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Der Begriff der „Heißzeit“ schlägt ein wie eine Bombe

Selbst wenn das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden würde, könne dem Planeten eine Heißzeit drohen.

Das Sommerloch, das bisher auch von der Dürre-Hitze nicht wirklich aufgefüllt wurde oder aufgefüllt werden sollte, erlebt nun doch noch Aufregung und ein Thema, welches das mediale Sommer-Gedöns beiseite wischte. Alleine der Begriff der „Heißzeit“, englisch „Hothouse Earth“, den das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PiK) in einer Pressemitteilung erstmals im deutschen Sprachraum einsetzte und damit vor den Folgen des Klimawandels warnte, wurde innerhalb von Stunden zum medialen Knaller. Hatte das ZDF noch Montag in einem ZDF-Special massiv die Anpassungs-Karte gespielt – Deutschland und seine Bürger müssten sich jetzt schleunigst an veränderte Wetterbedingungen anpassen, von der Landwirtschaft und ihren Pflanzen bis hin zur kommunalen Wasserversorgung, die klimafest gemacht werden müssten – so ließ die neue Begrifflichkeit aus Potsdam das alles in Sekundenschnelle Makulatur werden.

Brachte Volker Agres, seines Zeichens Umweltexperte des Mainzer Senders noch Tags zuvor das Kunststück fertig, den Klimawandel als Problem der richtigen Anpassung abzuhandeln, das mit der richtigen Technik kein Problem sei, so änderten sich die Statements nach Bekanntwerden einer neuen internationalen Studie, an der Pik Potsdam beteiligt war, schlagartig. Plötzlich war wieder die Rede davon, dass vor allem dringende Maßnahmen gegen den Klimawandel erforderlich seien. Umweltverbände und die Grünen forderten einen zügigen Kohle-Ausstieg, außerdem wirksame CO2-Grenzwerte im Verkehr und in der Landwirtschaft. Und plötzlich war auch wieder vom Pariser Klimaschutzabkommen die Rede. Der 2015 in der französischen Hauptstadt von 196 Staaten unterzeichnete Vertrag sieht eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad vor.

Und genau hier setzte die neue Botschaft von der drohenden Heißzeit an. Selbst wenn das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden würde, könne dem Planeten eine Heißzeit drohen, so Professor Hans Joachim Schellnhuber, Chef von PiK-Potsdam. Industrielle Treibhausgasemissionen, so das Statement, seien nicht der einzige Faktor, der die Temperatur auf der Erde beeinflusse. „Unsere Arbeit weist darauf hin, dass eine vom Menschen verursachte globale Erwärmung von 2°C andere Prozesse des Erdsystems anstoßen könnte. Diese sogenannten Rückkoppelungen wiederum könnten die Erwärmung weiter vorantreiben – selbst wenn wir aufhörten, Treibhausgase auszustoßen“, sagt dazu Leitautor Will Steffen von der Australian National University (ANU) und dem Stockholm Resilience Centre (SRC). „Um dieses Szenario zu vermeiden, ist es notwendig, das menschliche Handeln in eine neue Richtung zu lenken, von der Ausbeutung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Erdsystem.“ Derzeit liegt die globale Durchschnittstemperatur bereits um gut 1°C über dem vorindustriellen Niveau und steigt etwa 0,17°C pro Jahrzehnt an. Aber Kippelemente im planetarischen Getriebe könnten das Erdsystem darüber hinaus dem Gleichgewicht bringen.

Die Studie untersuchte deshalb zehn natürliche Rückkopplungsprozesse, von denen einige mit den sogenannten Kippelementen im Erdsystem verknüpft sind. Durch das Überschreiten kritischer Schwellen könnten diese in fundamental andersartige Zustände versetzt werden. Die Rückkopplungen könnten z.B. Kohlenstoffspeicher in Kohlenstoffquellen verwandeln, die in einer entsprechend wärmeren Welt unkontrolliert Emissionen freisetzen würden. Zu den kritischen Prozessen gehören insbesondere tauender Permafrost, der Verlust von Methanhydraten vom Meeresboden, eine Schwächung von Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen, eine zunehmende bakterielle Atmung in den Ozeanen, das teilweise Absterben des Amazonas-Regenwaldes sowie der borealen Wälder, eine Verringerung der Schneedecke auf der Nordhalbkugel, der Verlust von arktischem und antarktischem Meereis sowie das Schrumpfen der großen Eisschilde. Dabei hat die Studie noch nicht mögliche Rückkopplungen zwischen Emissionen und der planetaren Wolkenbedeckung berücksichtigt.

„Die Kippelemente, so die Forscher, „könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten. Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu.“ Als Konsequenz könnte die Erde zum Treibhaus und große Landstriche und Städte unbewohnbar werden. Der Meeresspiegel werde um 10 bis 60 Meter ansteigen, wenn die „Heißzeit“ Realität würde, ergänzt Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre und designierter Ko-Direktor beim Potsdamer Pik. „Was wir derzeit noch nicht wissen, ist, ob das Klimasystem sicher bei etwa 2°C über dem vorindustriellen Niveau ‚geparkt‘ werden kann, wie es das Pariser Abkommen vorsieht. Oder ob es, einmal so weit angestoßen, weiter abrutschen würde in ein dauerhaftes Supertreibhaus-Klima.“

Die Forschung müsse sich daran machen, dieses Risiko schnellstmöglich besser abzuschätzen, ergänzt Schellnhuber. Denn die Reduktion von Treibhausgasen allein reiche nicht aus. Um die Chancen zur Vermeidung einer „Heißzeit“ zu verbessern, brauche es nicht nur eine entschlossene Minderung von Kohlendioxid- und anderen Treibhausgasemissionen. Es brauche vor allem einen schnellen Umstieg auf Erneuerbare Energien. Auch erweiterte biologische Kohlenstoffspeicher, etwa durch ein verbessertes Wald-, Landwirtschafts- und Bodenmanagement, oder die Erhaltung der biologischen Vielfalt sowie Technologien, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, können eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend sei jedoch, dass diese Maßnahmen durch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gestützt werden.

Während die Wissenschaftler ihre Ergebnisse vorlegen und argumentieren, ist von der Bundesregierung vorerst nichts zu hören. Zum Glück ist ja Urlaubszeit, das erspart unangenehme Fragen. Vorerst. Dafür twittert einer der Daheimgebliebenen (oder sagt man Zurückgebliebenen), der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner merkwürdige Gedankengänge über die „beklemmende Studie“: „Wie viele Aufforderungen brauchen wir noch, um endlich so nachhaltig umzusteuern, dass auch unsere Kinder und Enkel noch in Frieden und Wohlstand diesen Planeten bewohnen können.“

Wen er wohl mit „wir“ meint? Zumindest als Stichwortgeber könnte man den Vertreter der schwarz-roten Koalition nehmen. Denn es ist die Bundesregierung, die jetzt an der Reihe ist, umzusteuern. Wird sie ihre Blockadepolitik gegen die Erneuerbaren Energien und die Bürgerenergie aufgeben? Und woran ließe sich überprüfen, dass eine solche Wende eingeleitet wird? Erste Eckpunkte einer anderen Politik könnte die Aufhebung des Deckels für Erneuerbare von 52 GW sein, eine Umsetzung der Erneuerbaren Richtlinie der EU, die im Herbst in Brüssel verabschiedet werden soll und die das Dickicht der Abgaben rund um den Ökostrom zerschlagen will. Aber auch die Frage, wie sich die Zukunft der Anlagen darstellt, die ab 2020 aus  dem EEG herausfallen. An diesen Punkten und vielen mehr könnte die Bundesregierung zeigen, dass sie endlich die Verantwortung für diesen Planeten mit tragen will. 

Auf dem Weg in die „Heißzeit“? Planet könnte kritische Schwelle überschreiten

Quelle

DGS | Klaus Oberzig | 2018

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