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Zu der Umweltenzyklika des Papst Franziskus

Wer hätte so etwas von einem römisch-katholischen Papst erwartet? Von Rupert Neudeck

Das ist ein Buch, das man einem Papst nicht zugetraut hätte. Diese Umweltenzyklika enthält alles und noch mehr, was sich ein Katholik je von seiner Kirche nur hätte erträumen dürfen. Zwischendurch dachte ich, das hätte Carl Amery erleben müssen! Das Eintauchen in die gewaltige Komplexität des Themas, das Akzeptieren der Notwendigkeiten. Die Einbindung in das christliche und darüber hinausgehende auch islamische und jüdische Geschenk Gottes mit der Schöpfung. Ein Rundschreiben, das auf bezwingenden Weise die universale Internationale der christlichen Kirche deutlich macht. Die Bischofskonferenzen von Australien, von Paraguay, von Neuseeland, von Portugal, von Bolivien, Spanien werden hintereinander zitiert. Es wird natürlich des Öfteren der – wenn man so will – Schutzpatron aller Ökologie-Enthusiasten und aller, die die Welt verschonen möchte, zitiert, der heilige Franz von Assisi.

Aber eben auch säkulare Dokumente, wie die Deklaration der ersten großen Umweltkonferenz im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Kirchenlehrer kommen zu Wort, wenn sie eine wirkliche Botschaft haben. Das Buch ist aufgebaut nach Art solcher Enzykliken, mit insgesamt 246 Unterkapiteln, mit kleinsten Hinweisen, die das Thema immer wieder neu strukturieren.

Aber zwischendurch wird ganz deutlich gesagt und der Papst spricht dann  wie ganz selten in dem Buch persönlich: „Noch einmal betone ich, dass die Kirche nicht beansprucht, die wissenschaftlichen Fragen zu lösen, noch die Politik zu ersetzen, doch ich forderte zu einer ehrlichen und transparenten Debatte auf, damit Sonderbedürfnisse oder Ideologien nicht das Gemeinwohl schädigen“. Das Sympathische: Die Botschaft der Kirche steht nicht explizit im Vordergrund, aber das ganze Thema – auch das politische, das soziale, das wirtschaftliche – ist eingebettet in die christlich-franziskanische Schöpfungstheologie.

Die Sprache der Enzyklika ist so wichtig, weil sie das Klischee der Enzykliken-Sprache nicht mehr bedient, die Albert Camus noch im Kopf hatte, als er im Dominikanerkloster mit Blick auf die Skandale erregt sagte: Während jener Jahre des Schreckens (1939 – 1945) habe man lange Zeit darauf gewartet, dass sich in Rom eine laute Stimme erhöbe. Ja, gerade er als Ungläubiger habe diesen Schrei erwartet. Denn „ich wusste, dass der Geist verloren gehen musste, wenn er angesichts der Gewalt nicht den Schrei der Verdammung ausstieß.“

Millionen Menschen hätten diesen Schrei nicht gehört, in der Zeit, in der die Henker zahlreicher wurden. Später sei ihm erklärt worden, dass die Verdammung erfolgt sei, „aber in der Sprache der Enzykliken“. Und diese Sprache sei nicht klar. Die Welt aber, so Camus im Dominikanerkloster Latour-Maubourg 1948, „erwartet von den Christen, dass sie den Mund aufmachen, laut und deutlich und ihre Verdammung ganz unmißverständlich aussprechen, damit nie auch nur der geringste Zweifel im Herzen des einfachsten Menschen zu keimen vermag“. Das macht der Papst Franziskus jetzt wahr, mit Laudato si.

Ich habe bei der Lektüre gezählt, der Papst, der ja mal – wie weit ist das weg – mit einem Unfehlbarkeitsdogma ausgestatte wurde, spricht nur selten aus seiner Ich-Position; sieben oder acht Mal tut er das. Mitten in diesem Buch gibt es geradezu ein Kinderkapitel: Welche Art von Welt, fragt die Kirche und damit der Papst, wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, also den Kindern, die gerade aufwachsen? “Wenn wir uns bezüglich der Welt, die wir hinterlassen wollen, Fragen stellen, meinen wir vor allem ihre Ausrichtung, ihren Sinn, ihre Werte“. Und, wenn man sich diese grundlegende Frage nicht stellt, „glaube ich nicht, dass unsere ökologischen Bemühungen bedeutende Wirkungen erzielen können.“

Im Schlussabgesang des Textes möchte der Papst uns noch etwas auf den Weg geben: die ökologische Umkehr, das Metanoja (Umdenken) auf ökologisch: „Ich möchte den Christen einige Leitlinien ökologischer Spiritualität vorschlagen, die aus den Überzeugungen unseres Glaubens entspringen, denn was das Evangelium uns lehrt, hat Konsequenzen für unsere Art zu denken, zu empfinden und zu leben“.

Es sind sechs wuchtige Teile, die sich der Papst mit den vielen, die daran mitgearbeitet haben, in den letzten Wochen und Monaten abgerungen hat. Und wie der ex-Jesuit und damit Ex-Mitbruder des Papstes und jetzige Vizedirektor am Klimainstitut in Potsdam, Ottmar Edenhofer sagt (SZ, 20. Juni 2015), die Enzyklika sei nicht nur eine Umwelt-, es sei eine Gerechtigkeitsenzyklika.

Die Kirche und der Papst nehmen alle drei globalen Herausforderungen zusammengeschweißt und zusammengekoppelt auf die Hörner: Armut, Ungleichheit und Klimawandel, weil sie zusammengehören. Nicht das Bevölkerungswachstum stehe im Vordergrund, sondern die Verteilung des Reichtums. Wir Reichen verursachen den Haupt-Klimawandel, die Armen in Bangla Desh und auf den Pazifik-Inseln werden ihn – im Wortsinn – ‚ausbaden“. Dieser Papst spricht Klartext, er redet nicht wie die deutschen NRW-Politiker drum herum. Verantwortlich für die Klimakatastrophe sind die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas und die Abholzung der irrsinnig wichtigen Wälder.

Im ersten Teil geht es um die Fragen, „was unserem Haus widerfährt“. Um die Umweltverschmutzung, den Klimawandel, die Wegwerfkultur, die Wasserfrage, den Verlust der biologischen  Vielfalt; die Verschlechterung der Lebensqualität, die Unterschiedlichkeit der Meinungen. Gerade das Letzte hat es noch nicht gegeben, der Hinweis auf eine Pluralität der Stimmen, die Rom nicht abschneiden kann. Es ist die Phase post-ex-cathedra in der Kirche.

Der Zweite Teil geht um die Schöpfung und das Evangelium von der Schöpfung. Aber auch das macht der Papst nicht im Sinne aus ausgetüftelten Kolloquiums, sondern der Text ist für jedermann und jede Frau verständlich und diskutierbar. Es geht um die Harmonie der gesamten Schöpfung und die Botschaft eines jeden Geschöpfes in dieser Schöpfung.

Der Dritte Teil behandelt die Menschliche Wurzel und Verursachung der ökologischen Krise. Der Autor beschreibt die Globalisierung des technokratischen Paradigmas und die Krise des modernen Anthropozentrismus.

Der vierte Teil behandelt die von der Kirche und den Ökologen gewünschte ganzheitliche Ökologie, mit den Ausfächerungen auf die Wirtschafts- und Sozial-, die Kultur-Ökologie und die Ökologie des Alltagslebens sowie die generationsübergreifende Gerechtigkeit. Der fünfte Teil enthält dann einige Leitlinien für die großflächige Debatte, die dann bis in den Nahen Osten zurückprallen  wird.

Esa geht dem Papst um alles, um das ganz Große und das Kleine, das im Großen eingeschlossen ist: Non coerceri maximo, contineri tamen a minimo, divinum est. Erst wenn wir uns gleichermassen um die Nöte der Menschen in den Armenvierteln Brasiliens, der Wohnsilos in den Großstädten kümmern, können wir sagen, dass wir die „ökologische Umkehr, das alte biblische Bild der Umkehr, der Metanoia geleistet haben. Da geht es um Friede und Freude, um Liebe im zivilen und im politischen Bereich“.

Der ganze Text gipfelt im Unterkapitel 87 mitten im Text in dem Sonnengesang, dem wunderschönen Hymnus des heiligen Franziskus von Assisi. „Gelobt seist Du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, zumal dem Herrn Bruder Sonne, welcher der Tag ist. Gelobt seist du mein Herr durch Schwester Mond und die Sterne“.

Immer wieder verbindet der Papst das Thema der Bewahrung der Schöpfung mit dem Thema der unwürdigen Armut und der Lebensverhältnisse in denen es schwer fällt, würdig zu bleiben. Die Enzyklika ist ein Aufruf zur Rebellion, zum Widerstand. Die Ungerechtigkeiten müssen uns in Wut versetzen, sagt uns der Text, die Ungerechtigkeiten, „die unter uns bestehen, denn wir dulden weiterhin, dass einige sich für würdiger halten als andere. Wir bemerken nicht mehr, dass einige sich in einem erniedrigenden Elend dahinschleppen ohne wirkliche Möglichkeiten, es zu überwinden“.

Während andere – er meint mich und uns – nicht einmal wissen, was sie mit ihrem Besitz anfangen sollen: „Voll Eitelkeit eine vorgebliche Überlegenheit zur Schau stellen und ein Ausmaß an Verschwendung hinter sich zurücklassen, das unmöglich verallgemeinert werden kann“.

Man muss die Menschen mögen, so einfach kann man in der Mitte der Enzyklika die Anweisungen und Aufforderungen zur Zärtlichkeit und zum Mitleid des Papstes Franziskus zusammenfassen. Er hält ganz klar die Richtung: „Die Ungereimtheit dessen, der gegen den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tieren kämpft, aber angesichts des Menschenhandels völlig gleichgültig bleibt. Der die Armen nicht beachtet oder darauf beharrt, andere Menschen zu ruinieren, die ihm missfallen, ist offensichtlich“.

Wieder zitiert er den heiligen Franziskus mit dem Hymnus: „Gelobt seist Du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen“. Wir sind nicht allein gegen einander ausgeschlossen durch die Nationalität, durch die Hautfarbe, durch die Herkunft, sondern wir sind Teil einer „universalen Gemeinschaft, bei der niemand und nichts aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen ist.“

Die Sprache der Enzyklika ist belebend. Es heißt immer „Geschwisterlichkeit“ und nicht mehr „Brüderlichkeit“. Die Sprache ist neu und sie ist Klartext. Das Prinzip der Gewinnmaximierung sei eine Verzerrung des Wirtschaftsbegriffs. Wenn die Produktion steige, kümmert es wenig, dass man auf Kosten der zukünftigen Ressourcen oder der Gesundheit der Umwelt produziert, wenn die Abholzung eines Waldes die Produktion erhöhe,  würde niemand den Verlust abwägen, der in der „Verwüstung eines Territoriums, in der Beschädigung der biologischen Vielfalt oder in der Erhöhung der Umweltverschmutzung liegt“. Das ist eine wichtige klare Sprache, die danach verlangt, den Begriff Fortschritt neu zu definieren.

Immer geht es dem Papst, um die Zukurzgekommenen, die Habenichtse und die Schmuddelkinder. Milliarden von Menschen haben Probleme, die uns in unserer Schulweisheit überhaupt nicht begegnen. Wir leben „in abgeschlossenen Stadtbereichen, ohne in direkten Kontakt mit ihren Problemen zu kommen. Wir kommen – der Papst hält auch nichts von „grünen“ Reden, wenn nichts dahinter ist – wir kommen nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen zu hören wie die Klage der Erde.

Der Papst ist nicht großspurig, er wertet mit großer Sorgfalt die vielen ganz kleinen Bemühungen, der fair-trade Mitarbeiter. Wenn man sich etwas wärmer anzieht „anstatt die Heizung anzuzünden, bedeutet das, dass der Mensch Überzeugungen und eine Gesinnung angenommen hat, die den Umweltschutz begünstigen“. Wir können, wie das afrikanische Land Ruanda den Verbrauch von Plastik ganz einstellen, wir können „nur so viel kochen, wie man vernünftigerweise essen kann, öffentliche Verkehrsmittel benutzen und ein Fahrzeug mit mehreren Personen teilen, Bäume pflanzen, zu einer großherzigen Kreativität kommen, die das Beste des Menschen“ hervorbringt. Manchmal geben uns solche kleinen Gesten „das Gefühl der eigenen Würde zurück, führen uns zu einer größeren Lebenstiefe“.

An so einer Stelle bittet der Papst in christlichen (und anderen ) Familien wieder zurückzukommen zu der schönen Gebetsgewohnheit, für das Essen bei den Mahlzeiten kurz im Gebet zu danken. Das kann der Leser gut akzeptieren, auch wenn er seine frömmsten Stunden nicht in der Kirche zugebracht hat.

Aber der Papst ist kein ökologisches Weichei. Da viel auf dem Spiel steht (heißt es in Nr. 214) „sind nicht nur Institutionen notwendig, die die Macht besitzen, Sanktionen gegen Umweltattacken zu verhängen“, sondern ebenso notwendig sei es, „dass auch wir uns gegenseitig kontrollieren und erziehen“. Schön, dass ein moderner Jesuit, der uns neben Franziskus von Assisi viel zu sagen hat, in einem Zitat (Nr. 83) mit Wonne zitiert wird. Das Ziel des Laufs des Universums liegt in der Fülle Gottes, die durch den auferstandenen Christus schon erreicht sei. Ebenso erfreut liest man, dass neben dem Franz von Assisi der Charles de Foucauld nicht vergessen ist.

Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen (Nr. 189). Und, er weiß, die Probleme allein lösen sich nicht mit der magischen Auffassung des Marktes. Er stellt die rhetorische Frage, ob es realistisch sei zu hoffen, „dass derjenige, der auf den Maximalgewinn fixiert ist, sich mit Gedanken an die Umweltauswirkungen aufhält, die er den kommenden Generationen hinterlässt.

Die Enzyklika hat einen großen Anspruch, die Ökologische Erziehung voranzubringen und die Spiritualität – besonders bei uns Menschen, die wir in unwiderstehlichen Konsummechanismen stehengeblieben sind. Der zwanghafte Konsumismus sei das subjektive Spiegelbild des techno-.ökonomischen Paradigmas. Und in Nr. 203 wird zur Freude deutscher Leser und Christen ausdrücklich im Text Romano Guardini zitiert: Solange wir eine Konsumfreiheit zu haben glauben, nehmen wir an, dass wir vernünftig liegen. In Wirklichkeit gehören nur wir im Westen, die wir die wirtschaftliche und finanzielle Macht innehaben, zu dieser Minderheit, die Freiheit besitzt.

Papst Franziskus: „Laudato Si – Die Umweltenzyklika des Papstes“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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