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Ausstieg aus der Kohle – Grund zu feiern?

Die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ — kurz: Kohlekommission — hat ein Enddatum für den Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland festgelegt: das Jahr 2038. 

Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (Berlin) hat mit Barbara Praetorius, Ko-Vorsitzende der Kohlekommission und Professorin für Nachhaltigkeit und Energie, und Volker Quaschning, Professor für regenerative Energien, darüber gesprochen, ob das ein Grund zum Feiern ist.

In den Medien ist von einem „historischen Kraftakt“ die Rede gewesen. Ist das nicht ein wenig zu euphorisch formuliert für die vorgelegten Empfehlungen der Kommission?

Barbara Praetorius: Wir stehen inmitten einer der größten Transformationen in der Geschichte: Die Kommission hat den vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen und die Leitplanken und zeitlichen Eckpunkte dafür formuliert. Dass das im breiten gesellschaftlichen Konsens geschieht, das kann gar nicht hoch genug gewertet werden. Denn diese Empfehlungen tragen alle mit: die Umweltschützer, die Gewerkschaften, die Industrieverbände, die Energiewirtschaft und genauso die Regionen. Und Sie können mir glauben, es waren wirklich sehr harte Verhandlungen und es stand auch einige Male auf der Kippe. Sie alle haben berechtigte Sorgen: um die Jobs, die sichere Stromversorgung, um die Energiepreise, die Wettbewerbsfähigkeit und um lebenswerte Regionen. Diese Sorgen müssen gehört werden, denn Nachhaltigkeit — und das ist ja mein Forschungsschwerpunkt — bedeutet in der Demokratie, dass man einen Interessenausgleich zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hinbekommt, sonst steht die Stabilität der Gesellschaft auf dem Spiel. Beim Klimaschutz geht es um die Zukunft der Menschheit. Aber man muss sich eben auch um den einzelnen Job kümmern, der aufgrund der klimapolitischen Beschlüsse der Bundesregierung auf dem Spiel steht. Und um die Regionen, in denen die Braunkohle einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellt und seit Jahrzehnten identitätsstiftend ist. Die Kommission hat in den letzten sieben Monaten alle diese Interessen aus vielerlei Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Dass wir hier zu einvernehmlich eine Empfehlung formuliert haben, finde ich wirklich beachtlich und einen großen Erfolg. Hier wird ein gesellschaftlicher Großkonflikt in geordnete Bahnen gelenkt, in denen nun endlich miteinander ehrlich gesprochen und nicht mehr nur lautstark gegeneinander protestiert wird.

Viele Politiker_innen loben den Beschluss der Kohlekommission. Peter Altmaier (CDU) twittert „Gut für Wirtschaft und Klima“. Sigmar Gabriel (SPD) schreibt: „Beim #Kohleausstieg geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Plan- und Berechenbarkeit.“ Auch Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) zieht mit „Deutschland steigt als Industrieland aus der #Kohle aus“ ein positives Fazit. Aber Sie, Herr Quaschning, konstatieren: „Die #Kohlekommission ist gescheitert.“ Warum?

Volker Quaschning: Wir haben mit dem letzten Dürresommer gesehen, dass die Klimaerwärmung immer schneller voranschreitet. Damit die Klimafolgen keine katastrophalen Auswirkungen annehmen, sollten wir dringend die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einhalten und die globale Erwärmung möglichst auf 1,5°C begrenzen. Um das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu erreichen, müssen wir nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC bis 2040 klimaneutral werden, also gar keine Kohle, Erdöl und Erdgas mehr verbrennen. Zuerst gilt es, die Kohle zu ersetzen, dann das Erdöl und zuletzt das Erdgas. Nun ist der vollständige Ersatz von Öl und Gas durch erneuerbare Energien noch komplexer als der Kohleausstieg. Wenn wir also für den Kohleausstieg schon 20 Jahre brauchen, wird sich die vollständige Klimaneutralität Deutschlands bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts hinziehen. Das ist viel zu spät, um die Klimafolgen noch in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Eigentlich hätte man den Kohleausstieg schon vor mehr als zehn Jahren fixieren müssen. Stattdessen wurden munter neue Kohlekraftwerke gebaut. Selbst im Jahr 2020 soll noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen, obwohl Experten schon bei der Planung keinen Sinn darin erkennen konnten. Nun sollen wir Steuerzahler für diese und andere unternehmerische Fehlentscheidungen aufkommen. Das ist absurd. Man will jetzt 50 Milliarden an Steuergeldern verpulvern, um die Fehler der Politik und der Energiekonzerne weich abzufedern, ohne dabei die offenen Fragen des Klimaschutzes zu lösen. Einen Erfolg kann ich darin nicht erkennen.

Barbara Praetorius: Die letzten Jahre waren in der Tat durch klimapolitisches Nichtstun geprägt, und die Politik muss jetzt dringend das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen und unsere Empfehlungen umsetzen, ein Klimaschutzgesetz verfassen und viele weitere Maßnahmen ergreifen. Die Kommission ist sich einig, dass es keine neuen Kohlekraftwerke gibt und dass ein Drittel der heutigen Kohlekraftwerke bis 2022 vom Netz geht, bis 2030 sogar zwei Drittel. Das alles kostet natürlich auch etwas. Der größte Teil der Mittel fließt aber in die Kohleregionen. Dass man denen helfen muss, ist eigentlich selbstverständlich, denn das Schicksal der vielen betroffenen Menschen ist keine Nebensache. Sie brauchen und bekommen jetzt echte Unterstützung Hilfe, das ist unser Plan und Vorschlag. Die Umstellung in der Energiewirtschaft macht ja den geringsten Teil der Kosten aus. Aber natürlich müssen wir auch den Energieversorgern einen angemessenen Ausgleich gewähren, wenn sie ihre Kraftwerke — klimapolitisch begründet — früher abstellen sollen.

Herr Quaschning, können Sie dem Beschluss der Kohlekommission trotzdem etwas Positives abgewinnen?

Volker Quaschning: Bislang hatten wir in Frage des Kohleausstiegs stark verhärtete Fronten und eine völlige Blockade. Die Kommission hat wichtige Fragen des Strukturwandels angesprochen, ohne die ein Kohleausstieg nicht sozialverträglich zu lösen ist und der durchaus Geld kosten wird. Hätte man den Mut aufgebracht, das Ganze mit dem für den Klimaschutz nötigen Ausstiegsdatum 2030 zu verknüpfen, hätte das Ergebnis durchaus eine akzeptable Lösung der Konflikte liefern und alle Seiten langfristig miteinander versöhnen können. Diese Chance wurde verpasst. Nun haben wir einen teuren Ausstieg ohne das für den Klimaschutz nötige Tempo. Die Konflikte bleiben weiter bestehen. Wir werden in den nächsten Jahren weiter massive Proteste gegen die Kohle sehen.

Barbara Praetorius: Dass mehr Klimaschutz wünschenswert wäre, sehe ich genauso, aber nochmals: Vor fünf Jahren wäre es noch komplett undenkbar gewesen, dass die größten deutschen Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände einem Ausstiegsfahrplan aus der Kohle zustimmen. Das ist ein Erfolg, der in der Umweltbewegung seinesgleichen sucht. Die Kommission hatte die Klimaschutzziele der Bundesregierung als Auftrag, und sie gibt dazu ambitionierte Empfehlungen ab: Bis 2022 wird die Stromwirtschaft einen überproportionalen Beitrag leisten, um die aktuelle Klimaschutzlücke zu schließen. Heute haben wir noch 42 Gigawatt an Kohlemeilern im System, in drei Jahren sind es noch rund 30 und in elf Jahren nur noch 17. Gleichzeitig sollen die erneuerbaren Energien auf zwei Drittel der Stromerzeugung hochgefahren werden. Wenn das beides gelingt, dann haben wir die Emissionen der Kohle um zwei Drittel zurückgefahren und haben trotzdem weiterhin eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Wir haben uns über 85 Studien und Expertisen angesehen, nach allem Dafürhalten ist das nun ein gangbarer Weg. Und das Signal ist eindeutig: Der Kohleausstieg wird kommen. Das ist Konsens. Dass das in einem Industrieland wie Deutschland gelingt, ist ein Signal an die Welt.

2032 soll überprüft werden, ob Deutschland den Kohleausstieg schon drei Jahre früher, also 2035, schafft. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Barbara Praetorius: Ich halte es für erforderlich und auch für wahrscheinlich, dass wir deutlich vor 2038 aus der Kohle aussteigen. Das ist übrigens allen klar, sonst hätten wir das Jahr 2035 ja gar nicht im Bericht erwähnt. Das setzt aber den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien voraus. Das ist die große Hausaufgabe, die wir jetzt haben: Wind und Sonne so auszubauen, wie es sich die Bundesregierung ja vorgenommen hat, und dazu die Netze zu modernisieren und Speicher soweit nötig zu installieren. Wenn wir im Jahre 2030 die angestrebten zwei Drittel grünen Strom im Netz haben, dann schrumpft übrigens auch die Wirtschaftlichkeit der Kohlekraftwerke dahin. Ich erwarte deshalb als Entwicklung, dass wir letztlich weit vor 2038 aus der Braun- und Steinkohle aussteigen.

Volker Quaschning: Aber die Bundesregierung hat gerade den Ausbau der Windenergie gedrosselt. In der Photovoltaik wurden in den vergangenen fünf Jahren zukunftsorientierte 80.000 Arbeitsplätze vernichtet, obwohl Strom aus neuen Photovoltaikkraftwerken inzwischen billiger ist als der von neuen Kohlekraftwerken. Ohne die starke Reduktion des Ausbaus erneuerbarer Energien wäre aber ein Kohleausstieg bereits vor 2038 durch die erneuerbare Konkurrenz erzwungen worden. Hier haben die Energiekonzerne durch ihren Einfluss auf die Politik ganze Arbeit geleistet und den Zukunftsenergien und dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen schweren Schaden zugefügt. Es gibt bislang keine Signale, dass der Zubau erneuerbarer Energien deutlich gesteigert werden soll. Im Gegenteil: Für kleine Photovoltaikanlagen droht im nächsten Jahr sogar ein Förderstopp. Bleibt der Zubau erneuerbarer Energien auf dem aktuell niedrigen Niveau, ist der geplante Kohleausstieg rein rechnerisch gar nicht möglich, da nicht ausreichend Ersatzkapazitäten geschaffen werden können. Daher befürchte ich eher, dass selbst der Kohleausstieg im Jahr 2038 noch auf sehr wackeligen Beinen steht, an denen starke Kräfte auch künftig munter sägen werden.

Die Kohlekommission hält es für wünschenswert, den Hambacher Forst vom Tagebau zu verschonen. Denken Sie, dass man sich daran halten wird?

Volker Quaschning: Es gibt aus Gründen der Versorgungssicherheit in Deutschland schon lange keinen Grund mehr, den Hambacher Forst oder gar weitere Dörfer wegzubaggern. Hierbei geht es ausschließlich um die Profite der beteiligten Unternehmen, denn Alternativen zum Hambacher Forst sind teurer. RWE hat sich darum zum Fortbestand des Hambacher Forstes bereits kritisch geäußert. Bleibt also die Frage, ob das Unternehmen in der Politik noch genügend Unterstützer findet, um auch gegen das Votum der Kommission tätig zu werden. Bei der jetzigen Regierung in Nordrhein-Westfahlen ist das nicht ausgeschlossen. Es bestehen aber dennoch gute Chancen, dass die Politik nicht mehr bereit ist, das heiße Eisen Hambacher Forst noch einmal anzufassen. Bei den Dörfern, die auf der Abschussliste stehen, bin ich skeptischer.

Barbara Praetorius: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass der Hambacher Wald jetzt noch gefällt wird. Das wäre überhaupt nicht zu vermitteln, dass man den Kohleausstieg will und den Wald doch noch fällt und noch alle geplanten Umsiedlungen gegen den Willen der Bewohner durchzieht. Die Proteste würden eskalieren und das will keiner riskieren. Das hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen auch verstanden. Es geht hier ja um nicht mehr und nicht weniger als einen gesellschaftlichen Großkonflikt. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Bevölkerung steht allen Meinungsumfragen zufolge hinter der Energiewende, hinter dem Kohleausstieg und natürlich hinter dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir müssen das alles natürlich weiterhin gut beobachten, dafür gibt es auch Überprüfungszeitpunkte alle drei Jahre. Aber wenn die Empfehlungen der Kommission nun ganz zügig von der Bundesregierung umgesetzt werden — und das erwarten wir ausdrücklich — dann schaffen wir den Einstieg in die große Transformation. So oder so — der Kohleausstieg ist jetzt nicht mehr umzukehren, der Zug des Klimaschutzes hat Fahrt aufgenommen. Davon bin ich überzeugt.

Quelle

Hochschule für Technik und Wirtschaft (Berlin) | CAMPUS STORIES 2019 |  Volker Quaschning | Professor für regenerative Energien an der HTW Berlin 2019

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