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SWR | Mohammed Ibrahim hat nur noch fünf Kamele - der Rest der 60-köpfigen Herde ist verdurstet.

© SWR | Mohammed Ibrahim hat nur noch fünf Kamele – der Rest der 60-köpfigen Herde ist verdurstet.

Der Klimawandel kommt nicht – er ist bereits da!

Experten erwarten bis 2050 bis zu zwei Milliarden Flüchtende, weil das Klima die Lebensgrundlage dieser Menschen zerstören wird.

Mohammed Ibrahim besass 60 Kamele. Sie waren die Lebensgrundlage seiner Familie. 55 davon sind gestorben. Verdurstet. Nun lebt er am Tschadsee, dem wichtigsten Frischwasservorkommen in Zentralafrika. 25’000 Quadratkilometer umfasste die Fläche des Lebensspenders noch in den 1960er Jahren. Doch sein Schicksal gleicht dem der Kamelherde von Ibrahim: Heute umfasst er noch 2500 Quadratkilometer Fläche – er ist um erschreckende 90 Prozent geschrumpft. Der Journalist Thomas Aders geht in seinem Dokumentarfilm «Klimafluch und Klimaflucht» in der ARD-Reihe «Die Story im Ersten» (abrufbar bis 22. Juli 2020) ganz nah zu den Menschen, die vor dem Klimawandel flüchten müssen. Ihre Geschichte zeigt heute, was gemäss Experten für einen Fünftel bis einen Viertel der Menschheit bis im Jahr 2050 Wirklichkeit werden wird. Denn Ibrahims Wanderung durch Niger, Nigeria und Tschad war eine Flucht aus unbewohnbar gewordenen Landstrichen nach einem Ort, in dem Leben überhaupt noch möglich ist.

Das Meer frisst Land, der Boden bricht ein

Die Hitze nahe am Tschadsee beträgt 60 Grad Celsius an der Sonne und immer noch 45 Grad Celsius im Schatten. Das ist nahe an der Grenze, bei der Menschen überhaupt überleben können. In Indonesien ist es nicht ganz so heiss, aber dort hat es ein Zuviel an Wasser: Sämtliche 17’000 Inseln des Archipels und 18’000 Kilometer Küste werden bis 2050 im Meer versunken sein. Das Meer vor Jakarta steigt jedes Jahr zwischen vier bis sechs Millimeter an. Doch die Megacity, die mit ihrem Umland für rund 30 Millionen Menschen Heimat ist, wird nicht nur vom Meer bedroht, sondern auch regelrecht verschluckt: Der Grundwasserspiegel sinkt jedes Jahr um drei bis 20 Zentimeter, wie der Klimabeauftragte des Inselstaates, Professor Rahmat Witoelar im Dokfilm erklärt. Er rechnet damit, dass bis 2050 65 Prozent der Bevölkerung seines Landes aus ihren angestammten Wohnorten flüchten müssen.

Am Permafrost ist nichts mehr permanent

Überflutungen, Erdrutsche, Wirbelstürme und dann wieder Dürreperioden – die südlichen und nördlichen Erdteile leiden jetzt schon ganz konkret unter den Folgen der Erderwärmung. Und in der Nähe der beiden Pole tickt eine weitere Zeitbombe: Der Permafrost muss umbenannt werden, denn permanent ist er schon längst nicht mehr. Im nordöstlichen Teils Russland, in der Provinz Jakutien am Ostsibirischen Meer gelegen, lebt der Klimaökologe Nikita Zimov. Er zeigt im Film den Oberschenkelknochen eines Mammuts, der durch die Auflösung des Permafrostes freigelegt wurde. Nicht das einzige Fundstück, wie er sagt, ganze Mammutskelette könne man hier finden. Betrug die Schmelze im sibirischen Permafrostgebiet im Jahr 1996 noch rund 45 Zentimeter sind es heute mit 87 Zentimeter bereits das Doppelte. «Wir werden hier unsere ganze Infrastruktur verlieren», ist er überzeugt. Bei einer Wasseraufbereitungsanlage, die er als Beispiel zeigt, sind die Fundamente innert weniger Jahre freigelegt worden, das Erdreich, in dem das Gebäude befestigt war, ist einfach weggebrochen.

CO2- und Methan-Bomben

Im freigelegten Erdreich findet man Wurzeln und Pflanzenreste aus Hunderttausenden von Jahren. «Wenn man auf eine Seite der Waage alle Wurzelreste aus den Permafrostgebieten legen würde und auf die andere Seite der Waage, die heute auf der Erde wachsenden Pflanzen, dann übersteigt das gelagerte Material das heutige um ein Vielfaches.» Er nennt es eine Bombe von CO2 und Methan, die, einmal freigelegt, den Klimawandel in noch unbekanntem Ausmass beschleunigen wird. 25 Millionen Menschen leben in Sibirien, Zimov ist überzeugt, dass ein Grossteil von ihnen wird flüchten müssen. Er selber hat sich Land gekauft und Bisons, Wisente, Pferde, Elche und Yaks. Er will die Zeit des Pleistozän simulieren, also die Zeit, in der die Arktis begann sich zu vergletschern. Im Winter sollen die Tiere mit ihren Hufen den Schnee feststampfen, um dem darunterliegenden Boden eine Art Isoliermantel umzulegen, damit er die Kälte behalten kann. In einem selbstgebauten Höhlensystem kann er feststellen, dass auf seinem, so bearbeiteten Land, die Temperatur weniger sinkt als auf offenem, leeren Land. Retten kann er die Welt damit nicht, aber er will mit Crowdfundig weiteres Land kaufen. Er will nicht nur zusehen, sondern selber etwas gegen den Klimawandel tun.

Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „INFOsperber.ch“ (Monique Ryser) 2019 verfasst –
der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! 

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