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ClipDealer.com | alphaspirit | Die heutigen Industrieökonomien produzieren extrem viel Abfall. Eine konsequente Kreislaufwirtschaft könnte damit Schluss machen.

© ClipDealer.com | alphaspirit | Die heutigen Industrieökonomien produzieren extrem viel Abfall. Eine konsequente Kreislaufwirtschaft könnte damit Schluss machen.

Kreislaufwirtschaft: Ein ökosystemrelevantes Update ist verfügbar

Corona als Chance zu feiern wäre zynisch – den nötigen Neustart nicht für ein Update zu nutzen wäre fahrlässig. Das hier vorgestellte Update ist für unser Ökosystem höchst relevant. Es sieht eine Wirtschaft vor, in der nichts mehr auf dem Müll landet, sondern alles „von der Wiege zur Wiege“ geht – „Cradle to Cradle“.

Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Tage ist, dass die EU-Kommission beim Corona-Neustart die Inhalte ihres Green Deal – und damit auch den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft – nicht aus den Augen zu verlieren scheint.

Ein Teil der Gelder, die für das nun vorgestellte Aufbauprogramm „Next Generation EU“ vorgesehen sind, sollen laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die „grüne und digitale Wende“ fließen.

Nun muss die EU die Mitgliedsländer allerdings auch in die Pflicht nehmen, dieser Forderung schnell nachzukommen. Die enorme Summe von 750 Milliarden Euro muss im Sinne einer dringend notwendigen anderen Wirtschaftsweise investiert werden.

Das in der Nacht zum Donnerstag veröffentlichte Konjunkturpaket der Bundesregierung bestätigt indes, dass in Brüssel auch in Corona-Zeiten mehr für eine lebenswerte Zukunft getan wird als in Berlin.

Zwar kommen die von der Autoindustrie geforderten Kaufprämien für veraltete Technologien nicht mehr darin von. Zudem liegt ein Schwerpunkt des Investitionspakets auf sauberer Energie und Mobilität.

Aber anders als die EU-Milliarden sind die Mittel nicht branchenübergreifend an die Anforderung gebunden, damit zukunftsfähige und unschädliche Produkte und Geschäftsmodelle zu finanzieren. Für eine Wirtschaft mit positivem Fußabdruck braucht es drastischere Maßnahmen.

Positiver Fußabdruck statt „Klimaneutralität“ 

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das menschengemachte Konzept Müll nicht mehr existiert. Sämtliche Produkte werden so entworfen, dass alle ihre Bestandteile entweder biologisch abbaubar sind oder sortenrein getrennt und dadurch bei gleicher Qualität endlos wiederverwertet werden können.

Bei allem, was wir tun, fragen wir Menschen uns nicht mehr, wie wir es weniger schlecht, sondern wie wir es richtig gut machen können. In dieser Welt ist der Gedanke absurd, sich so zu verhalten, als gäbe es uns Menschen nicht – also etwa „klimaneutral“. In dieser Welt haben wir unsere Kreativität und unseren Innovationsgeist genutzt, um zu Nützlingen zu werden. Wir feiern unseren großen ökologischen Fußabdruck – weil er positiv ist.

Was hier utopisch klingen mag, ist für alle anderen Lebewesen auf der Erde vollkommen normal – aber auch bei uns Menschen schon weit entwickelt: Cradle to Cradle (C2C) – „von der Wiege zur Wiege“ – ist eine konsequente Kreislaufwirtschaft.

In diesem Konzept zirkuliert alles in endlosen Kreisläufen und besteht aus gesunden Materialien: Volle Windeln werden zu Dünger, Teppiche reinigen die Raumluft, Stuhlbezüge sind essbar (wenn auch nicht genießbar), Außenfassaden binden Feinstaub und CO2, Reifenabrieb ist biologisch abbaubar, Textilfarben reinigen das Grundwasser, aus achtlos weggeworfenen Verpackungen wachsen Blumen, Gebäude produzieren mehr Energie als sie verbrauchen, Ackerbau macht Böden fruchtbar.

Das und viel mehr ist schon marktreif entwickelt. C2C folgt der Einsicht, dass sämtliche Ressourcen auf diesem Planeten begrenzt vorhanden sind – und dass das kein Problem darstellen muss.

Die Evolution der Innovation beschleunigen

Unsere momentane Wirtschaftsweise ist das genaue Gegenteil davon: Cradle to Grave. Alles wird so entworfen, dass es zwangsläufig von der Wiege ins Grab wandert.

Vermeintliches Recycling verschiebt diesen Zeitpunkt lediglich nach hinten und müsste ehrlicherweise Downcycling heißen. Das heißt: Mülldeponien wachsen, Gewässer und Lebewesen werden vergiftet und Böden zerstört.

Diese gängige Art des Wirtschaftens schadet nicht nur der Erde und allen Lebewesen, die darauf beheimatet sind, sie macht uns Menschen auch weniger widerstandsfähig gegen Bedrohungen. Sie schafft Fluchtursachen, macht uns anfällig für Dürren und Plagen und verschärft einen unsinnigen Generationenkonflikt. Es braucht jetzt mehr denn je alle Menschen aller Generationen und keine ichbezogene Perspektive auf die eigene Zukunft oder Enkelgeneration.

Doch so wird dieses fragile System von der Coronakrise hart getroffen: Sogenannte Wertschöpfungsketten brechen zusammen und schicken die globale Gemeinschaft in eine Rezession historischen Ausmaßes. Erstmalig, so eine Prognose von Oxfam, wird Armut weltweit wieder zunehmen, und mit ihr auch Hunger, Kriege und Unterdrückung.

Dass Regierungen daraufhin versprechen, für den Erhalt des Status quo zu kämpfen, ist verständlich. Doch dieser Status quo beinhaltet einen schweren Programmierfehler: die Cradle-to-Grave-Wirtschaft – und diesen Fehler müssen wir jetzt beheben.

Unternehmen mit kurzfristigen Liquiditätssicherungen zu versorgen, damit sie eine Krise überstehen, die sie selbst nicht verursacht haben, ist nur fair. Darüber hinaus jedoch Konjunkturprogramme für Technologien aufzusetzen, die schon heute von gestern sind, ist absurd.

Die Regierungen müssen jetzt vielmehr den Innovationsmotor starten, indem sie Anreize für Verbesserungen setzen und so die Evolution der Innovation beschleunigen. Mit den jüngst vorgestellten Paketen wird diese Forderung nur in kleinen Teilen erfüllt.

Strategien des Weniger sind aussichtslos

Dabei wäre der Green Deal der EU dafür ein großartiges Tool. Die Summe von etwa einer Billion Euro darf allerdings dann wirklich nur jenen Unternehmen zum ökonomischen Vorteil werden, die ökologische Vorteile schaffen. Unternehmen, die nicht mit der Zeit gehen, müssen eben mit der Zeit gehen. Der Green Deal muss also noch radikaler werden!

Die Prinzipien des Wettbewerbs werden zwar gern ebenso verteufelt wie staatliche Vorschriften. Doch klug kombiniert sind beide ein echtes Dream-Team. Als Bevölkerung, die durch den Staat repräsentiert wird, geben wir das Ziel vor: eine Wirtschaftsweise, die uns und unserer Umwelt nicht nur nicht schadet, sondern nützt. Mit welchen Technologien wir dieses Ziel erreichen, entscheidet sich durch Wettbewerb und Innovation.

Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, ihrer schrumpfenden Armut und des dadurch steigenden Energiebedarfs muss zudem eines klar sein: Die Strategie der Askese, also weniger vom Falschen zu tun, ist langfristig so unattraktiv wie aussichtslos – das zeigt die Coronakrise, die uns Menschen in die Zwangspause geschickt hat, sehr deutlich.

Wir brauchen also nicht weniger Konsum, Wirtschaft und Technologie, sondern andere Formen davon – bessere! Diese müssen entwickelt und dann auch genutzt werden.

Wir Menschen erreichen Ziele deutlich schneller und zufriedener, wenn dort eine Belohnung winkt, als wenn wir hingeprügelt werden. Bisher winkt diese Belohnung aber leider allen, die Gewinne erzielen – auch wenn sie dabei Lebensraum zerstören.

Genau das muss sich ändern: Wir müssen den Markt endlich ernst nehmen und nicht nur die Gewinne der Wertschöpfung privatisieren, sondern auch die negativen Kosten der Schadschöpfung. Nur so können Preise wirklich abbilden, welche Auswirkungen Produkte haben – so sorgen wir für den nötigen wirtschaftlichen Kulturwandel.

C2C ist letztlich das wettbewerbsfähigere Modell.

CO2 als Rohstoff in smarter Kreislaufwirtschaft

Wir müssen CO2 als Rohstoff betrachten und ihn in einer smarten Kreislaufwirtschaft nutzen. Durch Digitalisierung können wir Stoffströme steuern und damit endlich angemessen mit Ressourcen umgehen.

Und wir müssen die einzige Ressource, die uns kostenlos frei Haus geliefert wird, noch bedeutend besser nutzen: die Energie der Sonne. Beim Design von Solar- und Windkraftanlagen sollten wir daher darauf achten, dass sie kreislauffähig gebaut werden. Nur so können wir zugleich die Klima- und die Müllkrise meistern.

Hören wir also endlich auf, darüber nachzudenken, wie wir nicht leben und was wir reduzieren wollen! Statt den Wunsch zu hegen, ökologisch neutral zu werden, sollten wir uns positive Ziele setzen. Welche Luft wollen wir im Jahr 2050 atmen? Wie können wir Lebensräume lebenswert gestalten? Welche Technologien ermöglichen uns ein positives Dasein als Nützlinge der Erde?

Oder noch kürzer gefragt: Wie wollen wir in Zukunft leben und wie können wir dies erreichen?

Irren ist menschlich, die Irrtümer unserer jetzigen Wirtschaftsweise schwimmen als Müllkontinente im Meer. Ebenso menschlich ist es aber auch, Fehler zu korrigieren. Dafür müssen wir nach dem Vorbild der Natur wirtschaften und alles in endlosen Kreisläufen zirkulieren lassen. So können wir gut leben und dabei in eine positive Zukunft schauen.

Das ökosystemrelevante C2C-Update steht zur Installation bereit.

C2C NGO | Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen sind Mitgründer und geschäfts­führende Vorstände der gemein­nützigen Nicht­regierungs­organisation Cradle to Cradle NGO mit Sitz in Berlin. Griefahn hat Umwelt­wissen­schaften und Umwelt­ingenieur­wesen studiert, Janßen ist Wirtschafts­wissen­schaftler.
Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen) 2020 verfasst – der Artikel
darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! | Dieser Text ist in leicht abgeänderter Form unter dem Titel “Wiederverwenden statt wegwerfen” als Gastkommentar in der Frankfurter Rundschau (Ausgabe 26. Mai 2020, Seite 10, sowie online) erschienen. | Nicht­regierungs­organisation Cradle to Cradle NGO 2020

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