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Und noch eine Rezension: „Selbstverbrennung“

Kann man ein so gewaltig dickes Buch besprechen? Fast bricht der Leser aus Erschöpfung zusammen. Zwischendurch muss sich Schellnhuber selbst zur Raison rufen und sagen: Das ist geschrieben für die Klimakrise und die Umweltpolitik. Von Rupert Neudeck

Kann man ein so gewaltig dickes Buch besprechen? Es ist auf eine preziöse Art geschrieben, es hat wenige Einsprengsel von privaten Erfahrungen des Autors beim Studium in den USA und in Großbritannien. Er spricht die Leser zwischendurch an und sagt ihnen, dass sie etwas, wenn sie wollen, überschlagen können. Zwischendurch muss er sich als Autor selbst zur Raison rufen und sagen: Das ist geschrieben für die Klimakrise und die Umweltpolitik. Deshalb muss der leidenschaftliche Naturwissenschaftler immer wieder mal auf Ausschmückungen verzichten. Was man ihm gar nicht zutraut, der Autor kann auch sehr lapidar und klar und kurz urteilen: Es sind immer wieder ganz spannende Fazit-Äußerungen: „Vom Markt darf man eben Findigkeit erwarten, aber beim besten Willen keine Moral“. Das steht im Zusammenhang mit einer der vielen Konferenzen, und dann noch der sinnlosesten, die Wladimir Putin im Kreml anberaumte.

Wie kann man so ein gewaltiges Buch schreiben, wie kann man es lesen? Die Erleichterungen bei den schwergewichtigen wissenschaftlichen Themen und Studien sind nur ganz selten in den Lesefluss eingestreut. Der Autor ist von Zeit zu Zeit dabei, seine Leser noch eigens anzusprechen, um sie weiter in diesem opus mirandum (zu bewundernden Werk) mitzunehmen. Wobei der Leser immer schon erstaunt ist über die Fülle des Gelernten und Gelesenen. Wenn er sich auf die hunderte engst-beschriebenen Seiten einlässt, wird er zwischendurch auch immer wieder ‚betreut’. In dem sehr wichtigen und vielleicht auch komplexesten Kapitel am Anfang: „Entdeckungsreise zum Klimawandel“, in dem der Autor den Vorgängern auf der Wissenschaftsbühne seine Reverenz erweist, wird er mal ausdrücklich angesprochen: „Sollten Sie als möglicherweise nicht physikalisch vorgebildeter Leser vom scheinbar wahllosen Gebrauch der Begriffe ‚Strahlung‘, ‚Welle‘, ‚Korpuskel‘ usw. für ein und dieselbe Naturerscheinung verwirrt sein“ – und der meist eben nicht vorgebildete Leser ist es, dann winkt ihm ein schöner Trost. Es geht ihm dann wie dem Top-Physiker Max Planck, dem Schöpfer der Quantenphysik. Er entwickelte seine Quantenvermutung ausgesprochen widerwillig und betrachtete es als eine lästige Hilfsgröße, die man mithilfe tieferer Einsichten hoffentlich bald würde begraben können.

Der Autor bemüht sich sehr verständlich zu bleiben, wo immer man das Buch aufschlägt: man könne sich, sagt er im gleichen Atemzug, das Treibhausgasmolekül wie CO2 als ein (sehr kleines!) Kinderspielzeug vorstellen, bestehend aus unterschiedlich großen Kugeln (welche im Beispiel Kohlendioxid, die beiden Sauerstoffatome und das kleine Kohlenstoffatom repräsentieren) und unterschiedlich starken Verbindungsfedern (die die elektronischen Bindungen zwischen den Atomen darstellen). „Die Gestalt des Spielzeugs ergibt sich rein physikalisch als stabilste aller möglichen Konfigurationen. Aber das Gebilde ist nicht starr, sondern kann durch äußere Einwirkung – im Bild etwa ein Verbiegen durch Kinderhand – zu diversen Dreh- und Schwingbewegungen angeregt werden“. Aber in diesem Kapitel, in dem er von den Koryphäen vor hundertfünfzig Jahren, von dem Schweden Swante Arrhenius (1859-1928) bis zu dem Serben Milutin Milankocvic vorstößt, wird der Lese-Prozess so dicht, dass es dem Autor entfährt: Vielen Lesern dürfte nach dieser Beschreibung auch „der Kopf wie ein Brummkreisel dröhnen, aber es handelt sich tatsächlich nur um eine krass vereinfachte Darstellung der relevanten Himmelsmechanik!“ Es müsse deshalb nicht verwundern, dass diese wesentlichen Eigenschaften dieser hochgradig nichtlinearen Dynamik und vor allem die erdgeschichtlichen Klimaveränderungen erst nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend enthüllt wurden – und das, wie der Leser immer hinzudenken muss – ohne digitale Computer u.ä. Im ersten Zugangskapitel ‚Der beschränkte Planet‘ wird es gleich hochdramatisch, der Autor schreibt über die „beschränkte Fähigkeit der Erde, die menschliche Zivilisation zu ertragen“.

Er darf schon zu Beginn nicht die scheußlichen „Müllstrudel“ vergessen zu erwähnen, jene gigantischen Teppiche aus Plastikabfällen, welche unter dem Antrieb von Wind und Wellen in den Weltmeeren rotieren. „Das gewaltigste dieser Ekelpakete – ‚The Great Pacific Garbage Patch‘ – dreht sich im nördlichen Stillen Ozean und ist größer als das nicht kleine Texas. Der Strudel bewegt gegenwärtig rd 100 Mio. Tonnen Kunststoffmüll!“ Denn tatsächlich würden nur 30 Prozent der aus Flüssen, Häfen und Schiffen stammenden Plastikteile n der Deckschicht des Ozeans verbleiben. Nach Hochrechnungen liegen auf „jedem Quadratmeter Meeresboden im Durchschnitt 110 Plastikteile…Den Löwenanteil hat man in den Sedimenten der Tiefsee ausgemacht. Es seien dies auf 2 bis 3 Millimeter Länge und weniger als 1 Zehntelmillimeter Breite zerkleinerte Partikel, darunter kunstfasen wie Viskose und Polyester – nach Schätzungen haben wir es mit mindestens 4 Milliarden solcher Plastikfasern pro Quadratmeter Tiefseesediment zu tun. Und die Lebensdauer von Plastik beträgt Jahrhunderte und in den Tiefen des Meeres gar noch länger. Der Autor hat seinem großen Werk etwas vorangestellt, nicht eine captatio benevolentiae, sondern eine Vorausschau auf das, was ihm bevorstehen kann.

Das Buch handele von der „größten Geschichte aller bisherigen Zeiten“, also der Menschheitsgeschichte allemal. Es spielt in einem Dreieck zwischen Menschheit, dem Klimasystem und dem Wunderelement Kohlenstoff. Es sind apokalyptische Sätze, die dem Wissenschaftler entfahren, und ein Wissenschaftler darf sich nicht gefühlsmäßig erregen. Kohlenstoff, also C erfülle dem Menschen heute jeden Energiewunsch und lasse die Überflussgesellschaft entstehen. Doch gleichzeitig erhitze der rasant aufsteigende Luftkohlenstoff den Globus über zuträgliche Masse und wende sich damit gegen seien Befreier. Aber das Buch ist nicht ohne klare Postulate und Hoffnung, von Anfang bis Ende. „Immer noch kann sich der Mensch von der fossilen Verführung lossagen und vor dem selbst errichteten Scheiterhaufen kehrtmachen“. Umkehren, die alte Devise der abrahamitischen Religionen. Deshalb erwähnt er gleich im Vorwort seinen Mitstreiter, den Papst Franziskus, der mit einer nicht in der Enzyklika-Sprache geschriebenen Enzyklika Laudate Si in die Debatte eingegriffen habe. „Wenn wir die Schöpfung zerstören, wird sie uns zerstören!“ Der Autor erwähnt, dass er dabei bei der Vorstellung Enzyklika, auch vorher bei der Beratung seinen Teil geben konnte. Und erwähnt den Apostel aller Umweltverschoner, den Franz von Assisi, der vor 800 Jahren schon die Solidarität mit der schwachen und die Harmonie mit der Natur beschwor. Aber das Buch von Schellnhuber bemüht die Vernunft als Navigationsprinzip, während sich die Enzyklika vom Glauben leiten lässt. Aber er führt schon am Anfang aus, dass, je tiefer man in die Klimaproblematik einsteigt, immer klarer wird, dass diese Zivilisationskrise nur durch Verbindung von Glaube und Vernunft zu bewältigen sein wird: Spiritualität und Intellektualität Hand in Hand.

Und dann kommt das Wagnis des Autors und Wissenschaftlers. Er habe sich entschieden, „nunmehr endgültig Partei zu ergreifen“ gegen eine gesellschaftliche Betriebsweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören wird. Er ist sich klar darüber, was er sich durch die Überschreitung der roten Linie zwischen Subjektivität und Objektivität in deutschen wissenschaftlichen Kreisen einhandeln wird. Möglicherweise wird seine Ehre und Position als Experte angeknackst sein. Denn ein Experte darf in Deutschland nur den größtmöglichen Abstand von den moralischen Dimensionen seines Themas und seines Buches halten. Aber das gelte für normale Zeiten. „Nichts ist heute normal auf diesem Planeten. Insofern ist meine Entscheidung, weiß Gott, keine Heldentat, sondern eine Selbstverständlichkeit“. Das Buch, so erfährt der Leser, sollte erst auf 300 Seiten gepresst unter dem Titel „Stühlerücken auf der Titanic“ vor fünf Jahren erscheinen. Aber der Autor hat sich entschlossen, alles zu sagen, und es gegen den publizistischen und Talkshow Zeitgeist zu tun.

Die schönsten Seiten stehen am Anfang und am Ende. Zu Beginn unternimmt der Autor auch etwas Unerlaubtes. Er beschreibt, woher er stammt und kommt und wie diese wunderbare Welt seiner Kindheitsidentität zerstört wurde. Als Kind habe er das schreckliche Flurbereinigungsgesetz noch nicht gekannt: „FlurbG“, am 11.08 1954 verabschiedet. Das war der Beginn der Industrialisierung der Agrarwirtschaft und der Zerstörung des natürlichen Biotops, in dem der kleine Schellnhuber aufwuchs. Damals kannte man weder Wort noch Realität der Energieeffizient, das spottbillige Erdöl schwappte ja aus den Wüstenbohrlöchern Arabiens bis nach Niederbayern.  Er beschreibt einen Spaziergang, bei dem er noch den hoffentlich unzerstörbaren Blick auf die unzerstörbare Kette der bayrischen Alpen hatte. Diese Welt können wir auch noch zerstören. Er verdoppelt das durch den wiedergegebenen Blick 1974 in Zentralafrika, auf einer Anhöhe: nach Osten öffnete sich der Zentralafrikanische Graben, dessen Savannengrund mit den Leibern unzähliger Elefanten gesprenkelt war. Im Norden schimmerte die Fläche des Edward Sees,  und er konnte auch die Virunga Vulkane erkennen. Diesen Anblick, sagt der Forscher, trage ich seither in mir, und er wird mich bis ins Grab begleiten.“ Weil der Autor Ruanda und seine Völkermord-Tragödie erwähnt, vermisse ich in dem Buch nur die Erwähnung, dass das das erste und bisher einzige Land der Welt ist, das auf Plastikproduktion und Einfuhr total verzichtet.

Das Schlusskapitel beschreibt den Versuch des Naturwissenschaftlers, seinem Sohn Zoltan ein glückliches Leben zu wünschen, der am 4. März 2008 geboren wurde. Zum Glück gehört in Teilen auch das Mit-teilen von Erlebnissen, Ideen, Träumen zu diesem Buch. Er benennt die merkwürdigen Auswüchse unseres Egoismus. Er bemerkt, mit welcher Unterwürfigkeit Bill Gates bei dem 150. Jahrestag der US national Academy of Sciences behandelt wurde. Man verehre diesen Mann mehr als früher Kaiser und Könige, weil er einen Teil jenes Riesenvermögens abgibt, welche ihm nicht zuletzt die Launen des Marktkapitalismus in die Taschen gespült haben. Er beschreibt, wie die Dankbarkeit und Bewunderung über Michelangelo anhält, wenn wir seine Pieta im Petersdom bestaunen. Der Autor: ich bin mir sicher, dass er dieses Staunen während der mühseligen Arbeit an seinem Meisterwerk antizipierte. Die Existenz des eigenen Sohnes „beschenkt mich mit der Möglichkeit das bewahrte in andere Hände zu geben. Aber am Ausblick stehen düstere Zeichen. In arroganter Sturheit schreite die technische Zivilisation weiter auf dem Weg ins Unglück, obgleich von diesem Weg zahlreiche Pfade zur Nachhaltigkeit abzweigen. „Noch ist ein Abbiegen jedoch möglich“.  

Der Leser ist auch durch die Dramaturgie erschlagen, mit der ihm das nächste fundierte dichte Kapitel angesagt wird. Im 18. Kapitel, das uns einen genauen und gründlichen Überblick über alle viralen Krankheiten und Pandemien gibt, die die Menschheit bedroht haben in ihrer Geschichte und in der Gegenwart, wird dann plötzlich der König Leser angesprochen-. „Die Leser haben es schon sicher geahnt, der Klimawandel könnte die Zahl der durch die Seuche Schlafkrankheit bedrohten Menschen und Tiere drastisch erhöhen“. Bei der Erwähnung der Schlafkrankheit werden mir als Leser die Namen Albert Schweitzer und Robert Koch plötzlich wieder relevant. Malaria beurteilt der Autor zu Recht als Krankheit der Armen. Der Autor gibt sich immer mal zu erkennen als derjenige, der in Sachen Klimaschutz international ohne Unterlass unterwegs ist. Zivilisatorische Faktoren üben offensichtlich einen überragenden Einfluss auf die Dynamik der Tropenseuche aus. Dazu gehören ganz selbstverständlich öffentliche und private Schutzmaßnahmen wie das Verteilen und Benutzen von chemisch präparierten Moskitonetzen und die Stationierung von Infizierten in Hospitälern. Dann: „Auf einer Hotelterrasse in Singapur aber auch am Strand der Seychellen-Insel Praslin kann man frei von Malariarisiko nach Einbruch der Nacht noch sein Erfrischungsgetränkt schlürfen“. Obwohl eben doch beide Plätze in den feuchtheißen inneren Tropen liegen, wo ideale klimatische Voraussetzungen für die Vollendung des Parasitenzyklus bestünden. Es sind indirekte Faktoren, die die Malaria zurückdrängen, der Grad der Verstädterung, der Charakter der Kulturlandschaft, der Lebensstil der Einwohner kann sich auf gravierende Weise epidemiologisch auswirken.

Aber es bleibt: die Malaria ist immer noch eine Krankheit der Armen und betrifft uns in Mitteleuropa nicht. Zwischendurch erwähnt der Autor beiläufig seine Kollegen „Verschwörungstheoretiker“. Im Zusammenhang mit der Biosphäre gibt es noch einen geheimnisvollen Akteur, der das ganze Spiel ändern, ja sogar kippen könnte, schreibt der Autor. Das ist der CO2 Gehalt der Luft. Dieses Mal nicht in einer Funktion als Strahlungsbilanzregler, sondern als Grundstoff für das photosynthetische Pflanzenwachstum. „Dass die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre dramatisch ansteigt, bezweifeln nicht einmal die wirrsten Verschwörungstheoretiker, und dass damit ein willkommener Düngungseffekt für natürliche und bewirtschaftete Ökosysteme verbunden sein könnte“ sei eine naheliegende Vermutung. Auch der Slogan „Pflanzen lieben CO2“ werde alle paar Jahre von Gegnern des Klimaschutzes „im stramm konservativen Milieu wiederentdeckt“. Ganz putzig nimmt sich die spontan in die Feder gelaufene „ruhmsüchtige Gelehrtenwelt“ aus, die der Professor wohl zeit seines Lebens auszuhalten hatte. Mittlerweile hat er als Umweltberater der Kanzlerin und des Papstes mehr Neider als jeder andere.

Die Kanzlerin bekommt zwei gute Zeugnisse ausgestellt, denn der Potsdamer Professor lernte sie schon als Bundesministerin für Umweltschutz kennen unter Helmut Kohl. Er beschreibt sehr kryptisch und doch genau die führenden Umweltpolitiker seiner Zeit. Da ist zunächst der Vizepräsident unter Clinton Al Gore, den Schellnhuber zum ersten Mal bei der Kyoto-Plenarsitzung erlebt. Al Gore war ein großer Staatsschauspieler und genoss seinen Auftritt auf dieser riesigen Bühne. Er erklärte: „Ich habe eben mit Bill (Clinton) telefoniert. Er hat mich und die amerikanische Delegation angewiesen, auf dem Weg zu einem Abkommen mit größtmöglicher Flexibilität zu agieren“. Damit war ein gewaltiger Erwartungsdruck auf diejenigen Staaten aufgebaut, die noch zögerten, die ihnen zugedachten Minderungsquoten zu erfüllen. Aber man wusste schon, als Al Gore diese Heldenrolle spielte, dass der Kongress in Washington nicht mal das 7 Prozent Ziel zusagen würde. Andere Länder denn die USA und Kanada, von denen der Autor besonders enttäuscht ist, weil sie sich nach Kyoto wieder zurückzogen, fühlten sich den Ergebnissen des Klimaschutzprotokolls ernsthaft verpflichtet. Das galt besonders für Deutschland, „dessen oberste Klimadiplomatin, Angela Merkel, gewissermaßen den perfekten Antityp zu Al Gore verkörpert. Die beiden haben als Politiker und Menschen ungefähr so viel gemeinsam wie der stille Philosophenweg von Kyoto und der dröhnende Sunset Strip von Hollywood“. Tatsache sei, dass Al Gore das Klimaprotokoll in der Schublade verdorren ließ, „während sich Merkel im Verlauf ihres Werdegangs von der Bundesumweltministerin bis zur Bundeskanzlerin zur wichtigsten klimapolitischen Entscheidungsträgerin der Welt entwickelte.“ Das habe sie auch noch mal als G7 Präsidentin auf der Konferenz auf Schloss Elmau im Juni 2015 demonstriert, als ein ambitioniertes Schlussdokument verabschiedet wurde, „das die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft als einzig sinnvolle Perspektive identifiziert.“ 

Der Autor beschreibt, wie er sie in Kyoto noch erlebt hatte im Casino des Zentrums. Damals machte sie mit Klarheit deutlich, dass es „keine Alternative“ zum Erfolg des Protokolls gebe. Diese Redewendung, so Schellnhuber, sei inzwischen zum festen Bestandteil ihre Rhetorik geworden, sei aber weit mehr als eine Floskel. Aus den Begegnungen mit der Bundeskanzlerin in Verlauf der letzten 20 Jahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese klar zwischen taktischer Geschmeidigkeit, ja Beliebigkeit, und strategischer Prinzipientreue zu unterscheiden weiß.“

Zwischendurch, wenn man wieder ein Kapitel hinter sich hat, das wie ein einziges schwergewichtiges Buch wirkt, weiß man nicht, weshalb ein Lektor eine Bemerkung, die nun nur private Reminiszenz ist, zulassen kann: Wahrscheinlich, weil man aufatmend erlebt: der Professor ist auch ein Mensch. Im Kapitel „Klimafolgen: Leib und Leben“ heißt es plötzlich im Zusammenhang mit einer überraschenden Erkenntnis des Autors, dass Karten bei Wikipedia besser als ihr Ruf sind. Dann geht es weiter: Karten dieser Art würden man ja aus den Atlanten kennen und sie hätten unsere Erinnerungen an den bisweilen sterbenslangweiligen Geographieunterricht  geprägt. Und dann kommt eine sehr merkwürdige aber putzige Klammerbemerkung: „Meine Fachlehrerin im Gymnasium etwa war eine liebenswerte, aber völlig ironiefreie katholische Nonne namens Radegunde“. Schluss. Punkt. Ja, was will uns der Autor im Zusammenhang mit dem Klimawandel damit sagen?

Mit seinen Gegnern geht der Autor sehr freundlich und höflich um. Im Kapitel „Zwei Grad Celsius“ beschreibt er den langen Weg, den diese Politik-Beratung im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)gegangen ist. Im Herbst 1994 übernahm Schellnhuber den stellvertretenden Vorsitz des WBGU, als ein Großereignis in Deutschland anstand: die ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention, 28. März bis 2. April 1995 in Berlin, damals mit einer blutjungen ex-Physikerin und Bundesministerin für Umweltschutz, Angela Merkel. Es wurde heftig die Nächte durch gearbeitet, um eine konkrete klimapolitische Stellungnahme für die Regierung zu entwerfen. Der Autor unterhielt sich damals mit Hans von Storch und Klaus Hasselmann, die uns für die nötige Rechnung ein einfaches Modell zur Verfügung stellten. Von Storch habe sich leider darauf versteift, das PIK als nationales Zentrum für „Klimaalarmismus“ zu bekämpfen.

Der Autor: „Beide Kollegen waren damals eine große Hilfe bei der Erstellung des Sondergutachtens für die Klimakonferenz in Berlin. Das Dreieck von Politik, Wissenschaft und Medien ist immer belastet. Die Klimapolitik begann damals erst richtig und es gab eine Pressekonferenz, bei der der Saal voll gepackt war mit Journalisten. Man referierte: da sich die Erde damals bereits unter dem menschlichen Einfluss um 0,7 Grad erwärmt hatte, bedeutet die 2-Grad-Leitplanke, dass man noch etwa 1,3 Grad Spielraum hatte, natürlich im Sinne von Umweltvorsoge und Risikomanagement. Die Pressekonferenz generierte am nächsten Tag die dröhnende Schlagzeile: „Noch 1,3 Grad bis zur Klimakatastrophe!“ Das war zweifellos eine unzulässige Verkürzung des ursprünglichen Denkansatzes des Autors, der natürlich unzähligen Fehlinterpretationen Tür und Tor öffnete. Schellnhuber hatte einen Denkansatz entwickelt, der englisch unter dem Titel „Tolerable Windows Approach“ firmierte. Als der Autor der Umweltministerin Merkel den Fensteransatz erklärte, sagte diese „Das mit dem Fenster finde ich ganz witzig!“ Autor: „Eine Bemerkung, die auf der Merkelschen Anerkennungsskala ganz weit oben einzustufen ist“.

Der Autor ist als Wissenschaftler ein Überzeugungstäter, besser gesagt, er spürt die Verantwortung auch gegenüber der Politik. Der Erkenntnisvorsprung der Wissenschaftler gegenüber  den Politiker, der Wirtschaft und Gesellschaft ist groß. „Wer seiner Informationsverantwortung nicht gerecht wird, in dem er nicht auf die ungeheuren Risiken einer ungebremsten Erderwärmung hinweist, handelt gewissenlos“. Und dann kommt der Autor am Schluss zu einem neuen Begriff für diese Verantwortung: Wer hingegen verantwortlich handeln will, „wird als Wissenschaftler auch zum Gewissenschaftler“. Diese Haltung ist weder geplant noch gewollt. Sie ist „das zwangsläufige Ergebnis des Zusammentreffens von Einsicht und Moral.“ Die Wissenschaft verbreite das rechte Licht, aber das Licht reiche nicht aus, um der Menschheit den richtigen Weg zu weisen. „Sehr sehr traurig“. Es gibt nur ein Kapitel, in dem der Autor sarkastisch wird: das ist bei der Beschreibung der Gipfelkonferenz-Klima-Konferenz in Bali 2007. So treffend und ironisch hat noch kein Journalist den Leerlauf, den superteuren und klimaskandalösen Weg aller Delegationen zu einem zwei Wochen Zirkus beschrieben wie dieser Autor. Das Kapitel wirkt auf mich wie eine ausdrückliche Ohrfeige für alle Tausendschaften der Journalisten, die dort auch gern hinkommen und den Unfug mitmachen.

Zwischendurch hat man als Leser schon das Gefühl: Könnte das nicht  weniger ausführlich beschrieben werden? Aber dann wird man wieder belohnt durch den freiwilligen und unfreiwilligen Humor, den der Autor belegt und beweist. Als es im Kapitel über die verschiedenen Formen des irrsinnigen Geoengineering geht, dabei um „Carbon Capture and Storage“, also Kohlendioxidabscheidung und Speicherung, schreibt der Autor ungerührt: „Es würde den Rahmen dieses Buches allerdings sprengen“, wenn er jetzt noch Vor-und Nachteile von CCS erläutere!!? Spätestens da erkennt man den Humor. Als ob dieser Buchrahmen überhaupt noch gesprengt werden könnte. Auch in einem anderen Zusammenhang gefällt mir die burschikose Art, mit der er die Wirkung des Forschungsberichts unter dem Titel „Climate Change 21014“ beschriebt, den die Forschergemeinde vom IPCC mit Ottmar Edenhofer, einem versierten Kollegen und Lord Nicholas Stern herausgebracht hatte. Der Bericht hatte nicht weniger als 1400 Seiten. Es gab eine im Wortsinn erdrückende Beweislast.  Der Autor spielt auf die voluminöse Dicke der Studie an. „Man könnte damit auch nach hartnäckigen Verdrehern der Klimawahrheit werfen“, doch sei es wohl ziviler, das Buch zu lesen. Aber der Humor ist so ausdrücklich, dass er ihn drei Seiten später noch mal appellativ an den Leser und Nichtexperten wiederholt: „Wenn Ihnen also demnächst wieder jemand einreden will, dass die 2-Grad-Linie ohnehin nicht zu halten ist, dann werfen Sie mit dem dicken IPCC-Bericht nach ihm oder überreden ihn, „den Folianten zu lesen“. Fast eine Nutzanwendung für das Kiloschwere Buch, das sich Schellnhuber abgerungen hat. Wer Schellnhuber demnächst als windiger Gegner unter die Augen treten will, bekommt das Buch an den Latz geworfen. Das erinnert mich an meinen Lieblingsphilosophen Odo Marquardt, der mir mal sagte, Einmal in seinem Wissenschaftlerleben muss man ein Buch geschrieben haben, dessen Gewicht erlaubt, damit einen Rezensenten zu erschlagen.  

Die Teile sind überschrieben nach dem kulturellen und spirituellen Selbstverständnis des Autors. Sein Narrativ dringt von der „Haut“ (Teil I), zum „Fleisch“ (Teil II) bis ins „Mark“ (Teil III)  vor, nach einer inneren Logik, die ihm der Gegenstand aufgezwungen habe. „So gesehen bin ich nur ein Stenotypist im Dienst des Autors“.  

© C. Bertelsmann
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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