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Dmitrij Belanowskij | Franz Alt und Michail Gorbatschow 2016

© Dmitrij Belanowskij | Franz Alt und Michail Gorbatschow 2016

Michail Gorbatschow – Cassandra oder Prophet?

Warnung vor einem Atomkrieg? Heute? Michael Gorbatschow scheint das nötig, auch wenn die großen Kriege den kleinen gewichen zu sein scheinen. In einem Buch mit dem Journalisten Franz Alt begründet der russische Friedensnobelpreisträger seine Befürchtung ausführlich. Aldo Parmeggiani im Gespräch mit dem Autor, Franz Alt.

„Krieg muss von der UNO geächtet werden – wir brauchen jetzt eine Welt ohne Atomwaffen, aber die Welt bereitet sich auf einen Krieg vor“, so Michail Gorbatschow.

Radio Vatikan: Schönen Tag, Herr Alt. Wir freuen uns, dass Sie uns dieses Gespräch gewidmet haben. Erste Frage: Wie haben Sie den früheren Präsidenten der Sowjetunion und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, heute 86 Jahre, denn wahrgenommen?

Alt: Politisch sehr wach, psychisch voll da, geistig voll da, körperlich etwas angeschlagen, er geht z.B. seit einigen Jahren am Stock und erzählt seinen Besuchern immer, er gehe jetzt auf drei Beinen seit einiger Zeit. Mitgenommen hat ihn natürlich der Tod seiner geliebten Frau, Raissa, im Jahre 1999. Und da merkt man noch mal, was für ein inniges Liebespaar diese beiden gewesen sind. Ich hatte die ja früher auch mal im Studio zusammen und da ist mir das schon aufgefallen, dass das sehr innig ist und voller Liebe zwischen den beiden. Und ich glaube nur so war es möglich, dass Gorbatschow auch seine Politik, die Politik der Perestroika und Glasnost, durchsetzen konnte gegen einen riesigen Apparat in der alten Sowjetunion.


RV:
Herr Alt, Europa hatte nach 1945 eine lange Friedenszeit. Warum warnt der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow in dem gemeinsam mit Ihnen Herr Alt verfassten Buch gerade jetzt vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges.

Alt: Ja er fürchtet sogar, dass das ein Atomkrieg sein könnte. Also Sie sprechen von der Friedenszeit, aber die wahr ja nicht ungefährlich, diese Friedenszeit – die Phase der atomaren Hochrüstung in den 80ern – war äußerst gefährlich. Die beiden atomaren Systeme von Ost und West waren technologisch so ausgerichtet, dass unser Überleben damals für jeweils sieben Minuten gesichert war. Und diesen Wahnsinn des atomaren Wettrüstens und der ständigen Gefahr eines Atomkrieges – wenn auch durch Versehen oder ein technisches Versehen – hat Michail Gorbatschow beendet durch den mutigen Schritt – den ersten Schritt – zur Abrüstung.

Er hat damals gesagt; „Was immer der Westen tut, wir hören auf mit dem Wahnsinn des atomaren Wettrüstens“. Und er hat den ersten Schritt getan und dann erst ist Reagan auf ihn zugegangen und sie konnten diese gefährliche Phase überwinden. Jetzt haben wir wieder eine Situation, wo Putin auf der einen Seite und Trump auf der anderen Seite mit dem Wettrüsten beginnen und ihre Atomarsenale, wie sagen sie, „modernisieren“ wollen. Und das ist wieder die Gefahr des atomaren Wettrüstens. Also das was wir 1990 überwunden geglaubt haben, beginnt jetzt gerade wieder. Und der Gorbatschow sagt, das ist ein solcher Mechanismus, dass die Gefahr eines Atomkrieges nicht ausgeschlossen werden kann. Und solange wir noch eine einzige Atomwaffe haben, besteht eben diese Gefahr des Atomkrieges.

Und Gorbatschow sagt dann in unserem Buch: „Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Menschheitsgeschichte, weil es danach niemanden mehr gäbe, der noch einen Krieg führen könnte.“ Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir jetzt stehen. Und beide Führer – der in Moskau und der in Washington, diese neuen Führer – sind ja ziemlich unberechenbar oder es könnte auch durch ein technisches Versehen kommen, dass es zu einem atomaren Duell kommt. Das ist die eigentliche Gefahr, der wir heute ausgesetzt sind.


RV:
Zu Gorbatschows Regierungszeit, Herr Alt, gelangen den beiden damaligen Supermächten, den USA und der Sowjetunion, die atomare Abrüstung. 90 Prozent aller damaligen Atomwaffen wurden ja verschrottet. Was war denn die Ursache für den damaligen Erfolg?

Alt: Das hab ich Gorbatschow jetzt gefragt, das ist ja wirklich eine sensationelle Entwicklung gewesen damals, dass es gelungen ist erstmals, ganze Waffengattungen in der gesamten Geschichte der Menschheit zu verschrotten und abzuschaffen. Gorbatschow sagt, es war ein Vertrauen, das er aufgebaut hat mit einem für ihn auch nicht einfachen Partner – auf der andere Seite Reagan, Reagan war ja auch lange ein Kalter Krieger. Aber er sagt, er hat ein Grundvertrauen aufgebaut und wir wussten seit der Begegnung in Reykjavík damals Mitte der 80er, dass wir uns aufeinander verlassen konnten. Das war das Entscheidende. Vertrauen, Urvertrauen in den anderen, ich kann mich auf eine Absprache mit ihm verlassen. So kam durch den Aufbau dieses Vertrauen zwischen Gorbatschow und Reagan die erste große Abrüstung in der Menschheitsgeschichte damals zustande.

Was ist denn passiert? Sie haben es zwar schon angedeutet, Herr Alt, dass das damals gewachsene Vertrauen zwischen Ost und West verloren ging und nun wieder von einem neuen Wettrüsten ja sogar von einem Atomkrieg gesprochen wird?

Nach dieser Phase des Abrüstens unter Gorbatschow und Reagan begann eine Phase dann nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wo sich der Westen als Sieger im Kalten Krieg aufgespielt hat und so etwas ist nie gut. Der Sieger kam dem Besiegten nicht entgegen, sondern hat sich als Sieger aufgespielt. Die NATO ist immer weiter nach Osten vorgerückt und einem Typen wie dem Putin gefällt das überhaupt nicht. Der fühlt sich eingeengt und eingeschränkt und bedroht und fing dann an, um sich zu schlagen, das heißt auch wieder aufzurüsten.

Das ist genau das Problem, dass der Westen so unklug war und statt seinen Sieg still zu genießen, den Osten, also Russland in diesem Fall, immer mehr eingekreist und eingeengt hat. Und Putin hat ja mal auf der Sicherheitskonferenz in München vor einigen Jahre erzählt, das war für ihn die größte Demütigung seiner ganzen politischen Laufbahn, der Zusammenbruch der Sowjetunion. Und dann kommt der Westen noch und spielt sich als Sieger auf. Und unvergesslich für Putin ist dieser schlimme Satz von Obama: „Dieses Russland ist ja nur eine unbedeutende Regionalmacht.“

Das kann vom  Politikertyp her ein Typ wie der Putin einfach nicht vertragen. Wissen Sie dieser Mann ist im Hinterhof in St. Petersburg aufgewachsen und hat mal einem Journalisten erzählt, er hat gelernt: „Ich muss zurückschlagen, wenn ich geschlagen werde. Sonst komme ich zu nichts im Leben.“ Und ähnlich macht er jetzt Politik: Je weiter der Westen ihm auf die Pelle rückt mit seiner NATO und seiner Politik in der Ukraine desto mehr fühlt sich Putin eingekreist und schlägt zurück. Das, sagt auch Gorbatschow, ist die Ursache der jetzigen Spannungen – die Unklugheit des Westens.


RV:
Sehen Sie selbst, Herr Alt, als politischer Beobachter der Weltpolitik realistische Chancen für eine neue Abrüstungs- und Friedenspolitik?

Alt: Ja die sehe ich. Also Menschen, die Fehler gemacht haben, können diese Fehler immer wieder gut machen. Alles, was wir Menschen angestellt haben, ist wieder rückholbar. So hat uns der liebe Gott geschaffen, dass wir die Probleme wieder lösen können, die wir geschaffen haben. Auch Putin und Trump könnten die Probleme lösen natürlich mit Hilfe von anderen, Angela Merkel versucht ja, immer wieder zu vermitteln. So ist das Münchener Abkommen zustande gekommen, als es darum ging, den Krieg in der Ostukraine wenigstens einzudämmen und so sind dann auch die Sanktionen gegenüber Russland zustande gekommen. Ich glaube, wenn der Westen klug ist, anstatt immer wieder auf Putins Provokationen mit neuen NATO-Provokationen zu antworten, dass wir da ein Stück weiterkämen. Ich glaube, ich kenn ja Putin nicht, aber Gorbatschow erzählt mir, auch der Putin hat einen guten Kern in sich und man muss mit ihm reden, reden, reden. Das hat er mir sehr deutlich gesagt und auch in unserem gemeinsamen Buch immer wieder betont, dass der Dialog bitte nicht abreißen soll zwischen Ost und West, gerade in schwierigen Situationen weiterreden.

Also wenn wir klug sind, wir haben ja so viele Möglichkeiten heute, die Welt zu verbessern. Wir könnten noch immer den Klimawandel lösen, wir könnten noch immer atomar abrüsten. Bitte Gorbatschow und Reagan haben das ja mal vorgemacht. Das waren ja auch nicht zwei Brüder im Geist von vornherein. Die haben auch Vertrauen zueinander aufgebaut. Vielleicht ist das doch eine Chance, dass auch Putin und Trump Vertrauen zueinander finden. Vom Typ her sind sie sich ja nicht unähnlich, beide haben so etwas machohaftes und aufbrausendes und unberechenbares. Vielleicht ist das langfristig ja auch eine Chance. Ich sag mal ein positives Beispiel, um anzudeuten, was ich meine. Dass wir heute ein Weltabkommen zum Klimaschutz haben, ist nicht zuletzt Trump zu verdanken, weil alle Angst hatten, wenn er Präsident wird, dann macht er den Klimaschutz kaputt, hat die Welt – das heißt 194 Staaten noch bevor Trump gewählt wurde das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert. Das ist dank von Herrn Trump passiert aus Angst vor ihm.

Allerdings hat Trump beim Thema Klimaschutz noch nichts positives bewegt, ganz im Gegenteil er hat den Etat gerade gekürzt zugunsten des Militärischen. Aber man kann, man darf und soll in der Politik immer auch auf Wunder warten. Der Fall der Mauer war ein Wunder, die Abrüstung damals war ein Wunder. Ich hab immer so ein Grundvertrauen in den Heiligen Geist, am Schluss bewegt der Geist die Geschichte, das haben wir von Hegel gelernt. Und ich glaube, dass der Geist immer Auswege findet, gegenüber den Sackgassen, in die wir Menschen uns verrannt haben. Auch in der jetzigen Situation gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir zur Vernunft kommen.

Es ist kein Geheimnis, Herr Alt, dass das Ende des Kalten Krieges und der damit verbundene Mauerfall Berlins und folglich auch die Einheit Deutschlands auch mithilfe der sogenannten Ostpolitik des Vatikans zugeschrieben wird. Spricht Gorbatschow auch über Johannes Paul II. in ihrem und seinem Buch?

Also in dem Buch haben wir den Johannes Paul II. nicht erwähnt, aber ich weiß, dass er ihm sehr dankbar war und dass Gorbatschow früher in einem Fernsehinterview gesagt habe, nicht zuletzt dem Papst Johannes Paul II. habe ich zu verdanken, dass ich diese Politik machen konnte. Er hat im Osten viel aufgebrochen als polnischer Papst. Ohne den polnischen Papst wäre wahrscheinlich die Gorbatschow Politik auch nicht so einfach über die Bühne gegangen. Also Gorbatschow hat voller Hochachtung von Johannes Paul II. gesprochen, er hat ihn ja auch getroffen und ihm gedankt für seine Politik, die er damals gerade in Polen gemacht hat.


RV:
Vorletzte Frage, Herr Alt: Auch Papst Franziskus, Sie wissen das ja, spricht immer wieder von einer Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Was sagen Sie dazu?

Alt: Ja die Gefahr besteht. Wir haben ja darüber gesprochen, Gorbatschow beschreibt sie in unserem Buch und ich teile diese Sorge. Allerdings wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, hat uns Hölderlin schon im 19. Jahrhundert gesagt und ich denke daran muss man arbeiten. Die Rettungsmöglichkeiten, die es heute gibt, auch in der jetzigen schwierigen Situation, die müssen wir nutzen. Ich glaube, wenn mehr Menschen auf die Straße gehen, wenn mehr Menschen für den Klimaschutz arbeiten, dann sind die beiden größten Probleme, nämlich die Kriegsgefahr, vielleicht sogar Atomkriegsgefahr, und der Klimawandel noch zu beherrschen. Das sind die beiden großen Themen unserer Zeit.

Zum Glück hat ja auch der Papst dem Klimawandel eine eigene Enzyklika gewidmet „laudato si“ ist ein wunderbares Papier, das beste, was ich kenne zu diesem Thema Klimawandel und das umfassendste, das ganzheitlich das Problem angeht und neben der ökologischen auch die soziale Frage immer mitbedenkt. Wir bekommen ja riesige Flüchtlingsströme durch den Klimawandel, doch weit mehr als es sie bisher gekannt haben, es wird Klimaflüchtlinge geben, wenn wir den Klimawandel nicht stoppen. Zur Zeit sind in Afrika bereits 18 Millionen Klimaflüchtlinge unterwegs. Die drängen alle nach Europa. Da sieht man, wie die Fragen zusammenhängen: Die Frage von Krieg oder Frieden, die Frage von Klimaschutz oder Klimazerstörung und die Flüchtlingsfrage. All diese Fragen hängen ganz eng zusammen.


RV:
Wir haben dieser Sendung den Titel „Michail Gorbatschow – Cassandra oder Prophet?“ gegeben. Sind Sie damit einverstanden?

Alt: Ja ich bin damit einverstanden. Gorbatschow hat natürlich etwas Cassandrahaftes, insofern ist der Titel richtig, wenn er warnt vor dem Dritten Weltkrieg. Aber er hat auch was prophetisches, wenn er sagt, wir haben noch eine Chance und wenn er immer wieder darauf hinweist, dass das, was vor 20,30 Jahre möglich war, natürlich auch im 21. Jahrhundert möglich ist. Gorbatschows Politik von damals, Gorbatschows Friedenspolitik, Gorbatschows Politik, die den Atomkrieg verhindert hat, ist geradezu ein Aufruf an die jetzigen, es intelligenter zu machen, als sie es zur Zeit machen. Insofern ist er auch ein Prophet.

Radio VatikanJurij Lisunow | Raisa und Michail GorbatschowBenevento PublishingHERDER VERLAG
Quelle

RADIO VATIKAN 2017

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