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pixabay.com | RitaE | Spargel ist ein Edelgemüse. Nicht zuletzt, weil er unter harten Bedingungen geerntet wird und erst im dritten Anbaujahr mit der Ernte begonnen werden kann.

© pixabay.com | RitaE | Spargel ist ein Edelgemüse. Nicht zuletzt, weil er unter harten Bedingungen geerntet wird und erst im dritten Anbaujahr mit der Ernte begonnen werden kann.

Spargel, regional und saisonal?

Wenn die Bundesregierung 80.000 Erntehelfer einfliegen lässt, kann sie auf einmal beim Gesundheitsschutz beide Augen zudrücken. Auch für „saisonalen und regionalen“, angeblich klimafreundlichen Spargel. Ein Kommentar von Annika Keilen

Bis vor knapp zwei Monaten war ich als Erasmus-Studentin in Rumänien und profitierte von der EU: von der rumänischen Uni, von der Gastfreundschaft und auch vom rumänischen Gesundheitssystem.

Nach einem Unfall musste ich ins Krankenhaus und wurde gar umsonst behandelt. Meine Nationalität spielte keine Rolle, ebenso wenig wurde nach meiner Krankenversicherung gefragt. Egal ob arm oder reich, In- oder Ausländer – für die dortigen Ärzte waren die Menschen in der Notaufnahme  gleich.

Auch in der Corona-Krise hatte ich lange den Eindruck: Gesundheit geht vor Profit. Selbst das Einbrechen der Wirtschaft wurde in Deutschland in Kauf genommen, schließlich gehe es um Leben, um unsere Gesundheit. 

Es geht allerdings nur um unsere Gesundheit. Denn kurz nachdem die Grenzen für Erntehelfer geöffnet wurden, kursierten Bilder von chaotischen Situationen am Flughafen im rumänischen Cluj. Die Reisewilligen standen stundenlang dicht gedrängt in Warteschlangen. Nach Protesten verbesserte sich die Lage am Flughafen, sodass die Erntehelfer schließlich doch noch nach Deutschland reisen konnten.

Nun sind die Bauern hierzulande für den Gesundheitsschutz der eingereisten Landarbeiter zuständig. Dennoch zeigte die chaotische Situation, dass die Bundesregierung über die Schutzmaßnahmen für Erntehelfer zu wenig nachgedacht hat. Die deutsche Landwirtschaft hatte zunächst Vorrang vor der rumänischen Gesundheit.

Nun könnte man einwenden: Die Nahrungsmittelproduktion und damit auch die Landwirtschaft sind systemrelevant. Wer für die Ernte gebraucht wird, ist also unverzichtbar.

Anstrengende Ernte und niedrige Löhne

Allerdings wurden die Erntehelfer vor allem fürs Spargelstechen herbestellt. Spargel ist ein Gemüse, das zwar als kalorienarmes Superfood gefeiert wird, aber zu 90 Prozent aus Wasser besteht und nur in wenigen Wochen des Jahres gegessen werden kann.

Ist Spargel wirklich relevant für die Ernährung? Die Lobby der Spargelbarone muss schon ziemlich stark sein, um die Dringlichkeit der Ernte zu rechtfertigen.

Doch nicht nur die Potenzen der Lobbys wurden in diesen Tagen sichtbar, auch die Ausmaße des international verzweigten Landwirtschaftssystems. Ohne ausländische Arbeitskräfte ist die Ernte hierzulande nicht zu stemmen. Besonders die Spargelernte sei anstrengend und für ungelernte Kräfte zu kompliziert, erklären Bauern.

Das Edelgemüse wird auch heute noch per Hand gestochen, was mit Rückenschmerzen verbunden ist. Möglicherweise schmeckt, was im Schweiße des Angesichts, auch wenn es nicht der eigene ist, aus der Erde geholt wird, besonders gut. 

Spargel gilt im Vergleich zu Erdbeeren und Tomaten zudem als Saisonprodukt. Doch auch hier weiten sich die Erntezeiten immer mehr aus. Pro Hektar werden dazu rund sieben Kilometer Antitau- oder Thermofolie verwendet. Die Folienbespannung soll nicht nur die Qualität sichern, sondern auch den Erntebeginn möglichst weit vorziehen. Das Spargelmarketing kann damit schon im März beginnen.

Auch Spargel zählt als klimafreundlich

Von Mai bis Oktober gleichen Deutschlands Spargelfelder dann eher einer Plastikwüste als dem Traum von der goldenen Landwirtschaft. Für Vögel und Insekten sind diese Lebensräume praktisch unbrauchbar, beklagen Umweltschützer vom Nabu Brandenburg oder der Grünen Liga. Die Kritik an der „Verspargelung der Landschaft“ bekommt hier einen ganz ungewohnten Inhalt.

Im europäischen Vogelschutzgebiet Mittlere Havelniederung seien bereits 21 Vogelarten ausgestorben, beklagt der Nabu. Auch die brandenburgischen Grünen haben sich der Forderung angeschlossen, zumindest in Vogelschutzgebieten die Folien zu untersagen. Das betrifft in Brandenburg, einem der wichtigsten deutschen Spargel-Länder, rund ein Viertel der Anbaugebiete.

Deutschland ist der größte Spargelproduzent Europas. Insgesamt wird das Luxusgemüse hierzulande auf 27.300 Hektarangebaut. Möhren und Karotten, das Gemüse mit der größten Erntemenge in Deutschland, brauchen nur die Hälfte der Fläche.

122.000 Tonnen wurden auf den deutschen Spargelfeldern im Jahr 2019 geerntet, eine Menge, die den hiesigen Spargelhunger zu 80 Prozent befriedigen kann. Durchschnittsdeutsche essen im Jahr etwa 1,7 Kilogramm Spargel. 

Im Inland angebauter Spargel gilt als regionales und saisonales Gemüse und damit auch von vornherein als klimafreundlich. Doch wenn es unter Spezialfolie wächst, ist es dann wirklich noch saisonal? Und wenn die Bundesregierung für unseren Spargelappetit 80.000 Menschen wie Amazonpakete einfliegen lässt, müssen wir uns dann nicht fragen, ob das Luxusgemüse wirklich so eine regionale Sache ist?

Depositphotos | vverve | Das Edelgemüse wird auch heute noch per Hand gestochen, was mit Rückenschmerzen verbunden ist.Depositphotos | wawritto | Von Mai bis Oktober gleichen Spargelfelder dann eher einer Plastikwüste als dem Traum von der goldenen Landwirtschaft. Für Vögel und Insekten sind diese Lebensräume praktisch unbrauchbar, beklagen Umweltschützer vom Nabu Brandenburg oder der Grünen Liga. Die Kritik an der "Verspargelung der Landschaft" bekommt hier einen ganz ungewohnten Inhalt.
Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Annika Keilen) 2020 verfasst – der Artikel
darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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