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panthermedia | SG-Design | Es braucht endlich eine Klimaschutzdebatte, die sich zentral um die Wirksamkeit kümmert und erst nachrangig um die Kosten. Die Kosten des Klimaschutzes können die Wirtschaft niemals so sehr belasten, wie die Kosten des fehlenden Klimaschutzes die gesamte Menschheit inklusive Wirtschaft.

© panthermedia | SG-Design | Es braucht endlich eine Klimaschutzdebatte, die sich zentral um die Wirksamkeit kümmert und erst nachrangig um die Kosten. Die Kosten des Klimaschutzes können die Wirtschaft niemals so sehr belasten, wie die Kosten des fehlenden Klimaschutzes die gesamte Menschheit inklusive Wirtschaft.

Die Erneuerbaren sind der Kern des Klimaschutzes

Nur eine Klimaschutzpolitik, die sich vorrangig an der Wirksamkeit orientiert und nachrangig an den Kosten, kann Klimaschutz bringen, schreibt Hans-Josef Fell in seinem Standpunkt. Mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ließen sich weit über die Hälfte aller Treibhausgasemissionen einsparen, deshalb müsse ihr Ausbau in das Zentrum der Klimaschutzdebatten. 

Es braucht endlich eine Klimaschutzdebatte, die sich zentral um die Wirksamkeit kümmert und erst nachrangig um die Kosten. Die Kosten des Klimaschutzes können die Wirtschaft niemals so sehr belasten, wie die Kosten des fehlenden Klimaschutzes die gesamte Menschheit inklusive Wirtschaft. Der jüngste Beschluss Indonesiens, wegen des ansteigenden Meeresspiegels die Hauptstadt Jakarta bis 2024 teils umzusiedeln – Kosten etwa 27 Milliarden Euro – mag dies ausreichend beleuchten.

In den letzten Wochen haben sich die Vorschläge für Klimaschutzmaßnahmen seitens der Politik nahezu überschlagen. Ein Feuerwerk an solchen Vorschlägen kam nicht zuletzt vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, ein Wandel, den selbst die Süddeutsche Zeitung als „Blendwerk“ bezeichnete. Heiß diskutiert wird ein ganzer Bauchladen von Maßnahmen, wie die Ticket- oder Kerosinbesteuerung im Flugverkehr, die Steuerentlastung von Bahnfahrten, die Inbetriebnahme von 50 zusätzlichen Windkraftanlagen pro Jahr in bayerischen Wäldern, die steuerliche Abschreibung für die energetische Altbausanierung, Abwrackprämie für Ölheizungen, eine CO2-Steuer von 40, 80, oder 180 Euro pro Tonne, die Pflanzung Millionen zusätzlicher Bäume, die Einführung von 30 Prozent Biolandwirtschaft, die Ausweitung des Emissionshandels, die Einführung von Coffee-to-go-Bechern aus Biokunststoffen und seit dem neuen IPCC-Bericht endlich auch intensiver die Landwirtschaft sowie der Fleischkonsum. Es gibt dabei Grundsatzdiskussionen über Schuld, Verantwortung und Dringlichkeit, genauso wie über Verbote, Anreize und soziale Ausgewogenheit.

Ohne Zweifel sind all diese Diskussionen wichtig und auch die jeweiligen Vorschläge. Auffallend ist aber, dass eine massive Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien kaum gefordert wird und schon gar keine Maßnahmen, wie das EEG wiederbelebt werden kann. Dabei ist dies das alles entscheidende Maßnahmenpaket.

Wir stecken inmitten eines Klimanotstandes – nicht nur in Jakarta – und die Auswirkungen sind schon heute dramatisch bis katastrophal. Wir brauchen deshalb Lösungen, die dem Ausmaß der Krise gerecht werden. Daher ist eine Einordnung der einzelnen Vorschläge in den Gesamtkontext notwendig und wichtige Teilbereiche dürfen nicht einfach unter den Tisch fallen.

Es fehlt eine Richtschnur, nach welchen Kriterien entschieden wird, welche Vorschläge realisiert werden, und welche nicht. Sind die vorgeschlagenen Maßnahmen in der Summe ausreichend, um der Krise entgegen zu wirken? Wer rechnet die Effekte der einzelnen Maßnahmen auf, um abschätzen zu können, welchen Beitrag diese überhaupt leisten können? Viele Vorschläge richten sich nach speziellen wirtschaftlichen Interessen, Trend-Themen oder Schuldzuweisungen, die wenigsten nach der bestmöglichen Ursachenbekämpfung.

Erdgas ist ähnlich schädlich wie Kohle und Erdöl

Für viele weiterhin unbekannt beziehungsweise ignoriert ist die Tatsache, dass mit Abstand der größte Teil aller Klimagasemissionen – 60 Prozent – aus dem Verbrauch fossiler Rohstoffe, also Erdöl, Erdgas und Kohle, kommen; 55 Prozent sind auf deren energetische Verfeuerung zurückzuführen und die übrigen fünf Prozent auf die nichtenergetische Nutzung. Diese neuesten Berechnungen hat die Energy Watch Group jüngst in einer neuen Kurzanalyse zusammengetragen. Berücksichtigt wurden neue Forschungsergebnisse, wonach die Methanemissionen auch in der Nutzung fossiler Rohstoffe erheblich höher sind als bisher angenommen. Insbesondere Erdgas hat in der Vorkette hohe Methanemissionen, weshalb Erdgas ähnlich klimaschädlich wie Kohle und Erdöl ist.

Der zweite große Emissionsposten nach den fossilen Energien ist der ganze Komplex Land- und Forstwirtschaft mit 21 Prozent Anteilen. Dies wurde letzte Woche auch durch den neuen IPCC-Bericht in ähnlicher Größenordnung bestätigt.

Was diese wissenschaftlichen Analysen konkret zeigen: Die komplette Umstellung des globalen Energiesystems auf emissionsfreie erneuerbare Technologien würde über die Hälfte aller Emissionen einsparen. Dies bedeutet, 100 Prozent erneuerbare Energien ist die alles entscheidende, dominante Klimaschutzmaßnahme, ohne die alle anderen, ohne Zweifel wichtigen Maßnahmen, letztendlich ohne ausreichende Wirkung sind.

Im Zentrum der Debatte muss also die Frage stehen, wie der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien schnellstmöglich erreicht werden kann. Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Ziel möglichst bis 2030 zu erreichen? Dies ist eine eigentlich auch ökonomisch leicht lösbarerscheinende Aufgabe, denn die erneuerbaren Energien sind heute die kostengünstigste Energieoption, ohne nennenswerte externe Schadenskosten. Es braucht offensichtlich „nur“ eine Politik, die die bisherigen politischen Fehlallokationen zugunsten des fossil/atomaren Energiesystems korrigiert. Ganz oben muss dabei das vollständige Ende aller fossil/atomaren Subventionen stehen, eine Aufgabe, die schon alleine aus Gründen der Schonung der Staatsfinanzen erforderlich ist. Merkwürdigerweise findet sich diese Klimaschutzmaßnahme kaum in der aktuellen öffentlichen Debatte, obwohl sie wesentlich klimawirksamer wäre als der Emissionshandel oder eine CO2-Steuer.

Zurück zu einer festen Einspeisevergütung im EEG

Zudem müssen die unterstützenden Maßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder offensiv vorangetrieben werden. Dies bedeutet eine Reparatur des EEG, welches ja seit 2009 mit verschiedenen Novellen nur den Ausbau von zunächst PV, dann Bioenergie und Wasserkraft, Geothermie und zuletzt nun den Windkraftausbau massiv in die Knie gezwungen hat. Es muss ein Zurück geben zur festen Einspeisevergütung statt Ausschreibungen; ein Aufheben aller Ausbaudeckel; eine auch nach EU-Richtlinie erforderliche Beendigung aller Kostenbelastungen für Eigenstromerzeugung und Vermarktung. Zudem brauchen wir eine moderne Einspeisevergütung, wie eine Kombikraftwerksvergütung, die systemdienliche Investitionen unterstützt, so dass Netzstabilität, Sektorenkopplung, Speicherinvestitionen von unten her stattfinden können.

Alle diese Vorschläge finden sich in der aktuellen Klimaschutzdebatte so gut wie nicht wieder, schon gar nicht in den Vorschlägen der Regierungsparteien. Wenn die Regierung im Herbst – so wie es sich abzeichnet – eine CO2-Steuer oder eine Verbesserung des Emissionshandels beschließen wird, dann wird sie keinen ausreichend beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien befördern und damit wie bisher keinen wirklich wirksamen Klimaschutz erreichen.

Die Debatte zu erneuerbaren Energien wird offensichtlich falsch geführt, mit dem vielfach zu hörenden Argument, dass in den letzten Jahren trotz Ausbau des Ökostromes die Emissionen kaum gesunken sind. Diese oberflächliche Argumentation übersieht, dass die Erneuerbaren Energien zur Emissionsreduktion in Deutschland seit 1990 fast die Hälfte beigetragen haben und die Nichterreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung ihre wesentliche Ursache eben im massiv ausblockierten Erneuerbare-Energien-Zubau der letzten Jahre hat. Die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien möglichst bis 2030 muss also in das Zentrum aller politischen Klimaschutzdebatten. Flankiert werden muss dies mit der Umstellung auf 100 Prozent Biolandwirtschaft, 100 Prozent artgerechte Tierhaltung und große Aufforstungsprogramme.

Diese Ziele, mit ausreichenden Maßnahmen unterlegt, können – umgesetzt bis 2030 – wirksam zum Klimaschutz führen. Eine unsortierte Bauchladendiskussion, wie sie aktuell stattfindet, wird mit Sicherheit zur Verfehlung aller Klimaschutzziele führen, so wie im aktuellen Jahrzehnt auch schon. Und dann wird es nicht nur Umsiedlungsbeschlüsse von Jakarta geben, sondern auch von New York, Shanghai, Mumbai, Amsterdam, Hamburg und vielen anderen Städten.

Quelle

Hans-Josef Fell 2019 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG | Dieser Beitrag erschien am 21. August 2019, als Meinungsbeitrag im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

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