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Welt-Atommüll-Report: Keiner weiss genau, wohin damit

Das kurze Zeitalter der Nukleartechnik hinterlässt ein strahlendes Erbe. Die Bürde dieser Erbschaft wird unterschätzt.

In Atomkraftwerken, medizinischen Einrichtungen und im Militär entsteht täglich hochgiftiger radioaktiver Abfall. Auf die Frage «Wohin mit den strahlenden Abfällen?» haben die Länder, die zivil oder militärisch Kerntechnik nutzen, bisher aber nur dünne Antworten. «70 Jahre nach dem Einstieg in die Nukleartechnik hat kein einziges Land der Welt ein tiefes geologisches Endlager für Atommüll», stellt der erste «Welt-Atommüll-Report» fest. Keiner will fremden Müll, viele haben Pläne, fertig ist nichts und teuer wird es auf alle Fälle, so sein Fazit.

Einzig Finnland baut an einem Endlager. Schweden und Frankreich haben sich auf Standorte festgelegt. Deutschland sucht noch danach, die Suche soll 2031 beendet sein. Die Schweiz hat sich bisher auf drei potenzielle Standorte geeinigt. Bis ein Endlager zur Verfügung steht, so schätzen die Autoren des Reports, wird es mindestens bis Mitte des Jahrhunderts dauern. Eine zufriedenstellende Strategie zum Umgang mit radioaktivem Müll erwarten sie in zwei bis drei Generationen. Hunderte weitere Generationen werden die Verwaltung des strahlenden Müllhaufens bewältigen müssen.

Atommüll ist in der öffentlichen Diskussion unterrepräsentiert

Die Arbeit konzentriert sich auf die USA sowie die europäischen Länder ohne Slowakei und Russland, da bei letzteren die Datenbasis nicht ausreicht. Zukünftig soll der Atommüll-Report, der auf Bestellung der deutschen Grünen und mehrerer NGOs von mehreren Atommüll-Experten angefertigt wurde, regelmässig erstellt bzw. aktualisiert werden, um Fortschritte zu messen und Schwerpunkte zu untersuchen. Finanziert wurde der Report unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung und den EU-Grünen.

Der 148 Seiten mächtige Bericht sei doch länger geworden als geplant, geben die Autoren gleich zu Anfang zu. Die Gefährlichkeit von Atommüll werde unterschätzt, bemängeln sie. Gemessen an der Grösse der Aufgabe sei das Thema in der öffentlichen Diskussion unterrepräsentiert. Möglicherweise deshalb, weil es so technisch klinge. Allein auf technischer Ebene liessen sich die damit verbundenen Fragen jedoch nicht beantworten. Die Lagerung radioaktiver Abfälle sei eine Aufgabe, deren Komplexität «massiv unterschätzt» werde, betonen die Autoren.

Der strahlende Müllberg wächst

Derzeit sammeln sich 60‘000 Tonnen hochradioaktive Abfälle in europäischen Zwischenlagern (ohne Russland und Slowakei), die entweder nicht sicher sind und deren Kapazitäten teilweise in absehbarer Zeit erschöpft sein werden. Der grösste Teil dieses Abfalls befindet sich in Frankreich. Durch die Stilllegung von Kraftwerken werden noch viele Tonnen dazukommen. In der Schweiz reichen die derzeitigen Zwischenlager-Kapazitäten noch aus. Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle steht nach Angabe der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) aber frühestens 2060 zu Verfügung.

Orte zu finden, an denen Atommüll sicher gelagert, nicht gestohlen und von Terroranschlägen nicht erreicht werden kann, ist eine Herausforderung für alle beteiligten Regierungen. Verbrauchte Brennelemente vor Ort in Abklingbecken zu lagern, wie es beispielsweise in Gösgen der Fall ist, sei die gefährlichste aller Möglichkeiten, warnen die Experten. Fällt die Kühlung aus oder entweicht das Kühlwasser, beispielsweise durch einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag, kann es zur Katastrophe kommen. Den Export radioaktiver Abfälle in andere, möglicherweise weit weniger sichere Länder, haben viele Staaten gesetzlich ausgeschlossen.

Dazu, was mit dem leidigen Atommüll geschehen soll, gab es in den vergangenen Jahrzehnten viele Ideen. Beispielsweise den strahlenden Müll ins All zu schiessen, ihn unter dem Meeresboden zu vergraben, ja sogar den Vorschlag, ihn «kontrolliert abzubrennen». Die meisten Experten sind sich inzwischen einig, dass ein tiefes geologisches Endlager die beste Möglichkeit ist. Bestehen müsste es bis zu einer Million Jahre – ein kaum vorstellbarer Zeitraum. Zum Vergleich: Der Zweite Weltkrieg ist gerade erst 70 Jahre her.

Ein politisches und gesellschaftliches Minenfeld

Die Endlagersuche hat bisher eine ansehnliche Liste an Fehlschlägen produziert, beispielsweise im deutschen Asse, in das doch Grundwasser eindrang, in Gorleben, das politisch umstritten ist, oder in «Yucca Mountain» in den USA, wo sich das Gestein als zu porös herausstellte. Geschlossen wurde das Lager nach Angaben der USA aber aus politischen Gründen. 

Der Schweizer Wissenschaftler Marcos Buser, der an dem Report mitgewirkt hat, plädiert sogar dafür, von der Vorstellung eines Endlagers Abstand zu nehmen und sich auf ein kurzfristig sicheres Zwischenlager zu fokussieren. «Kurzfristig» heisst in diesem Zusammenhang: über mehrere hundert Jahre. Alles, da ist er sich mit den Kollegen einig, ist besser, als radioaktive Abfälle an der Oberfläche aufzubewahren.

Unter den strahlenden Stoffen, um die es geht, befinden sich entzündliche Komponenten, Stäube und Flüssigkeiten, die wenigstens hunderttausende Jahre sicher gelagert werden müssen, bis die Strahlung abgeklungen ist. Ihre Verwaltung und Kontrolle muss für einen sehr langen Zeitraum geplant werden. Nicht zuletzt muss es eine Möglichkeit geben, ein «Endlager» bei auftauchenden Problemen wieder zu räumen. Politisch und gesellschaftlich ist das ein sehr anspruchsvoller Prozess.

Ein Plan für hunderttausende Jahre – und es gibt noch nicht einmal einheitliche Standards

Faktisch weichen derzeit schon Messung und Klassifizierung von Atommüll sowie die Einschätzung seiner Gefährlichkeit in einzelnen Ländern voneinander ab. Mit wenigen Ausnahmen wehrt sich jeder potenzielle Standort gegen die strahlenden Altlasten. Zu den Fehleinschätzungen an bisherigen Standorten kommen neu die Ansprüche von Ländern, die Atomkraft bisher noch gar nicht zur Stromerzeugung nutzen. Mehrere afrikanische Länder haben beispielsweise angekündigt, Atomkraft nutzen zu wollen, bis eine belastbare Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen aufgebaut sei, berichtet die «Deutsche Welle». Die Endlagerfrage würde sich damit noch multiplizieren.

Fest steht: es wird teuer

Darüber, was der Umgang mit Atommüll schliesslich kosten soll, herrsche weithin Unklarheit, stellt der Report fest. Fest steht lediglich: Es wird teuer, wahrscheinlich teurer als gedacht. Viele Regierungen seien in Bezug auf die zu erwartenden Kosten «überoptimistisch», sagen die Autoren. Bisher gebe es kein Land, das die Kosten von Entsorgung und Lagerung präzise geschätzt und die Lücke zwischen zu Verfügung stehenden Mitteln und Kosten geschlossen habe.

Schweden hat etwa zwei Drittel der nötigen Mittel zurückgelegt, Grossbritannien weniger als die Hälfte, die Schweiz weniger als ein Drittel. Was passiert, sollte beispielsweise die Axpo Konkurs anmelden müssen, ist einigermassen vorhersehbar: Obwohl in fast allen Ländern das Verursacherprinzip gilt, werden am Ende die Steuerzahler für die Kosten der Lagerung aufkommen müssen.

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Quelle

Der Bericht wurde von
der Redaktion „INFOsperber.ch“ (Daniela
Gschweng) 2019 verfasst
 –
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