebäude errichtet.
LEBE-LIEBE-LACHE: Papst Franziskus vermittelt uns immer wieder eindeutig: „Ein Christ, der in diesen Zeiten kein Revolutionär ist, ist kein Christ.“ Würden Sie das so unterschreiben ?
DR. FRANZ ALT: Ja, klar. „Der Name Gottes heißt Barmherzigkeit“ so der Titel des soeben erschienenen Buches von Papst Franziskus. Das ist in einer Zeit, in der die vier reichsten US-amerikanischen Männer über mehr Geld verfügen als die eine Milliarde der Ärmsten, ein revolutionäres Programm – zwar 2.000 Jahre alt, aber dramatisch aktuell.
LEBE-LIEBE-LACHE: John Lennon hat 1966 einmal gesagt : „Das Christentum wird vergehen. Es wird verschwinden und eingehen. Wir (die Beatles ) sind heute beliebter als Jesus – Ich weiß nicht, was zuerst verschwinden wird, der Rock’n’Roll oder das Christentum.“
DR. FRANZ ALT: Wenn sich die Kirchen nicht auf den wirklichen Jesus besinnen, werden sie immer mehr Auslaufmodell. Jesus wollte auch gar keine neue Religion, er ist eher der Überwinder aller Religionen. Aber die Vision einer besseren Welt im Geiste der Bergpredigt wird immer bestehen. Der Geist Jesu hat schon viel verändert und er wird nie verschwinden. Wenn die kirchlichen Institutionen dabei helfen, können sie Bestand haben, aber nur dann. Jesus ging es nie um Institutionen, sondern um eine bessere Welt.
LEBE-LIEBE-LACHE: Wie sieht Ihre „Bestandsaufnahme“ im Januar 2016 aus?
DR. FRANZ ALT: Die Welt ist besser als wir Journalisten sie beschreiben. Durch unsere Berichterstattung haben viele Menschen den Eindruck, dass alles immer schlechter wird. Doch das ist nicht wahr. Drei Beispiele: Im Jahr 2.000 hatten wir in Deutschland vier Prozent Ökostrom, heute sind wir bei 32 %. Während des Koreakrieges in den Fünfzigern sind von 100.000 Menschen weltweit 20 durch Krieg und Gewalt umgekommen, während des Vietnamkriegs waren es noch acht von 100.000, in den Achtzigern während des ersten Golfkriegs und Afghanistan-Kriegs waren es noch drei und 2015 während des Syrienkriegs ist es noch ein Mensch von 100.000. Dieser heutige Krieg ist furchtbar, aber es stimmt nicht, dass früher alles besser war. Drittes Beispiel: Wir hatten seit 1992 zwanzig Weltklimakonferenzen ohne jedes Ergebnis – aber im Dezember 2015 konnten sich 195 Länder erstmals auf ein Abkommen einigen, das diesen Namen auch verdient. Ein Fortschritt, wenn sich jetzt die Welt erstmals als Weltfamilie versteht, um das Klima zu retten.
LEBE-LIEBE-LACHE: Hatte Jesus eigentlich Geschwister ?
DR. FRANZ ALT: Im Neuen Testament sind vier Brüder Jesu erwähnt und mehrere Schwestern.
LEBE-LIEBE-LACHE: Offenbar hat jede Zeit ihren Jesus. Welchen Jesus brauchen wir heute ?
DR. FRANZ ALT: Es ist Aufgabe jeder Zeit, sich aktuell mit dieser Frohen Botschaft aus Nazareth zu beschäftigen. Dieser wunderbare junge Mann aus Galiläa hat jeder Zeit sehr viel zu sagen. Also jede Zeit braucht ihren zeitgemäßen Jesus, weil jede Zeit andere Aufgaben zu bewältigen hat. Mein erstes Jesus-Buch „Frieden ist möglich – Die Politik der Bergpredigt“ schrieb ich 1983, damals gegen den Wahnsinn des atomaren Wettrüstens. Zwei Jahre später folgte „Liebe ist möglich – Die Bergpredigt im Atomzeitalter“. Danach „Jesus – der erste neue Mann“ – ein Buch in der Hochzeit des Feminismus. Im Jahr 2.000 schrieb ich „Der ökologische Jesus – Vertrauen in die Schöpfung“, wo ich aufzeigte, dass das ganze neue Testament voll großartiger ökologischer Bilder ist, die helfen können, eine ökologische Ethik zu begründen. Und jetzt ist „Was Jesus wirklich gesagt hat“ erschienen, wo ich frage, warum wir Jesus bisher so oft missverstanden haben. Liegt das an Jesus oder an unseren falschen Übersetzungen seiner Worte? 2016 im Herbst wird „Die 100 wichtigsten Worte Jesu“ erscheinen, wo ich wiederum auf der Suche nach dem Ur-Jesus bin, der aramäisch und nicht griechisch sprach.
LEBE-LIEBE-LACHE: Ist das Übersetzungsproblem die größte Herausforderung im Neuen Testament?
DR. FRANZ ALT: Schon Konfuzius wusste: „Wenn die Begriffe nicht stimmen, dann ist das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte. Wenn das was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, dann sind auch die Taten nicht in Ordnung. Wenn die Taten nicht in Ordnung sind, dann verderben die Sitten. Wenn die Sitten verderben, dann wird die Justiz überfordert. Wenn die Justiz überfordert wird, dann weiß das Volk nicht, wohin es sich wenden soll. Deshalb achte man darauf, dass die Begriffe stimmen. Das ist das wichtigste von allem.“
Übertragen Sie mal bitte diese Erkenntnis auf die Bibel. Dann wissen Sie, warum der Zustand unserer heutigen Kirchen so ist wie er ist! Zum Teil wurden Jesu Worte ins genaue Gegenteil dessen verändert, was er wirklich gesagt oder gemeint hat.
LEBE-LIEBE-LACHE: Das wohl bekannteste Gebet der Menschheit ist das Vaterunser, das Jesus seine Jünger als Mustergebet gelehrt hat. Bei Matthäus 6,9-13 lautet das Vaterunser in der offiziellen, gemeinsamen evangelisch-katholischen Einheitsübersetzung so:
„Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt,
dein Reich komme, dein Wille geschehe im Himmel,
so auf der Erde.
Gib uns heute das Brot, das wir brauchen.
Und erlass uns unsere Schulden,
wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette
uns vor dem Bösen.“
Nun scheint es in der aramäischen Muttersprache Jesu zum Beispiel das Wort “ böse “ so wie wir es heute tendenziell deuten, gar nicht zu geben. „Böse“ wurde damals sinngemäß mit „unreif “ übersetzt… . Allein dies zu wissen lässt ja eine deutlich liebevollere Interpretation des Gebetes zu.
DR. FRANZ ALT: Ich habe mich seit vielen Jahren gefragt, wie die Vaterunser-Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung“ wirklich gemeint sein könnte. Der liebende Vater, von dem Jesus immer sprach, ist doch kein Zyniker, der uns in Versuchung führen möchte. Gott ist kein Vertreter der Schwarzen Pädagogik. In der Rückübersetzung aus dem Aramäischen heißt diese Bitte viel realistischer und verständlicher: „Lass retten uns aus unserer Versuchung“. Vieles im „griechischen“ Neuen Testament ist einfach „unreif“, da gebe ich Ihnen recht. Und dieser Text ist in etwa vier Milliarden Bibeln so falsch enthalten – eine einzige Katastrophe.
LEBE-LIEBE-LACHE: In der christlichen Mystik bietet das Thomas – Evangelium vielleicht die geheimnisvollste Überlieferung aus dem Umfeld des Jesus von Nazareth. Übte sie, obgleich nicht in den offiziellen Bibel Kanon aufgenommen, einen tiefgreifenden Einfluss aus ?
DR. FRANZ ALT: Der wunderbare neue Roman „Miriam geht fort“ von Lena Naumann basiert zum Teil auf dem außerbiblischen Thomas-Evangelium. Bei diesem Roman ist mir wiederum klar geworden, welche Schätze wir Jesus verdanken, die aber die meisten Christen nicht kennen dürfen, weil sie irgendwann im Laufe der Geschichte per Mehrheitsbeschluss nicht in die offizielle Bibel aufgenommen wurden. Ständig hat das kirchliche Bodenpersonal Jesus zu korrigieren versucht, schlimm. Von Jesu Freundin Maria aus Magdala bekommen wir über das Thomas-Evangelium wahrscheinlich ein viel realistischeres Bild als in den vier offiziellen Evangelien zusammen.
LEBE-LIEBE-LACHE: Wie alle wirklichen spirituellen Meister, so wollte uns auch Jesus an unser inneres Licht erinnern. Wie gefällt Ihnen in diesem Zusammenhang folgender Ausspruch von Anonymus: „Von der Liebe lässt es sich fassen und halten. Vom Intellekt jedoch nicht.“
DR. FRANZ ALT: C.G. Jung hat mal gesagt: „Über den Verstand allein kommen wir nicht zur Vernunft.“
Im Februar erscheint das neue Buch von
- Franz Alt „Was Jesus wirklich gesagt hat – Eine Auferweckung“
- Franz Alt „Flüchtling – Jesus, der Dalai Lama und andere Vertriebene – Wie Heimatlose unser Land bereichern“
- Dalai Lama (Franz Alt Hrsg.) „Der Appell des Dalai Lama an die Welt – Ethik ist wichtiger als Religion“
- Webseite von DR. PHIL. GÜNTHER SCHWARZ | JESUSFORSCHER, ARAMAIST UND THEOLOGE
Quelle
Erstveröffentlichung in „LEBE-LIEBE-LACHE“ | ONLINE MAGAZIN | Interviewerin Annette Maria Böhm 2016