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nina-scheer.de | Benno Kraehahn | Dr. Nina Scheer • Mitglied des Deutschen Bundestages

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Nina Scheer zum Kohleausstiegsgesetz

Seit Jahren steht rechtlich begünstigte Kohleverstromung für Marktverzerrungen zulasten des Klimas, der Umwelt, der Gesundheit und von Alternativen in Form Erneuerbarer Energien. Unermessliche Folgekosten sind nicht nur mit den weltweit wirkenden Klimafolgeschäden verbunden, sondern etwa auch mit dem gigantischen Wasserbedarf, der nach Beendigung des Braunkohletagebaus im Zuge der Rekultivierung aufzubringen ist. Insofern muss auch gewährleistet sein, dass die Unternehmen für eben diese Bürde aufkommen.

Ohne den Ausstieg aus der Kohleverstromung kann weder ein beschleunigter Umstieg auf Erneuerbare Energien, eine hiermit einhergehende Abkehr gesellschaftlicher Abhängigkeiten von endlichen Ressourcen, noch das Erreichen unserer Klimaschutzverpflichtungen erreicht werden. Insofern ist ein gesetzlich zu bewirkender Ausstieg aus der Kohleverstromung für den Klimaschutz und die Energiewende sowie auch Arbeit mit Zukunft für den Wirtschaftsstandort Deutschland unverzichtbar. Die Abkehr vom Verbrauch endlicher Ressourcen hat zudem eine friedenspolitische Dimension – dies haben vergangene Kriege um Öl bewiesen.

Die SPD hat eben dieses politische Ziel des gesetzlichen Kohleausstiegs in den Koalitionsvertrag hinein verhandelt. Mit der Einigung des Koalitionsvertrages wurde auch eine Verständigung auf die Einrichtung einer Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (sog. Kohlekommission) erreicht, deren Abschlussbericht vom Januar 2019 als gesamtgesellschaftlicher Kompromiss auch über die Parteigrenzen getragenen wurde. Der Kompromiss sieht einen Kohleausstieg bis „spätestens 2038“ vor, der durch einen stetigen Ausstiegspfad und zwischenzeitlichen Überprüfungen zu erreichen sei.

Bis heute halte ich – im Einklang mit zahlreichen Stimmen aus der Wissenschaft und einzelnen Mitglieder der Kohlekommission – einen Kohleausstieg bis 2030 für sowohl machbar als auch klimapolitisch erforderlich. Eben gerade im Beschleunigungsfaktor steckt zudem die Chance auf weltwirtschaftliche Vorreiterschaft für zukunftsfeste Schlüsseltechnologien. Gleichzeitig müssen auch die vielfachen Hemmnisse für Erneuerbare Energien beseitigt werden, die sowohl mit den gesetzlichen Ausbau-Mengenbegrenzungen, aber etwa auch durch die Einführung von Ausschreibungen zum Ausbau Erneuerbarer Energien und deren hemmende Wirkung entstanden sind. Hinzu kommen zahlreiche Genehmigungshürden, die den Klima- und Energiewendezielen widersprechen und überwunden werden müssen.

Der Entwurf zum Kohleausstiegsgesetz aus dem Wirtschafts- und Energieministerium weicht unter anderem beim Ausstiegspfad von der Empfehlung der Kohlekommission ab, womit anstelle der „Stetigkeit“ im Pfad größere Abschaltmengen erst um 2030 eintreten. Allein diese Abweichung steht für geschätzte 134 Mio. t CO2-Mehremissionen und ist als solche nicht zu rechtfertigen.

Mit einer Verzögerung im Ausstiegspfad steht zudem die Opportunität von Entschädigungszahlungen in Frage, da bereits heutige Unwirtschaftlichkeit zu Abschaltungen führen. Auch in dieser Hinsicht ist der Gesetzentwurf zu kritisieren. Zugleich bleibt auch ein früherer Ausstieg möglich; Fehlanreize werden mit den Entschädigungen nicht gesetzt. Weder durch das Kohleausstiegsgesetz, noch durch die noch gesondert im Herbst von Seiten des Bundestages zu beratenden und zu bewertenden Verträge (hier gilt Zustimmungspflichtigkeit des Bundestages) wird das Enddatum 2038 (oder 2035) nach vorne hin nicht zementiert — ein früherer Ausstieg bleibt möglich. Zudem wird die Bundesregierung mit den heute vorliegenden Vertragsentwürfen nicht gebunden, keine weiteren Maßnahmen zu schaffen, etwa über einen CO2-Mindestpreis. Eben auf die Beibehaltung solcher Vertragsbedingungen wird bei den parlamentarischen Beratungen über die Verträge genauestens zu achten sein.

Gemäß den Aussagen des Abschlussberichts der Kohlekommission hätte das Kohlekraftwerk Datteln 4 nicht ans Netz gehen dürfen. Mit den Prinzipien der Power Past Coal Alliance, die ein Verbot neuer Kohlekraftwerke erklären und denen Deutschland 2019 beigetreten ist, stellt die Inbetriebnahme von Datteln 4 einen Widerspruch und auch ein fatales weltweites Signal einer Industrienation im Umgang mit eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen dar.

Die Nicht-Rodung des Hambacher Waldes ist mit dem Kohleausstiegsgesetz nun zwar angelegt – auch dies war ein Ergebnis der sog. Kohlekommission. Schätzungen zufolge bedeuten aber die gleichwohl vorgesehenen weiteren Abbauarbeiten an Dörfern und Untergrund, dass hiermit dem Hambacher Wald das Grundwasser genommen wird, womit die Rettung des Waldes letztlich nicht gesichert ist. Auch dies halte ich für sich genommen für nicht akzeptabel.

Die explizite Feststellung des Tagebaus Garzweiler als energiewirtschaftliche Notwendigkeit steht ebenfalls für klimapolitisch nicht zu rechtfertigende Verluste an Heimat und Natur.

Im parlamentarischen Verfahren wurde eine ausdrückliche gesetzliche Zustimmungspflicht des Bundestages zu den öffentlich-rechtlichen Verträgen mit den Kohlekraftwerkbetreibern erreicht. Dies ermöglicht dem Deutschen Bundestag eine gesonderte Bewertung der öffentlich-rechtlichen Verträge und deren Ablehnung. Dies wird nach der Sommerpause in einem erneuten Parlamentarischen Verfahren zu behandeln sein.

In einer Gesamtbetrachtung wird mit dem Kohleausstiegsgesetz das grundsätzliche Risiko von Verständigungen auf Ausstiegspfade und Abschalttermine offenbar. Dies hätte mit einer die externen Effekte der Kohleverstromung aufgreifenden Schadstoffbepreisung vermieden werden können. Für Letztere plädiere ich seit vielen Jahren. Auch der gesetzliche Atomausstieg, der hinsichtlich gesetzlicher Ausstiegsdaten als Orientierung diente, darf nicht davon ablenken, dass er im Jahr 2010 – unter Schwarz-Gelb – wieder rückgängig gemacht worden war; ohne das Reaktorunglück von Fukushima wäre der „Ausstieg aus dem Ausstieg“ möglicherweise bis heute geltende Rechtslage. Deren Aufhebung kostete den Staat hohe Entschädigungssummen.

Mit der heutigen Entscheidung wird ein gesetzlicher Kohleausstieg beschlossen, der meiner Überzeugung von möglichen und erforderlichen Abschaltzeiten nicht entspricht und auch bei den Entschädigungszahlungen zu Wertungswidersprüchen führt.

Zugleich besteht mit dem Gesetz noch immer die Möglichkeit eines auch früheren Kohleausstiegs – sowohl durch die Unternehmen selbst als auch im Zuge einer vorgesehenen Evaluation.

Die Haltung von CDU/CSU offenbart, dass ein früherer Kohleausstieg nicht verhandelbar war. Zugleich weist auch Peter Altmaier in seiner heutigen Rede zur Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes auf weitere Marktentwicklungen und Optionen früherer Abschaltungen hin. Eben hier muss dann im weiteren Verlauf angesetzt werden. Würde man sich heute für weitere Verhandlungen und eine Vertagung bzw. Verzögerungen entscheiden, wird damit zwangsläufig auch die gesetzliche Grundlage für einen Ausstiegspfad verschoben. Bereits mit der heutigen Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes ist eine Verzögerung gegenüber den Empfehlungen der Kohlekommission gegeben. Eine Vertagung des Gesetzes bringt zudem eine Unsicherheit mit sich, ob und wann es in der Zukunft überhaupt eine Verständigung auf ein Kohleausstiegsgesetz geben wird.

Vor diesem Hintergrund stimme ich trotz der genannten sachlichen Kritik dem Kohleausstiegsgesetz zu.

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