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Karl Ludwig Schweisfurth: Der Metzger, der kein Fleisch mehr isst

Zu dem bunten und spannenden Leben des Metzgers Schweisfurth. Von Rupert Neudeck

Sein Sohn Karl, der Vater des Autors, wusste, dass sein Sohn, der Autor Karl Ludwig den Betrieb weiterführen würde. „Und ich war mir, ohne dass groß darüber gesprochen wurde, sicher, dass meine Kinder eines Tages an meiner Stelle…“, da setzt der Autor nur drei Punkte. Es kam nämlich anders. Denn sein Sohn Karl stellte ihm sehr harte Fragen: „Wohin soll denn diese durchmaschinisierte Fleischproduktion führen?“  Und er sagte etwas, was den Vater-Autor fast beleidigte. „Vater; Du weißt doch gar nicht mehr, wie es da draußen zugeht?“

Dramatisch wird es richtig in dem Kapitel, in dem der Autor die Geschichte seines Familienunternehmens beschreibt. Die Kinder machen da weiter, wo die Eltern aufhören, so heißt es: „Eine schöne, eine stärkende Geschichte“. Sein Großvater, Ludwig Schweisfurth, hatte mit seiner Ehefrau Minna 1897 die Idee, ein Feinkostgeschäft in Herten/Westfalen zu eröffnen: Für die „Pohlbürger“ und die Kumpels, die oft aus Polen kommen und noch gar nicht richtig deutsch sprechen. Der Großvater als der Begründer des Metzgereiunternehmens wußte ja, dass sein Sohn weitermachen wird. Sein Sohn Karl, der Vater des Autors, wusste, dass sein Sohn, der Autor Karl Ludwig den Betrieb weiterführen würde. „Und ich war mir, ohne dass groß darüber gesprochen wurde, sicher, dass meine Kinder eines Tages an meiner Stelle“, da setzt der Autor nur drei Punkte. Es kam nämlich anders. Denn sein Sohn Karl stellte ihm sehr harte Fragen: „Wohin soll denn diese durchmaschinisierte Fleischproduktion führen?“  Und er sagte etwas, was den Vater-Autor fast beleidigte. „Vater; Du weißt doch gar nicht mehr, wie es da draußen zugeht?“

Da war der Vater sauer. Der Sohn aber beharrte darauf: „Du weißt, wie viel welche Lieferanten zu welchen Preisen wann liefern. Aber weißt Du auch WIE?“ Streit, natürlich weiß er, wie soll er denn anders HERTA zu einer Erfolgsmarke gemacht haben. Aber er läßt sich auf einen Termin ins Süd-Oldenburgische ein. Da bekam er einen Schlag ins Gesicht: ein bestialischer Gestank. Er läßt im Auto anhalten: Der Güllegeruch war von hoher Intensität und erbarmungsloser Gemeinheit. Natürlich wusste der Autor, dass es im südwestlichen Niedersachsen ein Gülleproblem gab. Viele und immer mehr Schweine sorgen für noch mehr Gülle. Und noch mehr Gülle führt dazu, dass lediglich Mais auf den Feldern den flüssigen Fäkalien standhalten kann.

Und das war das Damaskus Erlebnis. „Kriegsopfer des Weltkriegs gegen die Natur sind unsere Böden und unser Grundwasser. Opfer einer im Wortsinn gigantischen Schweinerei. Im Übrigen straffrei, weil qua Verordnung „ordentliche Landwirtschaft“. Aber der Autor geht weiter, läßt sich die Ställe zeigen. Drei 1000-Schweine Ställe. Das war damals groß, heute gibt es Betriebe, in denen 60.000 Mastschweine stehen. Er erkennt: „Wir haben das Schwein gründlich zur Sau gemacht“. Seit diesem Besuch in der Schweinehölle begann Schweisfurth über das „Subjekt Schwein“ nachzudenken, das Objekt unserer Begierde. Er hört nicht mehr auf zu lernen. „Schweine sind Erdtiere. Sie kauen und mahlen die Erde nach Essbarem durch“. Und Schweine, die ihre Kaubewegungen nicht mehr durchführen können, sind verdammt arme Schweine, wie Elefanten, die ihre Rüssel nicht mehr benutzen können.

Der dramatische Wandel im Geschäftsgebaren kam nicht sofort. Schweisfurth hält nichts von Damaskus Erlebnissen. Im gelebten Leben sind es meist Kurven, „die mit leichter Krümmung beginnen und dann einen Scheitelpunkt erreichen“. Es dauerte bei ihm fünf Jahre, bis er den Marktgesetzen Ade sagte und sich auf etwas anderes einließ. Im Januar 1984 entschied er sich, aus der industriellen Fleischproduktion auszusteigen. Die eigenen Kinder waren ihm vorausgegangen. Sie waren plötzlich vor oder neben ihm. Die drei Kinder, Karl, Georg und Anne machen etwas „Grünes“. Karl ist gelernter Bauer und führt heute die Herrmannsdorfer Lehrwerkstätten. Georg gelernter Metzger und Volkswirt, führt das Lerngut Sonnenhausen, nahe Herrmannsdorf. Anne ist gelernte Bäckerin und Pädagogin in Bremen, die das Herrmannsdorfer „Dorf für Kinder und Tiere“  entwickelt hat. Die Erfüllung, möchte man als Leser sagen, da kommen auch schon die Enkel der nächsten Generation. Enkelin Anna ist gelernte Schneiderin, die viel hält von der umweltverträglichen Beschaffenheit der Stoffe. An der Tür ihrer kleinen Werkstatt steht: „Hereinspaziert in meine Kleiderwerkstatt. Chemie und Sklavenarbeit müssen draußen bleiben“.

Das Buch lebt von einem lebhaften, offenen  und gerade lebenden Businessman. Der aber seiner Tochter nicht abschlagen kann, eine wichtige Business Konferenz zu unterbrechen, weil sie gerade ein Pferd entdeckt hat, das, wenn es nicht sofort wegverkauft wird, im  Kochtopf landet, zuvor geschlachtet wird. Der Autor berichtet über seine Lehr- und Wanderjahre, die ihn in die USA führen, wo er mit den kapitalistischen Fließbandmethoden von Henry Ford wie auch den Schlachtereien in Chicago vertraut gemacht wird. Damals erschienen ihm diese Betriebe noch wie das natürlichste von der Welt. Aber es wird ihm immer deutlicher, dass wir einmal den Menschen auf Grund der völlig unnatürlichen Aufzucht die Tiere furchtbar behandeln, so dass die dann auch nicht mehr das geben können, was sie versprochen haben. Er wird nach seiner Zeit als einer der größten Manager der Fleischindustrie „der letzte Metzger, der kein Fleisch mehr isst“, in die Geschichte eingehen.

Er bekommt mit, dass wir den Hunger in der Welt anheizen dadurch, dass wir reichen Europäer uns das Fleisch leisten. „Um die vom Weltmarkt geforderten Massen herauszufiltern, ruinieren wir nicht nur die Wasserbilanz, sondern auch die Böden. Fleisch kommt mit dem Schiff, da kann praktisch kein Lokalmarkt in Togo oder Bangladesh mithalten.

Das Buch ist deshalb so eindrucksvoll, weil der Autor (oder das Biographie-Subjekt) bescheiden geblieben ist und nicht abgehoben hat. Er kann in den Schlußkapiteln immer wieder klarstellen, dass er nicht der prototypische westlich expandierende Unternehmer ist. Einerseits tut er alles, um aus Herrmannsdorf einen Leuchtturm zu machen. Wenn er Gäste und Besucher hat führt er sie gern zu seiner Biogasanlage. Diese Anlage laufe schon seit 25 Jahren. Aus dem Schweinemist entsteht mithilfe von zig Millionen Bakterien Methangas, das einen Motor antreibt, der Strom und Wärme für das Musterdorf erzeugt. Die Gülle werde dabei in ein wertvolles Gärsubstrat umgewandelt, das nicht mehr stinkt, unsere Atmosphäre nicht belastet und auch noch sehr gut für ein reiches Bodenleben ist: Dünger! „Er bietet keine natürliche Grundlage für die Ernährung von Pflanzen“.

Die Nahrungsmittel, die in Hermanndorf hergestellt werden, sind meist teurer als die industriell hergestellten Nahrungsmittel. Aber, so der Autor, das Teure kommt uns auch manchmal nicht so teuer wie das mit aller Gewalt billige. „Was im Einklang mit der Natur produziert wurde, ruiniert nicht die Böden und verursacht keine versteckten Folgekosten“. Und noch einmal sehr postulatorisch: Fleischwaren und pflanzliche Nahrung aus industrieller Billigproduktion können nur deshalb billig  sein, weil die Folgekosten ausgelagert und der Allgemeinheit angelastet werden. „Das Fett von aufgepäppelten Turbotieren macht fett, das Fett von würdevoll gewachsenen Tieren ist Medizin, vorbeugende Medizin“. Das traut sich der Metzger Schweisfurth mittlerweile auch vor versammelten Ärzten zu sagen.

Aber das geht auf einem klaren Grat und ist immer abgegrenzt gegen Ideologie und Romantik. Er will das nicht verbinden mit Technikfeindschaft. Und, ganz abseits von Ideologie, ist es ein Pilotprojekt oder ein Modell, was sich der emeritierte konventionelle Metzger da ausgedacht hat. In seinem Ort Herrmannsdorf haben 200 Menschen eine interessante Arbeit. Da sind auch noch 100 Bauern, die ihre Tiere so halten, wie das ökologisch geboten ist. Und es gäbe bis 25.000 Kunden in den Läden, die darauf vertrauen, Lebensmittel in höchster Geschmacks- und Gesundheitsqualität zu bekommen. Das würde sich für ihn rechnen.

Diese Glaubwürdigkeit wird noch erhöht durch das Eingeständnis von Naivität am Beginn und damit auch Fehlern. So hätten sie am Anfang geglaubt, die räumlich befreiten Muttersauen wären instinktsicher genug, um richtig mit ihren Ferkeln umgehen zu können. Das waren sie leider nicht. „Einige fraßen ihre Kinder“. Und als es für die Warmfleischmetzgerei um einen Betriebsleiter ging, stellte man einen jungen Fleischtechnologen an. Der junge Mann war – so wie Schweisfurth in seiner Studienzeit – der Faszination der Maschinen und aller Zusatzstoffe, die dem Metzger das Leben bequemer und sicherer machen, erlegen. Warmfleischmetzgerei empfand der eher als Arbeitserschwernis und schrullig-rückwärtsgewandt.

Aber immer wieder betont der sympathische Ökologie und Landwirt: Herrmannsdorf sei kein Modell zur Überwindung des Welthungers und der Nahrungsprobleme der wachsenden Weltbevölkerung. Man kann dieses Modell auch nicht überall bauen und entstehen lassen. Es sei kein Zufall, dass Herrmannsdorf am südöstlichen Rand des Münchener Speckgürtels liegt und nicht in Herten, Westfalen, wo der Standort des an Nestle verkauften Herta-Fleischkonzerns liegt.

Mit den höheren Preisen tut sich der Unternehmer auch schwer. Er zitiert Slogans, die an einen anderen von Klaus Staeck und die Wähler der CDU erinnern: „Der alte Schweisfurth will den Malochern ihr billiges Lidl-Nackensteak vom Feierabendgrill nehmen!“ Er hat sich vorgerechnet, wie viel Mehrbelastung auf eine vierköpfige Mittelstandsfamilie zukomme, „die sich konsequent bio und fair ernährt. Dieses Mehr sei für ein geschätztes Drittel der deutschen Bevölkerung,  gemeint ist das obere, kaum der Rede wert. Für ein zweites Drittel, das mittlere wäre es mit etwas Planung und Einschränkung an anderer Stelle verbunden. Und das untere Drittel, die Hartz IV Empfänger, was solle er dazu sagen? Auch da bleibt er ehrlich und nicht moralisch-ideologisch. Ja, es wird in Mitteleuropa Menschen geben, die nicht so sehr die Einsicht, sondern Mittelknappheit zur „Entfleischlichung“ ihrer Küche zwingt. Das kann er dann nicht ändern. Es sei auch immer wieder erprobt worden: Man könne auch mit wenig Geld sich und seine Familie ökologisch ernähren. Erstens, wenn man weniger Fleisch isst, zweitens selbst häufig kocht, drittens wenig Vorgefertigtes kauft und viertens nichts wegwirft.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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