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Gütersloher Verlagshaus | Margot Käßmann und Konstantin Wecker

© Gütersloher Verlagshaus | Margot Käßmann und Konstantin Wecker

Entrüstet Euch!

Ein REAL-TRAUM: Wie wir uns ent-RÜSTEN können. Käßmann und Wecker nicht in einer Kirche, aber in einem Boot. Von Rupert Neudeck

Das ist ein gewaltig guter Versuch, Frieden wieder zu der ernsten Aufgabe zu machen, von der wir ja immer an Sonntag in Politiker-Interviews und bei unseren Altvorderen in den Kirchen durch die Predigt des Pfarrers hören. Das Buch bringt die beiden mächtigen Gestalten der Friedensbewegung in Deutschland zusammen, es ist wahrscheinlich das Verdienst des Verlages, Margot Käßmann und Konstantin Wecker zusammen auf ein Buchcover zu bekommen und auch Texte von ihnen hintereinander zu haben.

Jeder, der Konstantin Wecker einmal erlebt hat, hat gespürt, wie dieser große Sänger und Poet vibriert in seinem Real-Traum vom Frieden und gegen den Krieg. Er kann eine ganze junge und auch ältere Generation bewegen und aufmischen mit seinen Liedern. Ich erlebte das jüngst auf dem Bonner Rathausplatz, als es um die Vertreibung einiger wildgewordener und im Rheinland verlorener Fremdenfeinde ging, da wurde Konstantin Wecker gespielt und Wecker ermuntert sehr zu einer neuen Bewegung der Friedenssehnsucht. Es ist ein schönes Buch geworden. Es wird eingeleitet durch ein längeres Gespräch zwischen Margot Käßmann und Konstantin Wecker, das sehr berührt, weil es zeigt,  wie wichtig die Kindheiten von Menschen sind. Wecker schwärmt von seinem sanften Vater. Die Mutter hatte immer gemeint, er müsste auch mal bestraft und geprügelt werden, und forderte das von dem Vater. Da nahm der Vater ihn ins Schlafzimmer und sagte: „Konstantin, ich kann niemanden schlagen schon gar nicht meinen Sohn. Ich haue jetzt auf das Bett und Du schreist ‚Aua‘“.

Dann gibt es Frieden-stiftende Texte von Franz von Assisi über Matthias Claudius, Bertha von Suttner bis Martin Luther King. Dann kommen in der Mitte des Buches die bewegenden Lieder zum Frieden von Konstantin Wecker, wahrscheinlich das Beste, in jedem Fall aber das Schönste, was zur Schaffung von Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt in deutscher Sprache geschrieben wurde. Dann gibt es einen 25 Seiten Text von Margot Käßmann, der so etwas wie die Begründung für eine Neuausrichtung der Friedensbewegung in Deutschland sein könnte. Der Band schließt mit einem Text mit programmatischer Absicht von Wecker: Der Frieden braucht eine Revolution.

Ich kann dieses Buch gut gebrachten, aber es fehlt etwas oder es verwickelt sich in Widersprüche, wenn es um die Frage geht, was tun wir, damit Schwerter noch mehr zu Pflugscharen werden und die Friedensbewegung mehr wird als eine organisierte Emotion.

Das eine: Das Buch weist nicht auf das gewaltigste Unternehmen hin, bei der alles Waffengeklingel ausgehebelt war und es eine noch nie dagewesen Aktion gab, bei der Schwerter zu Pflugscharen, Militärische Marine-Schiffe zur Flüchtlings-Menschenrettung eingesetzt wurden. In dem Unternehmen Mare Nostrum hat die italienische Marine, haben ihrem eigentlichen Zweck entfremdete Marine Soldaten 140.000 Menschen aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Wenn man schon andauernd auf die Bibelstelle Micha 4, 2-4 verweist, wäre das an einer Stelle nötig gewesen, auch um zu betonen: Wir müssen ja nicht die Flugzeuge und Schiffe, die Fahrzeuge alle einmotten oder vernichten, die können ja zum Aufbau von Häusern, Schulen und Hospitälern und zur Lebensrettung massiv gebraucht werden.

Das Andere ist eine Hasenscharte der Friedensbewegung seit ihrem Beginn. Es reicht ja nicht, gegen Waffen zu sein, wenn die riesigen Kraus Maffei- und Rheinmetall-Fabriken nicht konvertiert werden zu anderen Fabriken und ihre Arbeit weiter in großem Masse beschäftigt werden. Und, es bleibt auch die Hasenscharte der Gewaltlosenbewegung, die seinerzeit im Kontakt zwischen Mahatma Gandhi und Buber aufbrach. Gandhi hatte Buber empfohlen, doch in Nazi Deutschland zu bleiben und durch gewaltlosen Widerstand die Nazis zu überzeugen. Dann wären Martin Buber und Hannah Arendt in Ausschwitz vergast und zu Asche verbrannt worden. Käßmann macht das an einer zentralen Stelle ihres Leitartikels in dem Buch deutlich. Ihr liege als Bürgerin eines demokratischen Staates, dass das Gewaltmonopol an Polizei und Verteidigungsarmee exklusiv delegiert ist. So wie sich ja niemand von der Friedensbewegung gegen unsere Polizei ausspricht und deren Verbot beantragt, die ja auch Waffen haben und tragen, so darf man das im internationalen Bereich auch nicht fordern. Käßmann verweist darauf, dass die EKD mal „internationale Polizei“ gefordert hat. Und hat damit gemeint: Militärische Einsatzkräfte unter Wahrung der Menschenrechte und mit aufmerksamer öffentlicher und politische Begleitung. Und als Theologin legitimiert sie das zusätzlich mit einem Ausgriff auf das Augsburger Bekenntnis von 1530 für die Soldaten, die „christlichen Standes sind“.

Dann kommt ein Satz, der viel zu spät und zu schwach ist, sie meint, es wäre zu diskutieren, „wie die klare Grenzziehung zwischen Polizei und Militär, die wir in Deutschland kennen, auf internationaler Ebene auszusehen hat“. Das ist eine klare Herausforderung, die UNO braucht eine Sanktions-Blauhelm-Armee, die nur unter dem Oberbefehl des UN-Generalsekretärs steht und vom UN-Sicherheitsrat legitimiert wird. Dazu sollten nationale Regierungen Kontingente ihrer Armee exklusiv zur Verfügung stellen. Das hat bis heute noch kein Land getan. Hans-Jürgen Wischnewski wollte das in seiner Zeit als Staatsminister durchführen, kam aber nicht dazu, weil er keine Mehrheit fand. Das wäre eine ganz wichtige Aufgabe für die nächsten Wahlen: Nur die Partei zu wählen, die das durchsetzt und damit die Bundesrepublik Deutschland als erster Staats etwas Gewaltiges in Bewegung setzt, was bis hin zur Erfüllung des Postulats von Immanuel Kant in seinem „Traktat zum Ewigen Frieden“ gehen kann: Abschaffung nationaler stehender Heere.

Es ist schön mit zu verfolgen, wie das Gespräch  nicht in eine Debatte über Spiritualität und Mystik abrutscht vermeintlich, sondern damit ganz zentral wird. Diese jungen Menschen heute wollen mal eine radikale Kirche, ein radikales Glaubensbekenntnis. Sie können nicht verstehen, dass die radikale Bergpredigt nicht geeignet sein soll für die Politik-Händel und Aktionen auf dieser heutigen Welt. Und deshalb fordern die beiden, dass die Religionen oder Kirchen zuerst abrüsten. Es darf keine Kirche und keinen Glauben mehr geben, der Waffen und Waffenträger segnet und die Gürtelschnalle erlaubt: „Gott mit uns!“ Damit sind die Armeen und Kraus-Maffei und Rheinmetall noch gar nicht zu Ende. Da nützen denn auch nicht nur die WUT des Konstantin Wecker und der ZORN des Martin Luther, da muss man sich ins politische Geschäft schmeißen. Also: bei den nächsten Wahlen sollte man eine Partei gewinnen lassen, für die dann auch Millionen bisheriger Nicht-Wähler zur Urne gehen, die bestimmt, dass  die Bundeswehr zu großen Teilen dem UNO-Generalsekretär zur Verfügung gestellt wird, ganz und mit Haut und Haaren. Und die Waffenfabriken beginnen zu großen Teilen einen Konversionsprozeß für alternative und erneuerbare Energien. Solarworld muss auch Kraus Maffei erobern für die Entwicklung neuer viel billigerer Solarpanel. So allein kann die Friedensbewegung realistisch noch weitere Ufer anfahren.

Auch die Juden und Muslime, auch die orthodoxen Kirchen müssen in den Prozess hineingezogen oder herauskritisiert werden. Eine Kirche in Moskau, die dem Putin seine Gewalttaten nicht nur erlaubt, sondern absegnet, dürfte im Ökumenischen Rat der Kirchen keinen Platz mehr haben. Und, Margot Käßmann zitiert zu recht den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, mit seinem unübertroffen schönen Wort: Denen, die sich religiös geben und Waffen Brutalitäten produzieren, müssen wir absprechen, „dass sie im Namen ihrer Religion handeln“. Das tun auch viele Muslime. „Ich nehme mal als Beispiel Aiman Mazyek. Der hat ganz klar gesagt: „Wenn ein Jude oder eine Synagoge angegriffen wird, bin ich Jude, wenn eine Kirche angegriffen wird, bin ich Christ, wenn eine Moschee angegriffen wird, bin ich Moslem“-. Das, meint die überzeugende Christin Margot Käßmann, finde sie eine überzeugende Haltung.  „Denn die meisten Opfer dieser Irren sind Muslime“.  Wir müssten uns alle mit den friedliebenden und Freiheitsliebenden und demokratieüberzeugten Muslimen zusammentun.

Gerade wütend und zornig gelingen den beiden kräftige Bilder von unseren Vorbildern, die wir alle in unseren Schulen brauchen: Es gäbe – schreibt Wecker – ein Foto von der Sophie mit Hans Scholl einen Tag vor der Hinrichtung, sie rauchen eine Zigarette auf dem Gefängnishof. Es zeige eine Entspanntheit, die unglaublich ist. „Beide wissen, dass sie sterben werden und trotzdem werden sie von einer fröhlichen Stimmung ergriffen“. Wecker hat ein Lied über diese wunderbarste Figur unseres Widerstandes geschrieben, die uns Kraft gibt beim Machen des Friedens: „Ihr habt gewartet, Ihr seid geblieben, es geht ums Tun und nicht ums Siegen!“

Margot Käßmann/Konstantin Wecker (Hg.): „Entrüstet Euch! Warum Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt“

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Gütersloher Verlagshaus | Warum Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt | Texte zum Frieden
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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