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Globaljournalismus – Zu einem Buch von Claus Kleber über die Erde

Das ist ein erstes globalgeschichtliches Buch. Der Claus Kleber ist ein wenig in die Rolle des Vorbilds aller Journalisten in der Zeit vor dem Handy und dem Laptop geschlüpft, die des rasenden Reporters Egon Erwin Kisch. Und das Rasen geht innerhalb des Buches und seiner Endfertigung noch ein Stück weiter. Ein alter Chinese hatte Kleber noch vor vielen Jahren in San Francisco eingetrichtert: Wenn Sie auf der Welt irgendwo jemanden treffen, der behaupten würde, China gut zu kennen, dann müsste er diesen fragen, wann er dort zuletzt gewesen sei. „Wenn es mehr als drei Monate her ist, dann brauchen Sie sich mit ihm nicht länger zu unterhalten“.

Als Kleber dann 2010 beim Landeanflug auf Shanghai ist, ist er der Überzeugung, man müsse dieses Tempo auf drei Wochen heruntersetzen. Denn er besinnt sich, 1998 im Pressetross von Bill Clinton gewesen zu sein. Der Pudong Shanghai Flughafen sei damals eine Baustelle gewesen. Inzwischen sei er zu einem der 20 größten Flughäfen der Welt aufgestiegen.

China macht sich jetzt Sorge um den Klimawandel. Die Stadt Shanghai wird gefährdet durch das, was Professor Yang dem rasenden ZDF-Reporter sagt: Der rechnete einer Konferenz vor, dass durch das Schmelzen des antarktischen Eispanzers der Meeresspiegel um 53 Meter steigen wird“. Keine Küstenregion der Erde wird das überstehen können. Und das sei keine theoretische Hypothese, sondern die kommende Realität.  Die Chinesen sind längst auf unserem Niveau mit der Sorge und der Forderung des Wandels. Der Klimawandel, so hört er allenthalben, sei Realität. „Eine Küstenstadt wie Shanghai muss sich dem stellen“. Professor Yang sagt daher: „Jeder Chinese muss dazu beitragen, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren. Da tragen wir eine große Verantwortung, gerade weil wir so viele sind.“

Dabei stellt China immer noch, wie er durch einen deutschen Unternehmer erfährt, 70 Prozent seiner Energie mit Hilfe des größten Umweltverschmutzers, also der Kohle her.  Kleber zieht von China in die Mongolei, wo er die Produktion von Seltenen Erden, nein, nicht beobachten darf mit seinem journalistischen Hilfsmittel der Fernsehkamera. Er darf es nur wahrnehmen mit den eigenen Augen.

Es ist ein exemplarisch journalistisches Buch über den Klimawandel. Er behandelt den Klimastress, der sich von Vorahnungen in New York über den Wirbelsturm Katrina, das Wassermoor im Regenwald bis nach Lima und den Wassermangel erstreckt.  Natürlich behandelt Kleber auch die militärischen Interessenten an der Klimafront. Er legt den größten Wert auf die Pazifik Staaten und ihre Strategien um dann auf die neue Weltsupermacht China zu kommen. Am Himalaya gibt es viel Rivalität unter den Anrainern, zuvörderst Indien und Kasachstan. Was tun? Fragt der Autor, der mit diesem Buch einmal aus dem Aktualitätszirkus ausbrechen kann, in dem ihm sein Sender immer wieder zugesteht, solche größeren Recherchen und Reisen zu machen.

Das, was das Buch so erregend aktuell macht ist die überall aufblitzende Gelegenheit zum Krieg zwischen Partner, denen wir das bisher aus Ignoranz und gutem Willen nicht zugetraut haben. Es kann Wasserkriege geben, das ist ein Subthema dieses Buches, sehr ernst aufbereitet. Zwischen Indien und China, zwischen Indien und Pakistan, zwischen Indien und Bangladesh. Man zählt die Zahl von 419 Grenzverletzungen durch Chinas Volksbefreiungsarmee 2010 bis 2011. Die Geografie begünstige die chinesische Seite.

Nach Indien zeigen die Gebirge von Ladakh ihre „unerbittlich abweisende Seite“. Man muss dem rasenden Reporter des ZDF das Kompliment machen, dass er betörend gut schreiben, also auch ein Printjournalist hätte werden können. So wenn er über die Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Supermächten noch mal auf das Jahr 1914 und die nach dem britischen Kolonialbeamten Sir Henry McMahon zurückgehende Grenzlinie schreibt: Sie sei „mit einem so dicken Stift auf einer so kleinen Karte“ gezogen, „dass allein der Strich auf dem Papier in der Realität einen viele Kilometer breiten Abschnitt entspricht“. China begehrt aber durch nicht nur einen dünnen Streifen Land in unwegsamem Gebirge, sondern erhebt Anspruch auf  Arunachal Pradash – „einen indischen Bundesstaat mit 1,4 Mio Einwohnern und von der Größe Österreichs“. Auf chinesischen Landkarten wird das Stück Land provokativ „Südtibet“ genannt.

Er spricht hier und da mit Leuten aus den Generalstäben, die manchmal vernünftiger wirken, weil sie keine Wahlen gewinnen müssen. So trifft er den Luftmarschall AK Singh. Singh hat für den Rest seines Lebens – nach seiner Zeit als Chef der Indian Air Force – sich geschworen alles zu tun, damit aus solchen Konflikten keine Kriege werden. Er weiß, wie nahe diese wachsenden, ins Unermessliche sich vergrößernden und wachsenden Völker an künftigen und verflossenen Kriegen gebaut sind. „Wenn ein Mensch kein Wasser und damit kein Essen mehr bekommt, was wird er tun? Er wird zu jeder Waffe greifen, die er erreichen kann. Wenn eine andere Nation ihm die Lebensgrundlage nimmt, wird er kämpfen. Da kann für Staaten nichts anderes gelten“.

Das Buch kommt an die Folgen des Klimaversagens und unserer Wachstumsverliebtheit sehr nahe heran. Bangladesh ist das erste Land, das ‚dran’ sein wird. Beim Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter würden 20 Prozent (!) von Bangladesh im Meer versinken, 20 bis 30 Millionen würde zu Flüchtlingen. Kleber zitiert eine Studie, die voraussagt, dass der Staat Bangladesh damit kollabiert. Wieder sagt Kleber ein General in Indien, dass dann die Lage in ganz Südasien sehr schnell „sehr kompliziert“ würde, Dabei ist die Gefahr eines zusätzlichen Sturms mit den Ausmaßen des Katrina damit noch nicht einmal einkalkuliert. Für Bangladesh sind die Voraussagen katastrophal. Wenn die Flüsse das Wasser nicht mehr bringen und das Meer überhandnimmt, versalzt das Ackerland. Die Menschen werden gezwungen immer tiefer zu bohren nach Wasser. Diese Bohrungen haben Erdschichten dort erreicht, die gefährliche Beimischungen von ARSEN enthalten. The Lancet, die unangefochtene Medizinzeitschrift berichtete schon 2010, dass bis 77 Millionen Menschen in Bangladesh chronisch unter Arsenbelastungen leiden.

Kleber gehört nun zu der herausragenden TV-Elite im Club der Journalisten. TV- Adel verpflichtet. So muss er an zwei Stellen sagen, dass er ganz dringend eine mögliche Katastrophe am Himalaya oder Murmansk verlassen muss, weil ihn das ZDF auf dem Lerchenberg braucht. Aber das stört nicht die Dramatik des Buches, das das Buch eines ersten Global-Journalisten deutscher Zunge ist. Eines kann ich nicht verstehen, aber es geht auf eine subjektive Geschmacksrichtung zurück. Kleber bemerkt, dass er das Injera, ein „schwammiges säuerliches Fladenbrot“ und Nationalgericht aller Äthiopier  nicht so recht genießen kann. Da melde ich den einzigen Protest an. Ich bin in Zeiten des von Moskau ausgehaltenen Diktators Haile Mariam Mengistu zu den Nationalfeiertags-Empfängen der äthiopischen Botschaft in Bonn gegangen, nur w e i l es das köstliche Injera gab, das ich mit einem Urbehagen immer verzehrt habe. So unterscheiden sich Menschen und Geschmäcker.

Quelle

Rupert Neudeck 2012

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