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Strahlenmüll im Straßenbau – Umstrittene Experimente in Fukushima

Jedes Land, das ein Atomprogramm betreibt, steht irgendwann vor dem Problem, wie man mit den enormen Mengen an radioaktivem Atommüll umgehen soll, der durch ein solches Programm produziert wird. Aber kein Land hat größere Probleme als Japan seit dem mehrfachen Super-GAU von Fukushima.

Durch die Entsorgung strahlender Ernteprodukte und Dekontaminationversuche wie dem Abtragen verseuchter Erdschichten oder dem Sammeln von radioaktivem Laub fallen in den betroffenen Gebieten jedes Jahr tonnenweise radioaktive Müllberge an. Bislang sah es so aus, als gäbe es keine Möglichkeit, dieses Problem in den Griff zu bekommen, doch nun haben die japanischen Behörden Pläne vorgelegt, wie zumindest ein Teil des strahlenden Abfalls „entsorgt“ werden soll …

… als Konstruktionsmaterial für Straßen, Deiche und Fundamente von öffentlichen Bauprojekten. Der gesetzliche Grenzwert für Baumaterialien in Japan lag vor Fukushima bei 100 Bq/kg. Bereits im Dezember 2011 wurde dieser Grenzwert auf 3.000 Bq/kg erhöht. Mehr als 350.000 Tonnen strahlender Müll mit Cäsium-137-Konzentrationen von bis zu 3.000 Bq/kg wurden daraufhin in den letzten 5 Jahren in und um die Ortschaften Minamisoma, Namie und Naraha verbaut. Ein Großteil des kontaminierten Mülls hat jedoch Strahlendosen, die deutlich höher liegen als 3.000 Bq/kg. Um auch diesen „konstruktiv“ nutzen zu können, wurden im Juni 2016 die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Materialien in „öffentlichen Bauprojekten“ vom japanischen Umweltministerium im Rahmen eines „Experiments“ in der Ortschaft Minamisoma von 3.000 auf 8.000 Bq/kg angehoben. Zum Vergleich: normale Bodenproben haben eine Cäsium-137-Konzentration von 0 bis 3 Bq/kg, je nachdem wie betroffen die jeweilige Gegend von oberirdischen Atomwaffentests war.  Es geht hier also um radioaktiven Müll, der die normalen Strahlenwerte um mehr als das 1.000-fache überschreitet.

Dieses „Experiment“ des Umweltministeriums stieß nicht nur auf scharfe Kritik in der Lokalbevölkerung und den Verwaltungen der betroffenen Gemeinden, sondern auch von der traditionell industrienahen japanischen Atomregulierungsbehörde NRA. Diese kritisierte vor allem das Informationsdefizit von Seiten des Umweltministeriums. Es sei nicht klar, wie das Umweltministerium die sichere Handhabung des strahlenden Materials gewährleisten und wie lange sich das Ministerium für den Atommüll zuständig fühlen würde. Straßen oder Deiche sind keine Strukturen für die Ewigkeit, müssen gewartet, repariert und nach einigen Jahrzehnten auch ersetzt werden. Es sei völlig unklar, wer dann die Verantwortung für den radioaktiven Bauschutt inne habe und wie sicher gestellt werden soll, dass Arbeiter, Bevölkerung und Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen des Strahlenmülls geschützt werden. Die NRA äußerte ihre Sorge, dass radioaktive Materialien am Ende illegal in der Umwelt deponiert oder ohne entsprechende Kennzeichnung für andere Projekte genutzt werden könnte und bestärkte die Notwendigkeit, wieder zum Grenzwert von 100 Bq/kg zurück zu kehren, um die Bevölkerung vor unzulässiger gesundheitlicher Gefahr zu schützen.

Das Problem, dass radioaktives Material im Bau genutzt wird, kennt man auch hierzulande. Vor allem in Thüringen und Sachsen, nahe der Uranabbaugebiete der Wismut AG, wurden mehrere Millionen Tonnen strahlender Abraum für den Bau von Häusern, Straßen und Dämmen verwendet – mit unmittelbaren gesundheitlichen Folgen für die dortige Bevölkerung. Während die meisten verstrahlten Häuser mittlerweile längst abgerissen sind, finden sich in vielen Straßen in der Region zwischen Chemnitz und Gera weiterhin erhöhte Konzentrationen von Radioaktiven Materialien, die im Rahmen von Bauarbeiten aufgewirbelt und zur gesundheitlichen Gefahr für Arbeiter und Lokalbevölkerung werden können. In Uranabbaugebieten in Kanada, Indien und Niger, wo ebenfalls mit radioaktivem Abraum gebaut wurde, liegen überall die selben Probleme vor: erhöhte Raten an Krebs, Fehlbildungen und Unfruchtbarkeit als Folge der chronischen Exposition mit ionisierender Strahlung. Kein wirklich zukunftsfähiges Konzept für den Umgang mit radioaktivem Abfall, den sich das japanische Umweltministerium erdacht hat. Mittlerweile wurde das „Experiment“ in Minamisoma übrigens aufgrund des öffentlichen Drucks beendet und der Grenzwert von 8.000 wieder auf 3.000 Bq/kg abgesenkt. Man kann nur hoffen, dass Bevölkerung und Behörden in Japan weiter wachsam bleiben und die Verwendung radioaktiver Materialien in Bauprojekte weiter einschränken. In Deutschland steht währenddessen die Auseinandersetzung um den Umgang mit gering radioaktivem Bauschutt aus dem Rückbau von Atomkraftwerken ins Haus. Dieser soll nach einer sogenannten „Freigabe“ in die normale Wertstoffentsorgung überführt werden – und kann dann ungehindert in reguläre Abfalldeponien gebracht oder durch Recycling in Bratpfannen, Heizkörpern oder Zahnspangen auftauchen. Eine gefährliche Entwicklung, der sich auch hierzulande die Bevölkerung entschieden entgegen stellen muss.

Weitere Informationen:

Quelle

IPPNW | Dr. med. Alex Rosen 2017

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