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Dmitrij Belanowskij | Franz Alt und Michail Gorbatschow 2016

© Dmitrij Belanowskij | Franz Alt und Michail Gorbatschow 2016

Für eine Kultur des Friedens, Frau Kramp-Karrenbauer!

Annegret Kramp-Karrenbauer spricht sich gleich zu Beginn ihrer Amtszeit für militärische Aufrüstung aus. Das ist gefährlich angesichts der gärenden Konflikte etwa im Nahen Osten. Deshalb fordert Franz Alt eine andere Sicherheitspolitik. 

Seit mehr als 2000 Jahren gilt der altrömische Grundsatz „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten“. Ergebnis: 2000 Jahre immer wieder Kriege. Ganz in diesem Geist fordert die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gleich nach ihrer Amtsübernahme: „Mehr Geld für die Bundeswehr.“ Wir stecken noch immer in der Kriegsfalle, die uns zuflüstert: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen.“

Kaum einer will es, aber fast alle tun es oder nehmen es hin. Was und wie wäre eine neue Kultur des Friedens anstatt der alten Kriegslogik? Wie könnte die Alternative aussehen? Wie wäre es mit dem Motto „Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“? Und wie ginge das konkret und praktisch?

Das heutige Deutschland braucht viel Geld für Schienen und Schulen, für Klimaschutz und Kitas und für viele Sozialwohnungen. So wie fast alle anderen Länder auch. Also Geld für zivile Sicherheitspolitik.

Eine neue Politik beginnt mit neuem Denken

Das hat uns vor über 30 Jahren Michail Gorbatschow erfolgreich vorgemacht, ein Realpolitiker mit Visionen. Weil einer den Mut hatte voranzugehen und in einem Umfeld von Hardlinern auf realisierbare Visionen zu setzen, konnten erstmals in der Menschheitsgeschichte ganze Waffensysteme einfach verschrottet werden. Kontrolliert verschrottet. Es wurde tatsächlich abgerüstet anstatt aufgerüstet.

Und wie sieht es heute aus, nachdem der alte Wahnsinn des atomaren Wettrüstens gerade wieder von vorne beginnt? Kein Gorbatschow weit und breit. Aber schon wieder ein Denken in der alten Kriegslogik. Steigende Rüstungsetats überall – und jetzt wohl auch in Deutschland. Waren wir nur kurzfristig lernfähig? Haben wir wirklich keine anderen Sorgen, als schon wieder aufzurüsten?

Es gibt immer Alternativen

Was wäre ein Atomkrieg, fragte ich einst den Fachmann Gorbatschow. Seine Antwort: „Ein Atomkrieg wäre wahrscheinlich der letzte Krieg der Menschheitsgeschichte, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten. Lasst uns diesen Wahnsinn endlich stoppen.“

Der US-Präsident und die iranischen Mullahs zeigen uns gerade wieder, dass und wie Feindbilder aufgebaut und gepflegt werden. In dieser gefährlichen Situation könnte Deutschland vormachen, dass es auch anders geht. Wenn es Trump „unfair“ nennt, dass seine USA „vier Prozent“ des Bruttosozialprodukts fürs Militär ausgeben, Deutschland aber „nur 1,2 Prozent“, dann hat er ja vordergründig gesehen recht.

Das scheint tatsächlich „unfair“. Wir könnten ihm an dieser Stelle recht geben und ihm so entgegenkommen: „Herr Präsident, in dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wir Deutsche nähern uns den US-Ausgaben an, oder aber ihr US-Amerikaner nähert euch uns an. Also rüstet ihr ab statt wir auf.“ Es gibt immer Alternativen.

Die USA finanzieren mit ihren über 700 Milliarden Dollar jedes Jahr allein 40 Prozent aller weltweiten Rüstungsausgaben. Das muss wirklich nicht sein. Also runter mit den US-Militärausgaben auf deutsches Niveau. Damit können alle leben und besser überleben, wenn Amerika seine Militärausgaben um zwei Drittel abspeckt. Und endlich wird die Chance realistisch, dass dann alle weiter abrüsten, wenn der Stärkste damit beginnt.

Alle Völker der Welt würden es ihren Regierenden danken, weil alle Völker der Welt eher Abrüstung als Aufrüstung wünschen. Nach diesem ersten US-Schritt wäre das Vertrauen in weitere Abrüstungsschritte gegeben. Der einzige Verlierer wäre die Rüstungsindustrie. Aber wäre das wirklich ein Verlust? Nein, es wäre ein Gewinn für alle, auch für die Mitarbeiter der Rüstungsindustrie, denn auch sie lebten sicherer in einer Welt mit weniger Waffen.

Warum soll heute nicht klappen, was unter Gorbatschow gelang?

Weniger Waffen bedeuten mehr Sicherheit für alle. Aber die Jobs in der Rüstungsindustrie? Die würden in den genannten sozialen Bereichen einer zivilen Sicherheitspolitik dringend gebraucht. So wie in den Branchen der erneuerbaren Energien weit mehr Arbeitsplätze entstehen als bei der alten Kohle und den alten AKWs wegfallen. Es gibt immer Alternativen.

Mit Jobs werden auch in Deutschland oft Waffenexporte gerechtfertigt. Wir gehören zu den größten Waffenexporteuren der Welt. Allein mit dem deutschen G3-Gewehr der Waffenschmiede Heckler und Koch am Bodensee wurden nach den Recherchen des renommierten Rüstungskritikers Jürgen Grässlin in den letzten Jahrzehnten zwei Millionen Menschen getötet. Waffenexport ist oft Beihilfe zum Massenmord.

Warum aber sollte heute nicht klappen, was unter Michail Gorbatschow geklappt hat und zur friedlichen deutschen Wiedervereinigung führte? Vor 30 Jahren wurden immerhin 80 Prozent aller Atomwaffen verschrottet, und wir alle träumten von der „Friedensdividende“ für soziale und ökologische Projekte. Das muss kein einmaliger Traum bleiben. Eine Kultur des Friedens und der Abrüstung ist auch heute möglich.

Vor Gorbatschow konnte man Anfang der Achtziger in US-Reisebüros auf Plakaten lesen: „Besucht Europa, solange es Europa noch gibt“. Wenn dieser Wahnsinn überwunden werden konnte, dann kann auch die derzeitige Eskalationspolitik zwischen den USA und Iran überwunden werden. Das bewies bereits der zäh ausgehandelte Atom-Deal mit Iran, an dem auch Russland und China beteiligt waren. Auch dieses Abkommen ist besser als Krieg, Zerstörung und Massenmord. Selbst die Treffen zwischen Trump und Kim haben bewiesen, dass es immer Alternativen gibt, selbst wenn man sich vorher noch mit gegenseitiger Vernichtung bedroht hat.

Jesus hat uns in seiner Bergpredigt „Feindesliebe“ empfohlen. Ist das naiv? War Jesus ein Spinner? Feindesliebe heißt ja nicht: Lass dir alles bieten. Sondern: Sei klüger als dein Feind. Hab den Mut zum ersten Schritt. Die Bergpredigt ist kein Heimatroman, sondern im Atomzeitalter das Überlebensprogramm der Menschheit, sagte mir Michail Gorbatschow vor zwei Jahren in Moskau. Die regierenden Christen im Westen haben das nie gesagt.

Immerhin hat Helmut Kohl diesen Vorschlag gemacht: „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“. Also abrüsten statt aufrüsten. Darf man die neue Verteidigungsministerin, Vorsitzende einer „C“-Partei, noch an Jesus und Helmut Kohl erinnern? Oder gar an die Bergpredigt-Erkenntnis von Michail Gorbatschow? Das Ziel wäre dann – vielleicht 2040 – Frieden schaffen ohne Waffen. Lasst uns Sicherheit doch mal ganz neu denken. Mit der Bergpredigt kann man Politik machen, Frau Kramp-Karrenbauer. Wirkliche Friedenspolitik. Die Bergpredigt ist eine Frohbotschaft und keine Drohbotschaft.

  • Franz Alt ist Journalist und Autor. Zusammen mit Michail Gorbatschow veröffentlichte er 2017 das Buch „Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft“
  • Gorbatschows Appell: Wir sind EINE Menschheit! | „Wohin geht die Entwicklung der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts? Warum ist die heutige Welt unruhig, ungerecht, militarisiert? Diese Fragen stellen Menschen, umgetrieben von zunehmender Sorge. Auch ich,“ Michail Gorbatschow
  • Gorbatschow warnt vor neuem atomarem Wettrüsten | Vor 30 Jahren haben Michail Gorbatschow als Chef der Sowjetunion und Ronald Reagan als Präsident der USA bei ihrem Treffen in Genf erklärt: „Ein Atomkrieg kann niemals gewonnen werden und darf niemals stattfinden. Es gäbe nur Verlierer“. 
CDU / Laurence Chaperon | CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer | Darf man die neue Verteidigungsministerin, Vorsitzende einer „C“-Partei, noch an Jesus und Helmut Kohl erinnern? Oder gar an die Bergpredigt-Erkenntnis von Michail Gorbatschow? Das Ziel wäre dann – vielleicht 2040 – Frieden schaffen ohne Waffen.Benevento Publishing
Quelle

Franz Alt 2019 | Erstveröffentlichung „WELT“ – Meinung „In dieser Situation könnte Deutschland vormachen, dass es anders geht“ | Stand: 23.07.2019

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