Ausbau erneuerbarer Energien: Trendwende bei Sonne und Wind
Das Jahr 2022 brachte in Deutschland eine Trendwende bei den erneuerbaren Energien. Ein Zubau von fast 10.000 Megawatt wurde geschafft. Bei der Windkraft an Land und auf See ist der notwendige steile Ausbaupfad aber noch nicht erreicht.
Die Ampel-Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Ausbau der erneuerbaren Energien „drastisch zu beschleunigen“ und den Ökostromanteil von derzeit unter 50 Prozent bis 2030 auf rund 80 Prozent anzuheben. Eine erste Auswertung zeigt nun, dass der Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen im ersten kompletten Regierungsjahr 2022 tatsächlich Fahrt aufgenommen hat.
Die neu in Betrieb genommenen Anlagen kommen zusammen auf eine Nennleistung von fast 10.000 Megawatt, wie das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster mitteilt. Das Institut hat die vorläufigen Daten aus dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur analysiert, in dem die Anlagen angemeldet werden müssen.
Das bedeutet: Die erhoffte Trendwende beim Ausbau der Ökoenergien im Stromsektor nach dem Bremserkurs der Merkel-Regierungen wurde offenbar eingeleitet.
Bei der Solarenergie wurde erstmals seit 2012 wieder die bisherige Spitzenmarke von 7.000 Megawatt Zubau überschritten. Aber auch die Windkraft konnte nach dem starken Einbruch in den letzten Jahren mit einem Plus von 2.700 Megawatt wieder spürbar zulegen.
Die rot-grüne Bundesregierung hatte im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Grundlage für den Ausbau gelegt. Als die Solarenergie nach schwachem Start ein Jahrzehnt später ungeahnte Ausbau-Raten erreichte, trat Schwarz-Gelb unter Merkel hart auf die Bremse, senkte die Einspeisevergütungen und legte einen niedrigen Ausbaukorridor von nur noch 2.500 Megawatt fest.
Der Ausbau brach denn auch nach 2012 ein. Ähnliches passierte später unter den Merkel-Grokos mit der Windkraft, als der Zubau auf Ausschreibungen umgestellt wurde. Hier wurde das absolute Ausbau-Tief im Jahr 2020 erreicht. 2021 ging es in beiden Sektoren nun wieder spürbar aufwärts.
Nord-Süd-Gefälle besteht weiter
Im Solarsektor wurden nach den vorläufigen Daten, die sich noch etwas erhöhen können, Anlagen mit einer Nennleistung von 7.107 Megawatt neu in Betrieb genommen – ein Plus gegenüber 2021 von rund einem Viertel. Damit wurde der von der Ampel beschlossene „Ausbaupfad Photovoltaik“ von 7.000 Megawatt für das Jahr 2022 erreicht.
Im Bundesländer-Ranking vorne liegt hier mit Abstand Bayern mit 2.072 Megawatt vor Nordrhein-Westfalen (892), Brandenburg (793), Baden-Württemberg (779) und Niedersachsen (559).
Bei der Windkraft sind solche Ausbauraten trotz der besseren Entwicklung noch nicht wieder in Sicht. Im Jahr 2022 gingen laut IWR an Land und auf See insgesamt 591 Anlagen (2021: 496) mit 2.741 Megawatt neu in Betrieb. Damit stieg die Ausbauleistung gegenüber dem Vorjahr um 42 Prozent (2021: 1.926 Megawatt).
Hier schneiden, wie immer in den vergangenen Jahren, die nördlichen Bundesländer besser ab als die im Süden. Die Top Drei sind Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg, Schlusslichter sind neben den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, wo keine neuen Windenergieanlagen errichtet wurden, Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland.
Erstmals wieder neue Offshore-Windparks
Erstmals wieder aufwärts ging es auch mit der Offshore-Windkraft. Nachdem 2020 und 2021 keine neuen Anlagen in Nord- und Ostsee ans Netz gingen, änderte sich das im zweiten Halbjahr 2022. Bis Ende 2022 wurden alle 38 Turbinen des neuen Nordsee-Windparks Kaskasi mit einer Nennleistung von 342 Megawatt in Betrieb genommen. Angelaufen sind zudem die Arbeiten an zwei Ostsee-Projekten vor Rügen, Arcadis Ost 1 und Baltic Eagle.
Nicht alle diese Erfolge kann sich die neue Bundesregierung auf die Fahnen schreiben, die Offshore-Projekte wurden zum Beispiel weit vor dem Ampel-Start projektiert. Doch tatsächlich hat die neue Regierung im ersten Jahr eine Reihe Ausbau-Bremsen gelöst, die einen echten Schub für den Ausbau der Ökoenergien im Stromsektor bewirken können.
Bei der Photovoltaik hat die Ampel zum Beispiel Kauf und Installation kleinerer Anlagen bis 30 Kilowatt, also die typischen Anlagen für Ein- und Zweifamilien-Häuser, von der Mehrwertsteuer befreit. Das senkt die Kosten hier um fast ein Fünftel.
Außerdem wurde die Einspeisevergütung für Dachanlagen deutlich erhöht, und es fielen bürokratische Hürden im Bereich der Steuern und der Netzeinbindung. Bestellungen und Absatz gerade von Hausdach-Anlagen haben im zweiten Halbjahr stark angezogen und dürften es weiter tun.
Durchbruch bei der Windkraft steht noch aus
Auch bei der Windkraft gibt es Neuerungen, die den Ausbau beschleunigen sollen. So gibt es nun die Vorgabe, dass die Bundesländer zwei Prozent ihrer Fläche für Windkraftanlagen ausweisen sollen, sowie höhere Zubau-Ziele für den Offshore-Anlagen.
Zudem sollen Genossenschaften hier wieder stärker zum Zuge kommen. Aufgelegt wurde dafür ein Förderprogramm zur Unterstützung der Bürgerenergie, das sie bei den hohen Vorlaufkosten zum Windrad-Bau entlastet. Außerdem gibt es für Projekte bis 18 Megawatt eine Befreiung von der Ausschreibungspflicht.
Doch anders als bei der Photovoltaik lässt der nötige steile Aufwind hier onshore wie offshore noch auf sich warten. In Ländern wie Bayern kommt der Windkraft-Ausbau nicht in Fahrt, weil Abstandsregeln den Bau neuer Anlagen stark begrenzen, und generell liegen die Genehmigungszeiten für neue Windräder mit vier bis fünf Jahren sehr hoch.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte mit Blick auf die Erneuerbaren im Jahr 2022 kürzlich betont: „Dieses Jahr hat gezeigt, dass wir wirklich vorangekommen sind.“ Allerdings sei man mit den Verbesserungen „noch lange nicht durch“. Und zwar gerade bei der Windkraft.
Habeck hält hier einen dauerhaften Zubau von 10.000 Megawatt pro Jahr für notwendig, um die Klimaziele zu erreichen, also fast viermal so viel wie 2022. „Zehn Gigawatt Zubau pro Jahr sind natürlich eine wirklich hohe Zahl, das haben wir noch nie geschafft in Deutschland.“ Man darf also gespannt sein, wie die Ampel das erreichen will.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!