Dächertec statt Desertec
Was für eine Aufregung in der gesamten deutschen Medienlandschaft als vor drei Jahren das Desertec-Projekt bekannt wurde. Doch jetzt fragt „Die Zeit“ in ihrer jüngsten Ausgabe: „Wüstenstrom, eine Fata-Morgana“? Was ist passiert? Genau das, was Kritiker von Desertec schon immer vorausgesagt haben: Die 100-prozentige erneuerbare Energieversorgung lässt sich sicher und preiswert nur dezentral organisieren. Also Dächertec statt Desertec!
Die Deutschen lieben den Strom aus den bläulich schimmernden Photovoltaik-Anlagen – vorausgesetzt er wird vor Ort produziert. Das ist vernünftig und pragmatisch. Welchen ökonomischen Sinn soll es machen, Solarstrom aus Nordafrika über 3.000 Kilometer Leitungen nach Mitteleuropa zu transportieren? Jeder und jede, die hierzulande mit eigener Solarstromproduktion Erfahrung hatten, schüttelte schon damals den Kopf: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? fragte zum Beispiel Hermann Scheer.
Doch RWE-Chef Jürgen Großmann meinte damals wie heute noch: Solarstrom in Deutschland zu erzeugen sei so wie Ananas in Grönland zu pflanzen. Allein diese Aussage des RWE-Chefs disqualifiziert ihn als Strom-Manager. Der Mann hat keinen blassen Schimmer von dezentraler, zukunftsfähiger Energieversorgung. Eine Million Photovoltaik-Anlagen allein in Deutschland widerlegen ihn jeden Tag.
Das Desertec-Energiewunder in Nordafrika sollten die CSP-Technologie (Concentrated Solar Power) in Kombination mit solarthermischen Anlagen und Windparks vollbringen. Doch das Projekt ist noch immer so tot wie der Friedhof in Chikago. Viele frühere Befürworter winken heute ab, wollen freilich anonym bleiben.
Das Hauptargument: Strom aus Nordafrika für Mitteleuropa erweist sich nach allen bisherigen Berechnungen als viel teurer wie der heimische Photovoltaik-Strom. In Deutschland kann auf jedem zweiten Dach PV-Strom produziert werden. Dieser ist inzwischen schon so preiswert wie der projektierte Desertec-Strom 2020 Jahren sein sollte. Das Berliner Umweltministerium geht inzwischen davon aus, dass die Kilowattstunde in etwa 10 Jahren noch sechs Cent kosten werde. Desertec-Strom wird dann mindestens doppelt so teuer sein.
Das Desertec-Projekt war 2009 den alten deutschen Stromversorgern – aber leider auch einigen Illusionisten bei Greenpeace – so wichtig wie 40 Jahr zuvor die Mondlandung. Die europäische Hochfinanz, die heutigen Energieversorger, aber auch Siemens oder die Münchner Rück witterten das ganz große Geschäft. Doch inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass daraus sehr wahrscheinlich nichts wird. Ganz davon abgesehen, dass Italiener, Griechen und Spanier kaum riesige Leitungen quer durch ihre Länder akzeptieren werden, solange norddeutsche Menschen sich dagegen wehren, dass riesige Leitungen für Offshore-Windstrom nach Süddeutschland gebaut werden. Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt lassen sich den alten zentralisierten Wahnsinn der Großkonzerne einfach nicht mehr bieten.
Die ersten Befürworter von Desertec rücken bereits im Frühjahr 2012 vom Großprojekt ab, andere werden folgen. Viel erfolgreicher als Desertec sind in Deutschland zum Beispiel die 120 Erneuerbare-Energie-Regionen, in denen 18 Millionen Menschen leben. In diesen Regionen wurden bereits politische Beschlüsse gefasst, dass sie bis spätestens 2030 im Strombereich zu 100% erneuerbar sein wollen. Einige haben dieses Ziel schon heute erreicht. Ohne Desertec-Strom.
Energie aus der Region für die Region – genau so wird die Energiewende funktionieren, auf der ganzen Welt.
Quelle
© Franz Alt 2012