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Supersommer, die deutsche Landwirtschaft und der Klimawandel

Und was macht eigentlich die Regierung? Ein Appell an die Politik in Form eines Kommentars von Michael Horling, Gründer und Geschäftsführer von Grüne Sachwerte.

Manchmal ist es ja so im Leben, dass man eine Situation genießt, obwohl einem im Unterbewusstsein klar ist, dass die Lage nicht gut ist, vielleicht sogar ernst. So war das zu Beginn der Hitzewelle in Norddeutschland, als wir uns alle einfach freuten, dass es einmal konstant gutes Wetter gab, sodass es sich auch in Bremen lohnt, die Freibäder aufzumachen. Aber schon nach der zweiten oder dritten Woche mit Sonne und hohen Temperaturen – und ohne Regen! – wussten wir, dass dieser Zustand für unsere Region nicht normal ist.

So kommt es, dass wir in den letzten Wochen des Sommers 2018 tagsüber auf der Arbeit leidenschaftlich gegen den Klimawandel kämpfen, der nicht mehr zu übersehen ist, und nach Feierabend im Freibad oder im Werdersee für einen Moment lang ohne Hintergedanken die unnatürliche Wärme genießen.

Von peruanischen und deutschen Bauern in Zeiten des Klimawandels
Aber inzwischen wird es ganz schwierig, auch nur einen Moment lang darüber hinwegzusehen, dass die diesjährige Hitzewelle, die anhaltende Trockenheit einfach ein sichtbares Zeichen des sich wandelnden Klimas darstellt. Was Alexander Gerst gestern von der ISS aus dem Weltall fotografierte, sehe ich gerade aus dem ICE von Bremen nach München im vorbeifahren – verdorrte Felder, durstige Bäume, gelbliches Braun anstatt saftigem Grün. Deutlich überdurchschnittliche Erträge für deutsche Solarparks zwar, aber selbst Landwirte mit großen PV-Anlagen werden sich überwiegend stärker über den enormen Ernteausfall ärgern, als sich über die Solarerträge zu freuen. Sollte der Staat, also Deutschland (oder die EU?) nun mit Steuermitteln eingreifen, auch bei Betrieben mit Massentierhaltung, die durch hohe Methanausstöße so direkt zu der Entwicklung beitragen?

Im Gerichtsverfahren des peruanischen Bauern (ein schmelzender Gletscher bedroht sein Dorf) gegen RWE wird gerade geprüft, ob ein Unternehmen, das zum Klimawandel beiträgt, auch für dessen Folgen anteilig mit zur Verantwortung gezogen werden kann. Ich persönlich glaube, dass man heutzutage gar nicht anders sehen kann, wo doch der Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und Klimawandel mit all seinen verheerenden Folgen so evident ist.

Was haben Fleischindustrie und Kohlelobby gemein?
Nun kann es vielleicht von dem einen oder anderen als tendenziös betrachtet werden, wenn man als ökologisch motivierter Vegetarier der Ansicht ist, dass insbesondere die Landwirtschaft im Bereich der Tierzucht, oder genauer gesagt der Massentierhaltung, sich aufgrund der enormen Treibhausgasbelastung an den Klimafolgen beteiligen sollte. Ein Großteil der tropischen Regenwälder wurde und wird gerodet, um Platz für die Sojaproduktion zu schaffen, die nahezu komplett für Tierfutter genutzt wird – und nicht überwiegend für uns Vegetarier, wie mir immer wieder humoristisch beizubringen versucht wird.

Aber die Reaktionen auf solche Überlegungen und Forderungen durch die Bauernverbände und deren politische Vertreter ähneln frappierend denen der Kohlelobby. Die versucht krampfhaft, jedes noch so alte und dreckige Braunkohlekraftwerk vor der Abschaltung zu schützen: Man „erkenne ja an, dass man sich aufgrund des Klimawandels ändern müsse, aber dies müsse doch geordnet erfolgen, man dürfe nicht überstürzt die Wirtschaft gefährden, und vor allem Dingen dürften doch keine Jobs gefährdet werden“. Es werden alsbald Kommissionen gegründet, die gewichtig aussehen, und es geht wieder viel Zeit verloren.

ABER DER KLIMAWANDEL IST REAL, und die Warnung der Forscher vor einer „Heißzeit“ kommt zwar zugegebenermaßen zu einem populistischen Zeitpunkt, aber wann sonst sollte man die Bevölkerung wachrütteln, wenn nicht mitten in der großen Dürre und Hitzewelle, in der ganze Flüsse versiegen, selbst schwedische Wälder in Flammen aufgehen, und es teilweise am Nordpol kürzlich wärmer als in Zentraleuropa war? Wenn die Diskussion um Seehofer und ein paar Flüchtlinge an der bayerischen Grenze, die bereits anderswo registriert wurden, die Medien mehr bewegt als der Klimawandel, der unsere ganze Lebensweise bedroht – und voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten deutlich größere Migrationsbewegungen auslösen wird als militärische Konflikte.

Und was macht die Regierung?
Was die Anti-Atomkraft-Bewegung allein nicht ganz geschafft hat, das schaffte die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 innerhalb weniger Tage: Eine Abschaltung alter, anfälliger und gefährlicher Reaktoren sowie ein Ausstiegsszenario bis 2022, das auch umgesetzt wird. Die alten, ineffizienten Braunkohlereaktoren sind ebenfalls gefährlich – doch von ihnen geht eben nicht die Gefahr eines kurzfristigen Super-GAU aus, sondern eben der schleichende, langsame, einschläfernd konstante Vorgang der Klimazerstörung (neben den lokalen Folgen wie Atemwegserkrankungen mit tödlichen Folgen, natürlich).

Darum tun sich Politiker auch so schwer, wo doch die Entscheidung so leicht sein sollte: Eine kraftvolle Energiewende, bei der durch die Abschaltung der „Klimakiller Kohlekraftwerke“ zwar auch lokal Jobs verloren gehen, die aber auf Bundesebene wieder neue, dann auch zukunftsfähige Jobs entstehen lässt. Die versucht, die Grundlagen für zukünftige Generationen zu bewahren.

In den letzten Jahren hat aber die Regierung zum Beispiel die deutsche Solarbranche quasi „zu Tode reguliert“, und dort sind wahrscheinlich mehr Jobs wieder verloren gegangen, als in der ganzen Braunkohlebranche überhaupt noch existieren! Die Zahlen liegen mir gerade nicht vor – im ICE ist heute das WLAN ausgefallen, zudem stehen wir nach einer harten spontanen Bremsung auf der Strecke, und wissen nicht, wann es weitergeht. Etwas planlos, und gänzlich ohne Dynamik, genauso wie unsere aktuelle Regierung in der Energiepolitik. Jetzt fährt der Zug zwar langsam weiter, aber auch nur so langsam, wie die Energiewende in den letzten Jahren vorankommt.

Führt der Supersommer 2018 zum Umdenken?
Zurück zur Hitzewelle: Wenn diese nur lang genug anhält, und genügend Schaden anrichtet, dann könnte sie vielleicht wirklich den Effekt haben, dass auch Politiker in Deutschland verstehen, dass nicht viel Zeit bleibt! Und dass es sicherlich klüger wäre, vorhandene Gelder in Ursachenbekämpfung des Klimawandels zu investieren, anstatt in Entschädigungszahlungen. Man wird gespannt sein dürfen, welche Maßnahmen die Vertreter der Landwirtschaft in Berlin und Brüssel in den nächsten Wochen erreichen werden – und ob irgendeine Regierung in Europa den Sommer wirklich zum Anlass nimmt, endlich entschlossen und kraftvoll gegen den Klimawandel anzugehen.

Mein Fazit? Hoffen und handeln!
Wie sehr würde ich mich freuen, wenn nun also die Regierungen in Berlin oder auch Brüssel vor die Kameras treten und überzeugt verkünden „wir haben verstanden, der Klimawandel ist da, Kohleausstieg jetzt, und auch nicht substituiert durch „CO2-freie Atomkraft“, sondern durch dezentrale Energiewende und Energieeffizienz, und außerdem reduzieren wir Massentierhaltung, reduzieren wir Nitratbelastung, und übrigens wird der Verbrennungsmotor bis 2030 abgeschafft“. Da ich mir aber nicht ganz sicher bin, ob es wirklich so kommt nach der politischen Sommerpause, hoffe ich nun also, dass die Deutsche Bahn es endlich wieder schafft, das WLAN zum Laufen zu bringen. Dann kann ich im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter daran arbeiten, die dezentrale und mittelständisch geprägte Energiewende voranzubringen.

Und am Fahrtziel München wollen wir uns einem neuen Thema widmen, es geht um die Verkehrswende: Um es kurz zu machen, auch hier kann ich es immer wieder nicht fassen, dass oberste Maxime sein soll, „Fahrverbote auf jeden Fall zu verhindern“, und nicht etwa, „Mensch und Umwelt zu schützen, wenn die Automobilindustrie es vorsätzlich versäumt, saubere und effizientere Autos zu bauen“.

Schlußwort – der ICE gibt Vollgas
Mittlerweile, kurz vor Göttingen, gibt es immer noch kein „WLAN on ICE“, dafür fährt der Zug extrem schnell und schwankt und schaukelt recht stark. Versucht der Zugführer etwa, die entstandene Verzögerung durch schnelles Fahren auszugleichen? Ähnlich wird es auch bezüglich des Klimawandels, wenn unsere Politik weitermacht wie in den letzten Jahren: In Zukunft werden die Versäumnisse der Vergangenheit wohl nur durch teure, radikale und gefährliche Maßnahmen wieder aufzuholen und auszugleichen sein, falls das überhaupt noch möglich ist (Siehe Diskussion um „Kipppunkte“ des globalen Klimas).

Hierzulande verweigert sich die große Koalition den dringend notwendigen Reformen im Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftssektor und hat nicht den Mut für kurzfristige, auch unpopuläre Maßnahmen. Also müssen wir alle es gemeinsam tun, kraftvoll und kreativ, und jetzt Veränderung erreichen! Und dann können wir auch wieder mit gutem Gewissen ins Freibad gehen.

Quelle
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