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Österreich wird frei

100 % sauberer Strom bis 2030 – Die neue Regierung verspricht die Befreiung von fossilen Energieträgern zur Stromversorgung. Von Hans Kronberger

Wird Österreich frei?
Ist die Regierung in der Lage, ihr großes Versprechen zu erfüllen?

Starker Tobak: In der Erklärung der türkis-blauen Bundesregierung, vorgestellt am 16. Dezember, genau 61_Tage nach der am 15. Oktober 2017 erfolgreich geschlagenen Wahl, steht in Bezug auf die Energiepolitik für die Zeit von 2017 bis 2022 wörtlich: „Die Weiterentwicklung des Energiesystems zu einer modernen, ressourcenschonenden und klimaverträglichen Energieversorgung nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Unser Ziel ist es, die Energieversorgung unseres Landes kontinuierlich durch erneuerbare Energieträger aus eigener Produktion zu decken“.

Zugegeben, das sind große Worte, gelassen ausgesprochen. Weder ein „Wenn“ noch ein Aber“ sind im Text zu finden, daher muss man davon ausgehen, dass die Autoren ihn ernst gemeint haben und die Politiker, die ihn beschlossen und präsentiert haben, ebenso. In der Folge wird ein „grundsätzliches Bekenntnis zu den internationalen und europäischen Klimazielen und der Steigerung der erneuerbaren Energieproduktion in Österreich“ abgelegt. Sehr präzise wird der Stromsektor dargelegt. Dort heißt es: „Klare Zieldefinition ist die Steigerung des Anteils von erneuerbaren Energien am nationalen Gesamtverbrauch: 100 % (national bilanziell) Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030“. Viel klarer geht es wohl nicht mehr. Auch an die Demokratie ist gedacht, der Bürger soll einbezogen werden: „Dazu wird es einen Ausbau aller erneuerbaren Energieträger brauchen. Investitionen in heimische Energieträger, auch vermehrt von Unternehmen und über Bürgerbeteiligungen, sowie in Energieeffizienz schaffen Wertschöpfung und Arbeitsplätze im urbanen wie im ländlichen Raum“. Hier kann wohl niemand behaupten, dass die Situation nicht richtig erkannt wird. Ein interessanter Punkt in der Regierungserklärung erinnert zwar an die Experimentierzeit der Photovoltaik-Förderungen, kann aber als Auftakt durchaus als prickelnd angesehen werden, nämlich ein „100.000-Dächer-Programm“ auf Basis einer Investitionsförderung für private Photovoltaikanlagen und Kleinspeicher. Nicht festgeschrieben steht die geplante Größe der Dachanlagen. Auch das Finanzministerium ist gefordert: Alternative Finanzierungsinstrumente und Bürgerbeteiligungen sollen ausgebaut werden, beispielsweise durch eine „Energiewende- Anleihe“ für Erneuerbare- und Effizienz-Projekte. Um ein weiteres Vorhaben werden die Österreicher wohl von den deutschen Nachbarn mehr als beneidet werden. Die Eigenverbrauchssteuer von 1,5 Cent pro kWh, bisher auf 25.000 Kilowattstunden limitiert, soll vollkommen fallen.

Echt zukunftsträchtig und ein deutliches Zeichen dafür, dass traditionelle, nicht mehr zeitgemäße Strukturen aufgebrochen werden sollen, ist die Absicht, „lokale Netze und Speicherbetreiber zu ermöglichen sowie Energiespeicherung zu fördern, forcieren und zu begünstigen“, vgl. dazu Seite 177. Es empfiehlt sich, die sechs Seiten lange Energiepassage (Seite 174 – 179) im Regierungsprogramm vollständig zu lesen: www. bundeskanzleramt.at/Regierungsdokumente Das Energiekapitel ist zweifelsfrei das plakativste und international gesehen das revolutionärste Vorhaben der türkis-blauen Regierung. Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die EU-Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren beim Ausbau von erneuerbarem Strom deutlich zugelegt haben. Österreich liegt dank der enormen Nachkriegsleistung beim Ausbau der Wasserkraft auf Platz eins (siehe Tabelle Seite 7) und wäre prädestiniert, im Jahr 2030 als erstes EU Mitglied die 100-Prozent-erneuerbarer-Strom-Ziellinie zu überschreiten und damit ein Signal zu setzen, das weit über die Grenzen Europas hinausgehen würde. Aber davor liegen noch, frei nach Bert Brecht, die Mühen der Ebenen.

Hält die Regierung ihr Versprechen?

Bekräftigt werden sollte das Vorhaben der Energiewende am Stromsektor in Form einer „Integrierten Klima- und Energiestrategie“ (IKES), die später in „Mission 2030“ umgetauft wurde. Da passierte schon die erste Panne. Knapp eine Woche vor der geplanten offiziellen Präsentation am 3. April, durch die zwei Fachminister Elisabeth

Köstinger (Nachhaltigkeit und Tourismus) und Nobert Hofer (Verkehr, Innovation und Technologie), sickerte das 64-seitige Werk an die Presse durch und wurde zuerst vom „Standard“ und anschließend auch von anderen Medien kräftig zerpflückt. Zu

wenig Konkretes, keine Zeitpläne und keine Angaben über die Finanzierung, wurde bemängelt. Die Umweltorganisationen folgten mit Spott und Hohn. Die Verbände der Erneuerbaren konnten durch die mehrmalige Bekräftigung der Ziele der Strategie Positives abgewinnen. Nicht in Zweifel gezogen wurde die redliche Absicht der zuständigen Ministerin und des Infrastrukturministers. Man versprach, in der Begutachtungsfrist nachzubessern. Die Verbände der Erneuerbaren aktualisierten ihre individuellen Ausbauziele (siehe Grafik rechts) und kamen bei ihren Überlegungen denen der traditionellen E-Wirtschaft ziemlich nahe. Einig ist man sich darin, dass der Anteil von Strom am Gesamtenergieverbrauch von derzeit 20 Prozent auf deutlich über 30 Prozent steigen soll. Durch die Kompensation des bisherigen Zukaufs (7 TWh), den Ersatz der fossilen Produktion (9 TWh) und den Mehrbedarf von ca. 20 TWh ergeben sich 35 bis 40 TWh zusätzliche Erneuerbare. Die Windkraft will 22,5 TWh beisteuern, die Photovoltaik 15 TWh, die Biomasse 4,6 TWh, Biogas 1,7 TWh, die Geothermie 1 TWh und die Wasserkraft 50,4 TWh. Mit Spannung wurde die Reaktion der traditionellen EWirtschaft, verbunden in „Oesterreichs Energie“ (OeE), erwartet. Dort hat man für das Jahr 2030 85 Prozent erneuerbaren

Stromanteil errechnet. In einer ersten Reaktion bestätigte OeE-Präsident Leonhard Schitter die Machbarkeit, um sich dann langsam auf die Formel einzuschwenken, dass die „Ziele sehr ambitioniert seien“. Da stellt sich die Frage, welche Firma oder Branche kann es sich heute leisten, keine „ambitionierten Ziele“ zu haben? Ohne diese ist man wohl dem Ausscheiden aus dem System, sprich Untergang geweiht. Jedenfalls dürften die Ziele ohne Absprache mit der E-Wirtschaft formuliert worden sein. Wohl auch ein Novum in Österreich. Wie sieht es nun mit der Umsetzungskraft der Regierung aus? An der kommen erste Zweifel auf. Gut, Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden, aber das Volk will Taten sehen. Und zwölf Jahre sind für eine große Aufgabe dieser Art eher eine kurze Zeit. Daher ist es wohl nicht gerade angebracht, die Reise mit einer ausführlichen Rast zu beginnen. So könnte die angekündigte Streichung der Eigenverbrauchsabgabe sofort durchgeführt werden. Als von Seiten des Bundesverbandes Photovoltaic Austria (PVA) im Frühjahr 2014 die damals neu eingeforderte Eigenverbrauchssteuer per Petition bekämpft wurde

(30.000 Unterzeichner innerhalb von drei Wochen), dauerte es gerade drei Monate, bis die Regierung Faymann-Spindelegger die Freigrenze auf ein für damals brauchbares Maß von 5.000 kWh auf 25.000 kWh hinaufsetzte (siehe auch S. 20 Kommentar). Ministerin Köstinger bezeichnete die Eigenverbrauchssteuer als absurd und forderte ihre alsbaldige Abschaffung. Aus dem Finanzministerium kommt die versteckte Nachricht, man wolle sich bis 2020 mit der Regelung Zeit lassen. Das wäre erst nach Überschreiten der ersten Hälfte der Legislaturperiode und bedeutet für die Zielsetzung einen echten Fehlstart. Unabhängig davon behaupten Experten, dass aus dem zu erwartenden Zubau von größeren Eigenverbrauchsanlagen für den Finanzminister mehr abfällt als aus den potenziellen Einnahmen aus der Steuer. Aber das ist nur Theorie. Die Förderung eines 100.000-Dächer-Programms für private Photovoltaik und Kleinspeicher ist natürlich relativ. Nimmt man relativ kleine Dächer-Anlagen an, so kommt zwar eine hohe Stückzahl zusammen, aber keine besonders große Leistung. Österreichs Energie versucht mit der Behauptung zu schocken, dass ein 100.000-Dächer- Programm die Errichtung von 2,4 Millionen Anlagen voraussetzen würde. Als Ansatz wurde die durchschnittliche Größe von 5 kWp pro Anlage berechnet. Eine Leistungsgröße, die bei zukünftiger Bereitstellung von Strom für intelligente Raumwärme und für Elektromobilität wohl zu niedrig angenommen ist. Um ein durchgängiges Konzept mit klaren Umsetzungsplänen und natürlich auch einer entsprechenden Finanzierung wird die Bundesregierung nicht herumkommen, will sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Eher Verwirrung als Klärung brachte eine Regierungsklausur am 28. Mai 2018 in Mauerbach vor den Toren Wiens. Hier wurde zwar das große Ziel neuerlich zementiert. Besonders bei den Umweltorganisationen tauchte der Verdacht auf, dass nach dem alten Prinzip professioneller „Greenwasher“ vorgegangen wird. Zuerst eine große Ankündigung mit viel Eigenlob, danach auf die Vergesslichkeit der Bevölkerung setzend, dabei die Lösung des Problems auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu schieben. Demnach soll auf Freiwilligkeit gesetzt und die Klimastrategie in die Lehrpläne der Volkschulen aufgenommen werden.

System Change, not Climate Change

Bereits zwei Wochen vorher musste Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der Eröffnung der R20-Konferenz mit Arnold Schwarzenegger am 15. Mai 2018 in der Wiener Hofburg erleben, wie schnell man politische Glaubwürdigkeit verlieren kann. Gerade als er den Bundespräsidenten begrüßte, erschien wie aus dem Nichts eine junge Dame neben ihm. Wie seinerzeit bei Sigmar Gabriel gelernt, der ungeladene Protestredner ungehindert zu Wort kommen ließ und dafür viel Zuspruch erhielt, reagierte Bundeskanzler Kurz recht cool und fragte die junge Dame nur, ob man sich das Mikrofon teilen solle. Die 19-jährige Lucia Steinwender, Mitglied der Gruppe „System Change, not Climate Change“, brachte in einem kurzen Text den Standpunkt der Jugend auf den Punkt. Arnold Schwarzenegger traute offensichtlich seinen Augen nicht und beobachtete stumm das Spektakel. Bundespräsident Alexander van der Bellen flüchtete sich in sein Notizbuch, was er hineinschrieb, ist nicht überliefert. Der junge Bundeskanzler Sebastian Kurz sah neben der noch deutlich jüngeren Protestrednerin trotz aller Contenance dann doch etwas alt aus. Lucia Steinwender verließ erhobenen Hauptes unter großem Publikumsapplaus die Rednertribüne. Es ist nicht auszuschließen, dass die junge Dame beim Kanzler einen

Denkprozess ausgelöst hat. Die Zeit wird es zeigen. (Siehe vollständige Rede auf Seite 18.) Tatsache ist, die Regierung gerät in Zugzwang, das Thema Energiewende lässt sich nicht so einfach vom Tisch wischen. Dafür sorgen auch die Vertreter der einzelnen Erneuerbaren-Verbände, die bereits in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie über ausreichend kreative Kapazität verfügen, um sich medienwirksam in Szene zu setzen. Gewerbe und Industrie der Erneuerbaren brauchen Planungssicherheit und Langzeitstrategie. Druck auf die Regierung ist ab Frühjahr 2019 auch von der EU-Kommission zu erwarten, von dort fordert man präzise Zahlen und Fakten zur Klima- und Energiestrategie ein. In Österreich

beklagt zurzeit die IG Windkraft, dass 200 bewilligte Windkraftanlagen, auf Grund der mangelnden Fördersituation, in einer Warteschlange bis zum Jahr 2023 nicht realisiert werden können. Die Photovoltaiker sind enttäuscht über die Kürzung der Investförderung für Kleinanlagen bis 5 kWp, die bereits Kultstatus hat. Zwar wird sich das PV-Ausbauvolumen im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr annähernd verdoppeln, dies ist aber ein Resultat der Vorgängerregierung, die dies durch die „kleine Ökostromnovelle“ ermöglicht hat. Auf der Saldoliste der aktuellen Regierung steht derzeit nur die Kürzung der Kleinanlagenförderung um fast 50 Prozent. Für das Jahr 2020 ist eine große Reform angekündigt, indem das Ökostromgesetz abgelöst und durch ein umfassendes Energiegesetz ersetzt werden soll. Noch sind elfeinhalb Jahre Zeit, das Schiff in die richtige Richtung zu steuern. Und wie immer, die Hoffnung stirbt zuletzt!

„System Change, not Climate Change!“

Die Rede von Lucia Steinwender am 15. Mai 2018 am Klimagipfel „R20 Austrian World Summit“

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte im Namen der Bewegung, System Change, not Climate Change!‘ ein paar Worte an Sie richten.

Wir setzen uns für Klimagerechtigkeit ein. Wir kämpfen um unsere Zukunft und für ein gutes Leben für alle. Aus tiefstem Herzen und mit voller Überzeugung. Und Tag für Tag müssen wir dabei gegen eine Politik ankämpfen, wie sie von der österreichischen Bundesregierung gemacht wird. Unser Protest richtet sich nicht gegen die vielen hier im Saal, die ernsthaft etwas gegen die drohende Klimakatastrophe tun. Unser Protest richtet sich gegen jene, die von Klimaschutz reden, aber das Gegenteil machen.

  • Wir messen Sie an Ihrer Unterstützung für die dritte Piste am Flughafen Wien – das klimaschädlichste Infrastrukturprojekt Österreichs.
  • Wir messen Sie daran, dass fossile Energien in Österreich noch immer mit Milliarden gefördert werden – und Sie nichts daran ändern wollen.
  • Wir messen Sie am Entwurf Ihrer desaströsen Klimastrategie – ohne ausreichende Ziele, ohne Plan, ohne Finanzierung.
  • Wir messen Sie am Umweltbudget Ihrer Regierung – das nach Ihren Plänen in den nächsten Jahren dramatisch sinken soll.
  • Wir messen Sie daran, dass Sie Wirtschaftswachstum als Staatsziel in die Verfassung schreiben wollen – doch auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben!

Herr Bundeskanzler, wenn Sie diese Politik weiterverfolgen, bleiben auch die schönsten Worte nicht mehr als grüne Lügen. Und wir haben keine Zeit mehr für leere Worte. Was wir brauchen, ist ein echter Systemwandel. Eine andere Wirtschaft, die den Menschen dient und unseren Planeten schont.“

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Quelle

Coverstory | Sonnenzeitung 2/18 | Hans Kronberger 2018 | Fordern Sie jetzt ein kostenfreies Leseexemplar der Sonnenzeitung an! Hier geht’s zur Bestellung.

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