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SocialBloger.de | Screenshot.youtube.de | Jan Kowalzig von Oxfam

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„Völkerrechtstatus für Klimaexilanten“

Immer mehr Menschen verlieren infolge des Klimawandels ihre Lebensgrundlage und müssen ihre Heimat verlassen. Interview: Jan Kowalzig über Klimamigranten

Millionen von Menschen sind aufgrund von kriegen weltweit auf der Flucht. Aber auch der klimawandel und andere umwelt-veränderungen tragen zur Vertreibung bei. immer mehr Menschen verlieren infolge des klimawandels ihre Lebensgrundlage und sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie brauchen unsere unterstützung, sagt Jan kowalzig.

Bitte definieren Sie den Begriff klimaflüchtling
Das kann man nicht definieren. Wir sprechen ja nicht nur von Fluchtbewegung, sondern von Migration infolge des Klimawandels. Der Begriff Flüchtling ist international völkerrechtlich definiert durch die Genfer Flüchtlingskonvention. Dass jemand flieht vor dem Klima, das kommt halt vor, aber das ist inter­national kein fester Begriff. Klimaflüchtling erweckt den Eindruck, dass es sich um eine Fluchtbewegung, also plötzliches, überstürztes Abwandern oder Flie­hen handelt. Das ist nicht der Fall. Die viel größeren Bewegungen sind Migrationsbewegungen, weil der Klimawandel die Menschen zur Aufgabe ihrer Heimat zwingen kann. Eine überstürzte Flucht hat man etwa bei einer Unwetterkatastrophe. Dann fliehen die Men­schen, um Leib und Leben zu retten. Meistens kehren sie wieder zurück, wenn die Katastrophe vorbei ist und der Wiederaufbau beginnt. Ich würde also eher von durch Klimawandel erzwungene Migration sprechen.

Woher kommen die meisten?
Das kann man auch nicht so genau sagen, weil der Kli­mawandel selber nicht die Ursache für die Migration ist, sondern andere Treiber verstärkt. Wer seine Hei­mat aufgibt, tut das aus ganz unterschiedlichen Grün­den: weil er sozial marginalisiert ist, weil er politisch diskriminiert ist, weil er wirtschaftlich keine Chancen hat. Die meisten ziehen vom Land in die Stadt im selben Land, selten geht es über die Landesgrenze, und noch viel weniger über Kontinente hinweg. Ein Grund für die Migration ist etwa die europäische Ag­rarpolitik, die den Leuten in Afrika die Landwirtschaft kaputt macht, oder es sind die Fischereiflotten aus Europa, die in Westafrika die Meere leer fischen und den Menschen dort die Lebensgrundlagen zerstören. Es gibt Gegenden, da ist das Problem massiver. Zum Beispiel im südlichen Afrika, wo die Niederschlags­muster sich verändern und die Leute zur Aufgabe ihrer kleinbäuerlichen Landwirtschaft gezwungen werden. Es ist ein Sammelsurium von Faktoren, die dazu führen, dass ein Mensch sagt, ich kann hier kein Leben in Würde mehr führen, ich komme hier nicht aus der Armut raus, und deswegen gehe ich dahin, wo ich glaube, dass ich das bekommen kann. Dieses Recht kann ihnen keiner verwehren.

Wie viele klimamigranten gibt es ihrer Schät­zung nach?
Die Zahlen gehen sehr weit auseinander. Sie fan­gen an bei 50 Millionen Menschen, die pro Jahr von diesem Phänomen betroffen sein werden, bis hin zu einer Milliarde. Wir reden nicht von heute oder morgen, wir reden von in einigen Jahrzehnten. Das kommt sehr darauf an, wie stark sich der Klimawan­del entwickeln wird, was direkt davon abhängt, wie viel Klimaschutz wir betreiben. Es kommt auch darauf an, wie viel Unterstützung die armen Länder bekom­men, um sich an den Klimawandel anzupassen.

Welches sind die Hauptgründe für klimabedingte Flucht?
Bei Migration ist es grundsätzlich die Erosion der Lebensgrundlagen. Da kann man dann überlegen, was trägt der Klimawandel dazu bei. Bei Fluchtbe­wegungen sind es die Katastrophen, die das konkret auslösen. Migration hat an jedem Ort andere Ursachen. Zum Beispiel zunehmende Dürren, die die Landwirt­schaft unmöglich machen, sodass die Menschen kein Auskommen mehr haben. Oder woanders die Wasser­knappheit, dass es einfach nicht mehr genug zu trinken gibt, oder das Vieh nicht mehr getränkt werden kann. In Küstengebieten kann Meerwasser ins Grundwasser eindringen, und das Trinkwasser versalzt. Es kann sein, dass knapper werdende Ressourcen zu Konflikten füh­ren, die die Menschen in die Flucht treiben.

Was ist zu tun, damit nicht noch mehr Menschen aufgrund des klimawandels oder anderer Na­turzerstörungen entwurzelt werden?
Die Maxime ist: Jeder Mensch hat das Recht, abzu­wandern, wenn er das gern tun möchte, wenn er glaubt, er habe woanders bessere Chancen. Zu über­legen, was können wir tun, dass möglichst wenige nach Europa kommen, halte ich für unangemessen. Das Problem Klimamigration muss man ganzheitlich angehen. Also erstens möglichst viel Klimaschutz, damit wir möglichst wenig Klimawandel haben – da ist die Zwei-Grad-Schwelle ganz wichtig. Das bedeutet Klimaschutz weltweit, gerade in Europa und Deutschland müssen wir wesentlich mehr dafür machen, damit das Szenario eines unbeherrschbaren Klimawandels nicht eintritt. Zweitens, da wir den Kli­mawandel nicht mehr ganz aufhalten können, son­dern nur noch begrenzen, müssen wir den Ländern vor Ort ausreichend Unterstützung anbieten, sich an den Klimawandel anzupassen. Das heißt, dass sie mit veränderten Niederschlagsmustern umgehen können, mit zunehmenden Unwetterkatastrophen, dass sie da Risikovorsorge betreiben. Wenn das bei­des nicht mehr funktioniert, und sich die Menschen auf Wanderschaft begeben, müssen sie darin unter­stützt werden, damit die Migration sie nicht in eine Abwärtsspirale treibt. Die klimabedingte Migration muss auch völkerrechtlich besser geschützt werden. Die Menschen müssen einen Status bekommen, aus dem sich Rechte ableiten. Dieser letzte Aspekt be­trifft vor allem diejenigen, man könnte sie vielleicht Klimaexilanten nennen, die dauerhaft nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können, weil diese nicht mehr existiert, etwa kleine Inselstaaten. Für diese Menschen müssen Mechanismen geschaffen werden, mit denen ihr Status geregelt wird.

Welche Erwartungen haben Sie an den uN-kli­magipfel in Paris?
Die kleinen Inselstaaten fordern ganz konkret einen Mechanismus, der sich mit der Migration infolge des Klimawandels auseinandersetzt. Insgesamt ist die Migration als eine legitime Anpassungsstrategie an­erkannt, das heißt, eine organisierte Migration kann eben auch gut sein, um zu gehen. Unterstützung im neuen Klimaregime ist auch ein Thema in Paris.

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Quelle

umwelt aktuell 11/2015 | Interview: Marion Busch | Jan Kowalzig ist Referent für klimawandel und klimapolitik bei oxfam Deutschland.

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