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Die ÖDP und das Zeitalter des Lebendigen

40 Jahre ÖDP  –  Franz Alt erinnert sich an den Gründer  – Fragen von Gerd Pfitzenmaier

Sie kannten Herbert Gruhl: Was denken Sie war seine Motivation, eine ökologische Partei zu gründen?

Gruhl wusste, dass er in seiner damaligen Partei, der CDU, mit seinen Vorstellungen einer ökologischen Politik und vor allem mit seiner Forderung „Weniger ist mehr“ allein und verlassen war.

© privaat

Sie schreiben über Gruhl, er wollte nie ‚Ökofeigenblatt‘ der CDU sein: Was wollte er konkret anders machen und woran ist er dabei gescheitert?

Herbert Gruhl hat nach seinem Ausritt aus der CDU zuerst die Grüne Aktion Zukunft, die GAZ,  gründet und danach die ÖDP, aus der er dann auch wieder ausgetreten ist. Er war zu ungeduldig. Er wollte aus der CDU ursprünglich eine ökologische Partei machen.

Sie sagen immer wieder, dass Sie die Entstehung der ÖDP quasi „hautnah“ erlebten: Wie war das damals?

Hautnah  deshalb, weil Gruhl und ich in unserem Wohnzimmer in Baden-Baden mehrmals über seine ökologischen Ideen und über seine Verzweiflung über die geringe ökologische Sensibilität seiner und meiner damaligen Partei gesprochen haben. In einem dieser Gespräche bot ich ihm die Möglichkeit an, in meiner ARD-Sendung „Report Baden-Baden“ zehn Minuten seinen Austritt aus der CDU zu begründen. Darauf ging er ein. Wir waren bis zu seinem Tod befreundet. Die ÖDP wurde quasi in unserem Wohnzimmer gegründet.

Wer war noch mit von der Partie und welche Themen hoben sie zusammen auf dem Schild?

Hauptsächlich zwei Namen fallen mir heute noch ein, die er immer wieder genannt hat: Der Bauer Baldur Springmann und die grüne Pazifistin Petra Kelly. Mit Petra Kelly war auch ich befreundet. Das waren seine ersten und wichtigsten Mitstreiter. Wir kämpften beide für ökologischen Fortschritt. Er als Politiker, ich als Publizist.

Warum stieg der Gründer Herbert Gruhl dennoch so bald wieder aus der Partei aus?

Gruhl war einer der ersten und wichtigsten ökologischen Denker in Deutschland. Aber er tat sich nicht leicht damit, andere zu überzeugen. Er war eher ein Einzelkämpfer als ein  Politiker. Die konservative ÖDP war ihm zu „links“, was ich immer nur komisch fand. Er war zu wenig pragmatisch als Politiker.

War ökologische Politik damals (noch) ein „Kampf gegen Windmühlen“?

Ja, das Denken, dass vor allem mit Wirtschaftswachstum alle großen Probleme zu lösen seien, hat alles andere beherrscht. Gruhls Bestseller „Ein Planet wird geplündert“ war 1975 erschienen. Und „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome waren erst kurz  davor, 1972, publiziert. Dieses revolutionäre  Buch wurde zwar weltweit heftig diskutiert, aber in der Politik so wenig ernst genommen wie Gruhl in der CDU. Ökonomisches Wachstum war die vorherrschende „Religion“ in der Politik.

Die Wachstums-Religion

Welche Themen beherrschten damals die Agenda?

Drei Themen: Wachstum, Wachstum, Wachstum.

Wann änderte sich das?

Noch bis heute nicht wirklich. Fridays for Future war ein erster, aber noch immer viel zu kleiner Wendepunkt. Ein weiterer kleiner Wendepunkt war das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz der damaligen Bundesregierung vom Frühjahr 2021. Ich sehe hier zwei kleine Hoffungsschimmer für eine bessere Welt. Als ich in „Report“ mein Interview mit Herbert Gruhl über sein Buch führte, also 1975, hat die Welt ca. 80 Millionen Tonnen CO2 täglich emittiert, jeden Tag ca. 100 Tier- und Pflanzenarten für alle Zeit ausgerottet und wir haben pro Tag etwa 40.000 Hektar Wüste  zusätzlich produziert. Heute blasen wir jeden Tag 180 Millionen Tonnen CO2 in die Luft, rotten pro Tag etwa 200 Tier-und Pflanzenarten aus und produzieren täglich 60.000 Hektar Wüste mehr.

Wie wichtig ist ein Wertefundament, wenn wir ökologische Politik betreiben (wollen)?

Es wird keinen Klimaschutz und keine wirkliche Umweltpolitik geben solange wir diese Überlebensfragen nur unter technischen Aspekten diskutieren. Ethik und Technik müssen zusammen finden. Die Technik allein wird uns nicht retten. Das sah auch Herbert Gruhl so. Vergeblich hoffte er, dass dabei das „C“ in der CDU helfen könnte. Seine ÖDP hat zwar kein „C“ im Namen, aber die Programmatik dieser Partei ist inhaltlich dem „C“ viel näher als die CDU oder die CSU. Wir brauchen endlich eine Politik, die dem „Zeitalter des Lebendigen“ gerecht wird wie es die französische Philosophin Corine Pelluchon sagt,  oder eine „Erdpolitik“ im „Jahrhundert der Umwelt“ wie es Ernst Ulrich von Weizsäcker vorschlägt. Dafür liefern auch heute Herbert Gruhl und die ÖDP wichtige Impulse. In dem soeben erschienen Buch „Der Planet ist geplündert“ haben Ernst Ulrich von Weizsäcker und ich – in bewusster Anlehnung an Gruhls Buch – darauf aufmerksam gemacht. Wir brauchen eine Umwelt-Ethik, eine Tier-Ethik, eine Bio-Ethik, eine Klima-Ethik, eine Erd-Ethik. Der Dalai Lama sagt: „Ethik ist wichtiger als Religion“. Das heißt: Unser Tun ist wichtiger als religiöse Lippenbekenntnisse. Das heißt, dass wir eine zweite Aufklärung brauchen. Die bisher als Verstandeseinseitigkeit begriffene klassische Aufklärung bedarf einer zweiten Aufklärung, einer Aufklärung mit einer ethischen Ergänzung. Mit dem Verstand allein kommen wir Menschen nicht zur Vernunft. Was die täglichen Nachrichten immer wieder beweisen. Deshalb sind die heutigen Kirchen mehr und mehr Teil des Problems und immer weniger ein Teil der Lösung. Die Tiere, die Natur, die Mitwelt haben ein Recht auf unsere moralische Wertschätzung. Immerhin geht Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ erste Schritte in diese Richtung. Doch die meisten Kirchenfürsten und ein Großteil des Kirchenvolks nehmen diese ökologische Ethik nicht ernst genug. Deshalb leben wir noch immer in einer Todeskultur und sind erst am Beginn eines Zeitalters des Lebendigen.

Die ökologische Aufklärung

Die neue Aufklärung muss eine ökologische Aufklärung sein. Die klassische Aufklärung, der wir viel Autonomie verdanken, maßte sich aber Naturbeherrschung an, die zur heutigen Naturzerstörung führte. Ökologische Aufklärung stellt die Wertschätzung und die Schönheit der Natur in den Mittelpunkt. Technik hat dem Leben und der Bewahrung unserer gemeinsamen Welt zu dienen.

Muss sich in Zeiten einer „Zeitenwende“, wie sie der Kanzler ausrief, auch die politische Agenda erneuern?

Ganz dringend, wenn unsere Kinder und Enkel noch auf einem lebensfreundlichen Planeten leben sollen. Wir führen praktisch seit Beginn des Industriezeitalters einen dritten Weltkrieg gegen die Natur. In diesen Zeiten des schrecklichen Ukraine-Kriegs wird zurecht vor einem dritten Weltkrieg gewarnt, aber wir übersehen, dass wir schon längst einen dritten Weltkrieg gegen die Natur führen – und damit gegen uns selbst, denn wir sind natürlich ein Teil der Natur. Wir verbrennen heute an einem Tag soviel fossile Rohstoffe wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Diese Philosophie des grenzenlosen Wachstums kann in einer begrenzten Welt nicht gut gehen. Jedes Jahr sterben schon heute sieben Millionen Menschen durch Umweltverschmutzung. Tendenz stark steigend. Unseren Wohlstand können wir nur erhalten, wenn wir so rasch wie möglich auf 100 % erneuerbare Energie umsteigen. Sonne, Wind, Wasserkraft, Erdwärme und Bioenergie stehen uns für alle Zeit und in fast jedem Land der Welt zur Verfügung.

Mit welchen Themen also kann die ÖDP im 40. Jahr nach ihrer Gründung heute punkten?

Ökologie, Frieden, zukunftsfähige Jobs, Gerechtigkeit sind die Überlebensthemen. Dafür brauchen wir eine solare Energiewende, eine ökologische Verkehrswende, eine nachhaltige Bauwende, eine giftfreie Landwirtschaft, eine regionale Wasserwende, eine Waldwende der Vielfalt und einen lebensfreundlicheren Umgang mit Tieren. Wir müssen aber auch verstehen, dass Leben mehr ist als menschliches Leben. Nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern das L e b e n im Mittelpunkt, ist die Basis erfolgreicher Politik und verantwortlicher Wirtschaft. Wirkliche Aufklärung und wirkliche Emanzipation bedeuten, dass wir lernen müssen, dass Leben nur in der Einheit a l l e n Lebens überleben kann. Albert Schweitzer hat dafür den Begriff „Ehrfurcht vor a l l e m Leben“ geschaffen. Auch Michail Gorbatschow sagt in einem Buch, das wir zusammen geschrieben haben: „Wir sind  e i n e  Menschheit, auf  e i n e r  Erde unter  e i n e r  Sonne“. Der jetzt notwendige ökologische Wandel beinhaltet die Natur, die Gesundheit, die Gerechtigkeit, aber auch unser Verhältnis zu Tieren und Pflanzen. Menschen ohne Tiere und Pflanzen kann und wird es nicht geben. Wir aber zerstören in krankhafter Weise unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Sie beschreiben, Gruhl sei eher ein „Schreibtischtäter“ gewesen, der wenig(er) Einfluss auf konkrete Politik hatte: Sehen sie da Parallelen zur heutigen ÖDP?

Nach meiner Beobachtung wären sowohl die Grünen wie auch die ÖDP politisch erfolgreicher, wenn sie sich zusammenschließen würden und weniger dogmatische und ideologische Vorbehalte gegeneinander hätten. Wohin Abgrenzungen zwischen politisch Verwandten führen, sehen wir auf der linken Seite des politischen Spektrums zwischen der SPD und der Links-Partei. Für beide grünen Parteien gilt: Wir müssen bewahren, was uns bewahrt. Das ist konservativ grüne Politik: Saubere Luft, reines Wasser, gesunde Böden und eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt und eine nachhaltige Wirtschaft. Die Ökologie ist das wichtigste Emanzipationsprojekt des 21. Jahrhunderts. Das erfordert von beiden grünen Parteien größtmögliche Kooperationsbereitschaft.

Ist die ÖDP präsent genug in der deutschen Parteienlandschaft?

Nein.

Muss sie „lauter“ sein oder es werden?

Sie sollte mehr pragmatisch und weniger dogmatisch sein. Die ÖDP ist in der Schule von Herbert Gruhl dazu prädestiniert, eine moderne „Ethik der Wertschätzung“ weiter zu entwickeln – und zwar mit Lust auf Zukunft und mit Freude.

Die Sonne scheint jeden Tag neu

Die ÖDP wird dann eine erfolgreiche Partei, wenn man ihrem Programm und ihren Mitgliedern anmerkt, dass die Sonne jeden Tag neu scheint. Wir können die Kriege um die fossilen Ressourcen hinter uns lassen und Frieden mit der Sonne gewinnen

Gruhls Kritik galt einer Wegwerfgesellschaft: Damit wäre heute doch noch immer top-aktuell, oder?

Absolut. Das Rezept heißt Kreislaufwirtschaft. Oder: From cradle to cradle.

Was denken Sie würde Herbert Gruhl heute über die ÖDP sagen: Wäre er zufrieden mit dem, was die Partei erreicht hat?

Das weiß ich nicht. Gruhl war ja selbst kein charismatischer Politiker. Er setzte zu wenig auf das Prinzip Hoffnung.

Wie sehen sie das als Beobachter und als politisch engagierter Journalist und Zeitzeuge: Setzt die Partei auf die richtigen Themen?

Da das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Umwelt werden muss, hat die ÖDP dieses Jahrhundert-Thema schon im Namen. Sie muss es besser, aber nicht besserwisserisch „verkaufen“.

Auch Sie waren einmal – wie Gruhl – CDU-Mitglied und sind zugleich überzeugter Ökologe: Warum waren oder sind Sie dann nicht Mitglied der ÖDP?

Bei Wahlen schwanke ich immer zwischen der ÖDP und den Grünen. Aber als Publizist möchte ich in keiner Partei sein. 28 Jahre CDU-Mitgliedschaft reichen mir.

Muss eine Partei sich nach 40 Jahren neu orientieren oder gar neu erfinden?

Das Wertefundament der ÖDP stimmt. Und ist heute wichtiger als je zuvor.

Wo sehen Sie die ÖDP nach weiteren 40 Jahren?

Ich bin kein Prophet. Aber ich wünsche mir, dieser wichtigen Partei und unserem Land, dass schon früher eine ökologische Partei den Kanzler oder die Kanzlerin stellt. Geduld ist auch eine ökologische Tugend.

Quelle

Ökologie Politik 2022 | Fragen von Gerd Pfitzenmaier an Franz Alt 2022

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