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Depositphotos | palinchak |Der Biden-Klimaplan: Ambitioniert aber noch nicht fehlerfrei

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Doch noch eine Chance für die Rettung des Weltklimas?

Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat diese Woche seine politische Agenda vorgelegt. Besondere Bedeutung hat hierbei sein Vorschlag, die US-amerikanische Elektrizitätsversorgung bis 2035 auf Nullemissionen herunterzufahren.

Da gerade auch in den USA die E-Mobilität rasch voranschreitet und viele Heizungen auf Wärmepumpen umgestellt werden, wäre die Umsetzung dieser Agenda ein entscheidender Beitrag für den Klimaschutz weltweit. Denn wenn die größte Wirtschaftsmacht der Welt, die USA, auf Nullemissionen bis 2035 setzt, dann wird es über ihre Exportwirtschaft und die daraus folgende internationale Innovationsentwicklung auch auf der ganzen Welt große positive Auswirkungen auf die globale Energieversorgung haben. Damit ist es einer derzeit wenigen vorhandenen Hoffnungsschimmer, die dafür sorgen könnten, das „Umkippen“ der Erde in eine unbeherrschbare Heißzeit doch noch zu verhindern.

Doch bevor ein solches Programm umgesetzt werden kann, muss Biden ja noch die Wahl gegen den jetzigen Amtsinhaber Trump gewinnen. Hierbei hat er jede Unterstützung verdient, die wir Ihm in Europa geben können.

Biden war zwar als pragmatischer Demokrat bislang kein großer Klimapolitiker, aber im Verlauf des Rennens um die demokratische Präsidentschaftskandidatur hat das Thema Klimaschutz eine entscheidende Rolle gespielt und Biden hat nun, als Kandidat aller Demokrat*innen viele dieser progressiven Forderungen übernommen.

Daher ist es kein Wunder, dass Biden’s Programm zu großen Teilen auf den Vorschlägen von seinem ehemaligen Konkurrenten im Rennen um die Kandidatur, Jay Inslee, beruht. Dessen Wahlprogramm machte 100% Erneuerbare Energien zum Kernthema seiner Kandidatur. Darüber hinaus hat Biden in seinem Programm Teile der Vorhaben der ebenfalls progressiven Elizabeth Warren übernommen, auch wenn sein Vorhaben nicht ganz an Ihres oder das Programm seines ehemals größten Konkurrenten Bernie Sanders heranreicht. Dennoch stünde ein solches Regierungsprogramm für den größten klimapolitischen Fortschritt, den die größte Volkswirtschaft der Welt jemals unternommen hat.

Der Biden-Klimaplan: Ambitioniert aber noch nicht fehlerfrei

Insgesamt plant Biden mit Beginn seiner Amtszeit Investitionen von 2 Billionen US-Dollar in vier Jahren, um den US-Stromsektor auf Nullemissionen zu bringen. Biden sieht in diesem Investment nicht nur enormes Potential für den Klimaschutz, sondern auch für die Wirtschaft, denn es sollen Millionen von Jobs geschaffen werden, die vor allem im Energiesektor, der Produktion, im Bausektor und im Bereich E-Mobilität entstehend sollen.

Biden sieht vor, verstärkt in Forschung zu investieren, um die Entwicklung von Umwelt- und Klimaschutztechnologien weiter voranzubringen. Doch während es klar aus seinem Plan hervorgeht, den Ausbau der Erneuerbaren und Stromspeicher stärker voranzutreiben – so sprach er bspw. gegenüber der New York Times von Millionen neuen PV-Anlagen und Zehntausenden neuen Windkraftanlagen – fokussiert sich seine Sprache bewusst auf „saubere Energie“ (clean energy). Denn sein Programm beinhaltet unter anderem auch den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken und die Weiterentwicklung von CCS-Technologien, auch im Zusammenhang mit Erdgas.

Beide Punkte sind zu kritisieren. Doch wenn das Ziel von Nullemission im Stromsektor bis 2035 einmal steht, werden diese Technologien, Atomkraft und CCS+Erdgas, sehr schnell von der Realität preisgünstiger Erneuerbarer Energien und Speicher überholt werden. Denn beide Arten der Stromgewinnung sind vielerorts schon heute teurer als erneuerbare Lösungen und dieser Unterschied wird von Jahr zu Jahr weiter zunehmen.

Zurecht hat Marc Jacobson, Professor an der Stanford University, auf den großen Anteil seiner und der Forschung mehrerer anderer Wissenschaftler*innen an Lösungen für 100% Erneuerbare Energien hingewiesen. Denn diese haben das Regierungsprogramm von Biden maßgeblich beeinflusst, waren sie doch der Grundstein für die Klimaprogramme etlicher progressiver demokratischer Präsidentschaftskandidat*innen, unter anderem von Jay Inslee, mit dem ich schon vor vielen Jahren in engem klimapolitischen Austausch stand.

Auch die Energy Watch Group (EWG) steht seit Jahren mit Jacobson in engem wissenschaftlichem und politischem Austausch. Die globale Studie der EWG zusammen mit der finnischen LUT University zu 100% Erneuerbaren Energien spielte hierbei eine zentrale Rolle.

Es ist toll zu sehen, wie diese Forschungsarbeiten nun bei einer solch entscheidenden Wahl in den USA (teilweise) verwirklicht werden könnten. In Deutschland und der EU gibt es zu Forschungen dieser Art bis heute wenig bis gar keine politische Resonanz. Außer einer Vorstellung der EWG/LUT-Studie mitsamt Politikvorschlägen bei der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission im letzten Jahr, gab es auch von Seiten der Bundesregierung oder des Bundestages keinerlei Interesse oder gar Anfragen.

Seien es nun die Forschungen des Teams um Jacobson, der EWG/LUT oder anderen namhaften Forscher*innen weltweit zu diesem Thema: Die Frage nach der Umsetzung von 100% Erneuerbaren Energien und der Realisierung von Nullemissionen bis 2035, sei es sektorenübergreifend oder nur im Stromsektor, scheint unter den meisten politischen Entscheidungsträger*innen auf dieser Seite des Atlantiks noch nicht angekommen zu sein.

Die US-Demokrat*innen sind, bedingt durch den starken sozial-ökologischen Einfluss der letzten Jahre, wesentlich weiter in Ihrer Klimaschutzpolitik als die Europäische Kommission , die deutsche Regierung und die Mehrheit innerhalb der großen Parteien. Der European Green Deal und die Klimapakete der Bundesregierung verblassen vollkommen und man erkennt ihre weitreichende ihre Unzulänglichkeiten angesichts des nicht perfekten aber überaus vielversprechenden Programms von Joe Biden.

Quelle

Hans-Josef Fell 2020Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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